Es war der Satz des Tages, den Mercedes-Sportchef Norbert Haug bei der DTM in Hockenheim über den Zustand der Formel 1 im allgemeinen und der FOTA im Besonderen nach dem Londoner Meeting fallen ließ: "Die zehn Teams sind sich einig - mit gewissen Divergenzen." Beleuchtet man die Positionen einmal im Detail, wird schnell klar - die "Divergenzen" sind durchaus relevant:

Rote Ablehnung

Ferrari: Lehnt als einziges Team im Prinzip jede Budgetobergrenze ab, weil sie noch über größere Geldmittel verfügen als alle anderen, durch den langjährigen Sponsoren-Vertrag mit Marlboro und die Sonderzahlungen der FOM. Sie bauen auf ihre jahre- bis jahrzehntelange Sonderstellung und ihre "Unentbehrlichkeit" für die Formel 1, um ihre eigenen Bedingungen und ihren Wettbewerbsvorteil durchzusetzen, auch gerichtlich.

Wie viel Strahlkraft bleibt dem springenden Pferd?, Foto: Sutton
Wie viel Strahlkraft bleibt dem springenden Pferd?, Foto: Sutton

Ferrari bewegt sich dabei aber auf dünnem Eis: Das Vetorecht, auf das sich die Italiener berufen, hält genauso wie die jahrelangen Sonderzahlungen der FOM an Ferrari mit ziemlicher Sicherheit keiner juristischen Überprüfung in Sachen EU-Wettbewerbsrecht stand - andere Teams überlegen jetzt schon, ob man nicht gegen diese Vorrechte von Ferrari klagen könnte. Außerdem: Auch Ferrari braucht die Formel 1 als Plattform, nicht nur umgekehrt - und das wissen auch Mosley und Ecclestone. Dass Ferrari mit seinen Extrempositionen und dem lauten öffentlichen Geschrei nicht die Unterstützung aller anderen Teams hat, ist auch klar. Schon in Barcelona war unter der Hand von dem ein oder anderen offiziell auf Ferraris Seite stehenden FOTA-Mitglied zu hören: "So, wie Montezemolo da agiert, erreicht man gar nichts."

Toyota auf Konfrontationskurs

Toyota: So oder so ein Ausstiegskandidat, aus wirtschaftlichen und auch aus Erfolgsgründen, wenn dieses Jahr nicht endlich Siege kommen. Aus Japan hört man, dass dem Vorstand dort der derzeitige Streit als Vorwand für einen sowieso geplanten Ausstieg gerade recht kommt. Ob John Howett deshalb auf einen so aggressiven Konfrontationskurs geht? Die Unterstützung der Mehrheit der Teams hat er dafür nicht.

Als Howett während des Meetings in London vorschlug, aufzustehen und zu gehen, sollte über das Thema Budgetobergrenze überhaupt gesprochen werden, erhoben sich nur Domenicali und Briatore. Alle anderen blieben demonstrativ sitzen... Dass die Japaner mit die größten Probleme hätten, mit einem auf die im Raum stehenden Summen reduzierten Budget klarzukommen, durch ihre Struktur und die "Gewöhnung" an ein Riesenbudget, ist allerdings eine Tatsachen.

Wackelkandidat Renault

Briatore hat Plan B für den Ausstieg., Foto: Sutton
Briatore hat Plan B für den Ausstieg., Foto: Sutton

Renault: Auch bei den Franzosen gibt es von Vorstandsseite aus seit einiger Zeit massive Ausstiegsüberlegungen zum Jahresende, völlig unabhängig von irgendwelchen Regelentscheidungen. Flavio Briatore scheint sich im Moment der "Krawalllinie" von Howett anzuschließen, wobei es ihm mehr um Macht, Einfluss, "gefragt werden" und auch Ego zu gehen scheint als um die tatsächliche Sache der Budgetobergrenze. Sollte Renault aussteigen und Briatore das Team in Zukunft als Privatteam weiterführen wollen - wofür es einige Anzeichen gibt, zum Beispiel die immer größere Verlagerung aller Teamaktivitäten nach England - wäre er am Ende über die Kostenbegrenzung wahrscheinlich gar nicht unglücklich.

BMW strikt gegen zwei Klassen

BMW-Sauber: Ist vor allem gegen das "Zweiklassenreglement", das ja in dem Moment hinfällig wird, in dem alle unter Budgetcap fahren. Dass man sich in London im Prinzip schon darauf geeinigt habe, dass es diese Zweiklassengesellschaft nicht geben soll, sagen sowohl Max Mosley als auch Bernie Ecclestone. BMW möchte allerdings eine stufenweise Einführung der Budget-Obergrenze, mit höherem Anfangswert. Durch die Teamstruktur, die eher an die Arbeitsweise eines Großkonzerns angelehnt ist, tut man sich mit der Personalredzuzierung schwerer als andere.

Red Bull gegen Offenlegung

Mateschitz möchte seine Finanzen nicht offen legen., Foto: Sutton
Mateschitz möchte seine Finanzen nicht offen legen., Foto: Sutton

Red Bull: Dietrich Mateschitz ist ebenfall in erster Linie gegen das Zweiklassenreglement. Am Budgetcap stört ihn vor allem, seine Finanzen gegenüber der FIA offenlegen zu müssen. Mosley hat allerdings bereits angeboten, diese Kontrolle durch eine unabhängige Wirtschaftsprüfungsfirma vornehmen zu lassen.

Toro Rosso: Hat keine wirklich eigene Meinung. Hängt - noch - im Schlepptau von Red Bull. "Noch" deshalb, weil das Team in Wahrheit ja zum Verkauf steht und theoretisch von einem der interessierten "Neuen" mit seinen Investoren übernommen werden könnte.

McLaren halb gezogen, halb getrieben

McLaren-Mercedes: Hält sich aus den öffentlichen Debatten weitgehend heraus, macht aber klar, dass man sich mit dem Budgetcap durchaus anfreunden könnte, wenn dann alle mitmachen und unter einem Regeldach fahren. "45 Millionen Euro plus die ganzen zusätzlichen Ausgaben, die erlaubt sind, dann sind wir in der Realität bei 80 bis 100 Millionen", sagt Norbert Haug. "Und das ist von dem, was wir heute realistisch ausgeben, gar nicht mehr so meilenweit entfernt."

Die immer noch kolportierten Gesamtbudgets von an die 300 Millionen bei den Silbernen seien schon lange nicht mehr aktuell, "das gab's vielleicht mal vor ein paar Jahren." Viele behaupten, McLaren-Mercedes hielte sich nur deshalb so zurück, weil man nach "Liegate" ja unter Berufung fahre. Tatsache ist aber auch: Gerade Mercedes käme ein plakatives Kostensparen im Moment durchaus gelegen - es gibt kein besseres Argument, um interne Bedenken über das Formel-1-Engagement, zum Beispiel von Seiten des Betriebsrates, zu bewältigen. Dass man dann von derzeit etwa 1000 Mitarbeitern (500 bei McLaren, 500 bei Mercedes) auf maximal 350 reduzieren müsste, ist Haug klar, aber wenn es nicht anders ginge, dann müsse es eben so sein...

Max Mosley möchte die Hersteller binden - oder Kleinen das Leben ermöglichen., Foto: Moy/Sutton
Max Mosley möchte die Hersteller binden - oder Kleinen das Leben ermöglichen., Foto: Moy/Sutton

Brawn GP, Williams und Force India: Sind mit dem Budgetcap von 45 Millionen Euro plus den umfangreichen Ausnahmen (Fahrergehälter etc.) einverstanden.

Mosley will sparen

Soweit die Teams - und was denken Max Mosley und Bernie Ecclestone wirklich und warum?

Max Mosley: Dass Mosley in der Vergangenheit viele Fehler gemacht hat, ändert nichts daran, dass er in diesem Fall die wirtschaftliche Lage und die daraus resultierenden Konsequenzen sehr realistisch einschätzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Konzernvorstände in der Automobilindustrie von heute auf morgen "den Stecker ziehen", wie bei Honda, ist groß. "Wir können nicht tatenlos zusehen und auf den Worst Case warten", sagt er nicht zu Unrecht. Im März versprach die FOTA, Garantien der fünf Hersteller beizubringen, der Formel 1 bis 2012 treu zu bleiben. Bis heute gibt es keine einzige - kein Automobilhersteller wird heute eine solche Verpflichtung eingehen.

"Deshalb müssen wir attraktiv werden für Neueinsteiger, die die Plätze der Herstellerteams können." Den "Zeitdruck", unter den er die Teams jetzt setzt, rechtfertigt er damit, dass sich ja vorher nichts bewegt hätte: "Das Budgetcap ist seit 17. März auf dem Tisch, die Teams wurden seitdem mehrmals zu Gesprächen eingeladen, nie haben sie reagiert... Und wir müssen so schnell wie möglich Sicherheit für die Neuinteressenten schaffen." Die "Großen", die bis jetzt nicht wollten, könnten es sich dann ja später immer noch überlegen, wenn noch Plätze frei seien.

Ecclestone denkt ans Geld

Bernie Ecclestone hat gute Gründe, die Kosten zu senken., Foto: Sutton
Bernie Ecclestone hat gute Gründe, die Kosten zu senken., Foto: Sutton

Bernie Ecclestone: "Es wird kein Zweiklassenreglement geben, darauf haben wir und schon geeinigt", sagte der Formel-1-Boss nach dem Londoner Meeting im britischen Fernsehen, und noch einen nicht ganz unbedeutenden Nebensatz. "Im Prinzip sind doch fast alle mehr oder weniger mit dem Budget-Cap einverstanden..."

Auch wenn sich Ecclestone nach den ersten Ferrari-Ausstiegsdrohungen öffentlich bis zu einem gewissen Punkt hinter die Italiener stellte und meinte, man werde einen Kompromiss finden, um Ferrari in der Formel 1 zu halten - intern redet er anders, geht davon aus, dass Ferrari schon nicht aussteigen werde, weil die eben die Formel 1 auch bräuchten.

Außerdem unterstützt er Mosleys massive Kostenreduzierungen sehr wohl. In Barcelona, während des GP2-Rennens, in einem Meeting mit einem der potenziellen Neuinteressenten für 2010, warf er einen Blick auf die Monitore: "Was ist das? GP2? Was kostet das? 3 Millionen... Und sieht irgendjemand einen Unterschied? Nein? Na also..." Was Ecclestone natürlich auch antreibt: Er sieht, dass in den nächsten Jahren die Werbe- und TV-Einnahmen nicht auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten sein werden - auch das eine durchaus realistische Einschätzung der weltweiten Wirtschaftslage. Und bei einer insgesamt billigeren Formel 1 müsste er dann ja auch weniger an die Teams bezahlen.

Es geht auch ohne Hersteller

Auch ohne Hersteller und Milliardenausgaben gab es schon spannende Rennen., Foto: Sutton
Auch ohne Hersteller und Milliardenausgaben gab es schon spannende Rennen., Foto: Sutton

Fazit: Auch wenn es vielen heutigen Formel-1-Fans, gerade denen, die in der Hersteller-Ära groß geworden sind, schwerfällt, sich das vorzustellen: Die Welt der Automobilkonzerne dreht sich nicht um die Formel 1. Die Zeit ist so, dass die Formel 1 auf die Automobilhersteller und weiterhin unbegrenztes Geld ausgeben nicht mehr setzen kann. Sonst steht man dann plötzlich mit 16 oder noch weniger Autos da - und dann ist das Geschrei erst recht groß. Auch bei denen, die heute noch von einer Welt der unbegrenzten Mittel und Möglichkeiten träumen. Sich emotional etwas zu wünschen, ist eine Sache, realistisch die Fakten betrachten, oft eine andere.

Es ist anzunehmen, dass sich von denen, die wirklich am Weitermachen interessiert sind, alle außer Ferrari durchaus auf eine - vielleicht noch um 10 Millionen erhöhte oder die eine oder andere Ausnahme ergänzte - Budgetgrenze einigen können. Ferrari wird sich dann überlegen müssen, was man tut. Die Idee einer Konkurrenzserie mit den anderen Herstellern ist angesichts der Faktenlage ziemlich illusorisch, der auf A1-Basis sowieso: Welcher Konzern wird wohl heute mehr Geld ausgeben als in der geplanten FIA-Formel 1, um dann in einer von Ferrari dominierten Serie zu fahren?

Sehr viel spricht dafür, dass die Italiener am Ende doch wieder mitmachen werden, allem verbalen Getrommel zum Trotz. Außerdem: Wenn Mosley heute meint, "wenn wir sagen, eine Formel 1 ohne Ferrari kann es nicht geben, dann können wir ihnen gleich die Sportgesetzgebung übergeben", liegt er sicher nicht falsch. Der Fehler wurde eher in der Vergangenheit gemacht, als man Ferrari immer wieder Sonderrechte und Sonderkonditionen zugestand, sich mehr oder weniger erpressen ließ - was jetzt einen großen Teil des ganzen Problems darstellt. Aber einmal gemachte Fehler muss man ja nicht ewig weiterziehen...

Letztlich zählt die Show für die Fans., Foto: Sutton
Letztlich zählt die Show für die Fans., Foto: Sutton

Etwas ältere Fans können sich vielleicht daran erinnern, dass die Formel 1 bis Anfang der Neunziger Jahre auch ohne große Herstellerbeteiligung sehr gut funktioniert hat. Die Panik, dass mit mehr kleinen Teams und Budgets, die ja mit allen Ausnahmen immer noch um die 100 Millionen liegen können, wenn etwa jemand bestehende hohe Abschreibungen hat oder sehr teuere Fahrer bezahlt, kein attraktiver Sport mehr möglich sei soll, ist überflüssig.

Es gibt im gesamten Motorsport keine andere Serie, in der auch nur annähernd so viel Geld ausgegeben wird, der Status der "Königsklasse" bleibt also durchaus erhalten. Technische Innovation wird so sogar eher gefördert als etwa durch ein Reglement, das immer mehr technische Details genau festzulegen versucht - und damit wahrscheinlich eh nur neue Grauzonen und neuen Streit schaffen würde. Bleibt nur zu hoffen, dass es unter den "Willigen" so schnell zu einer Einigung kommt, dass die Investoren der einstiegswilligen Neuen nicht komplett verschreckt werden und am Ende doch noch wieder abspringen. Gerade bei den "Seriösen", die in dieser Richtung konsequente Vorbereitung betrieben haben und nicht nur träumend auf irgendeinen Zug aufspringen, wächst dieses Risiko nämlich mit jedem Tag, der ohne Einigung ins Land geht.