Die Seele meiner geschätzten englischen Kollegen hat im vergangenen Jahrzehnt Schaden genommen. Wer wie ich längere Zeit mit ihnen auf engstem Raum von Rennen zu Rennen tingelt, der bekommt zwangsläufig einen tiefen Einblick in ihre Psyche. Es muss so um Adelaide 1994 herum gewesen sein. Jenes Rennen, in dem ein vom wilden Schwein gebissener Kraut (so nennen sie die Deutschen) den Fast-Schon-Weltmeister Hill unsanft weggeräumt hat. Und pikanterweise war es gleichzeitig der letzte Sieg des großen Volkshelden Nigel Mansell.

Die Insel hat endlich wieder einen Liebling, einen erfolgreichen Liebling., Foto: Sutton
Die Insel hat endlich wieder einen Liebling, einen erfolgreichen Liebling., Foto: Sutton

Okay, Hill hat sich zwei Jahre später gerächt. Aber ein Mansell war er nie. Keine Karawanen von Hafenarbeitern aus Blackpool, die für einen Wochenlohn bei 5 Grad in den Regen von Silverstone zogen, um dem Nationalhelden in der Auslaufrunde vor Begeisterung fast die Kiste unter dem Hintern wegzuklauen. Es folgten sieben dürre Jahre, und zur Strafe dann gleich noch mal sieben. Ein magerer Sieg des ewigen Talents Jenson Button. Und den restlichen Lorbeer fürs Königreich mussten Nordiren und Schotten einfahren. Wessen Seele hätte da nicht Schaden genommen?

Doch seit drei Wochen sind meine englischen Kollegen völlig hinüber. Wie Lewis Hamilton mit seinen 22 Jahren da am Start in Sepang gegen die Ferrari aufbegehrte - "bloody fantastic" tönte es aus der Ecke - das rang uns allen Bewunderung ab.

Wie er dann in der 6. Runde den stürmisch drängenden Massa eiskalt auskonterte - "holy cow!" - einfach unfassbar routiniert. Dass er dann noch die schnellste Runde des Rennens draufsetzt, und im körperlich schwierigsten Rennen dem Iceman Räikkönen die Stirn bietet - mit Worten kaum zu beschreiben. Zwei Rennen, zwei mal auf dem Podium, und der Abstand zum Teamkapitän Alonso so gering wie es niemand erwartet hätte. Spätestens jetzt ist allen klar - Melbourne war keine Eintagsfliege. Oder wie Norbert Haug freudestrahlend analysiert hat: "Wenn hier was geht, geht überall was."

Lewis Hamilton - zwei Rennen, zwei Podestplätze, so einfach geht das., Foto: Sutton
Lewis Hamilton - zwei Rennen, zwei Podestplätze, so einfach geht das., Foto: Sutton

So sehr Ron Dennis auch mit manchen der Presse auf Kriegsfuß steht (wir erinnern uns: "we make history, and you write about it!"), aber bei aller mangelnden Selbstironie - dass Lewis Hamilton heute Formel 1 fährt, ist in erster Linie seine Erfindung. Er hatte damit alles zu verlieren und nichts zu gewinnen. Denn McLaren ist kein Ausbildungslager für Jugendspieler. McLaren ist eine Fabrik für Champions. Und er erinnert mit seinem Fahrstil an der Grenze der Physik sehr an den jungen Jacques Villeneuve. Ob Lewis singen kann, ist nicht bekannt. Aber Jacques hat auch nur ein Jahr gebraucht, um im Titelkampf ein gehöriges Wörtchen mitzureden. Warum also nicht auch Lewis?

Meine Kollegen berichten schon aufgeregt von irrwitzigen Wettquoten, die die Buchmacher auf einen Weltmeister Lewis Hamilton bieten. Wobei man fairerweise nicht vergessen sollte: das Rennen hat ein anderer gewonnen. Ach ja - und übrigens - wie hieß dieser Typ nochmals, den sie jahrelang vergeblich zum kommenden Weltmeister schreiben wollten? "Jenson - who…?"