Sollte die anfällige Technik des anerkannt schnellsten F1-Boliden dieser Saison Kimi Räikkönen nicht nur einen mittlerweile 24 Punkte betragenden Rückstand einbrockt haben, sondern ihn auch fünf Rennen vor Saisonende die letzte Chance auf den Titel rauben? Der Italien GP könnte jedenfalls eine Vorentscheidung bringen. Wir blicken auf die Schlüsselfaktoren des 15. Saisonlaufs.
S wie Startaufstellung
Im Gegensatz zum ersten Qualifying auf dem neuen Istanbul Speed Park hielten sich die auffälligen Fahrfehler im königlichen Park zu Monza in Grenzen. Die einzigen Fahrer die sich lautstark über schlechte Runden und Fehler beschwerten, waren die beiden Red Bull Piloten sowie Renault-Mann Giancarlo Fisichella
Der Italiener startet dabei neben Rubens Barrichello aus der vierten Reihe. Sein Teamkollege Fernando Alonso bezieht hingegen neben dem Teampartner seines Titelrivalen in Reihe 1 Stellung.
Dazwischen machen sich die beiden British American Racer Jenson Button und Takuma Sato in der zweiten Startreihe sowie Jarno Trulli und Michael Schumacher in der dritten Reihe breit.
S wie Start
Für den WM-Herausforderer Kimi Räikkönen reichte es trotz seiner Pole-Zeit aufgrund des Motorwechsels nur zu Startplatz elf. Immerhin das bestmögliche Ergebnis, welches er mit einem Motortausch einfahren konnte.
Die Freude hielt sich dennoch erwartungsgemäß in Grenzen. Insbesondere da er nun mitten im Getümmel starten muss. "Am Wichtigsten ist es in der ersten Runde in keinen Zwischenfall verwickelt zu werden", betont sein Teamchef Ron Dennis. "Wenn wir die erste Runde überleben, können wir alles schaffen." Auch einen Sieg.
Deshalb sorgt Renault-Chefstratege Pat Symonds schon einmal psychologisch vor: "Kimi startet wegen seiner Strafe in gefährlichem Terrain für die Eröffnungsrunde", prophezeite er. "Die Fahrer um ihn herum wissen, dass sie es sich auf dem Weg in die erste Schikane leisten können mit ihm sehr hart zu Werke zu gehen."
Schließlich dürfte Räikkönen im WM-Kampf eher zurückstecken als die Mittelfeldpiloten. Michael Schumacher schwant derweil dennoch Böses: Aber nicht in Kurve 1, sondern in der zweiten Schikane, welche aus seiner Sicht für die hohen Geschwindigkeiten nicht sicher genug ist. Bereits beim Debüt der neuen Streckenführung erwarteten alle Beteiligten einen Crash in der ersten Schikane und im Rennen crashte erst in Schikane zwei.
S wie Setup
TV-Kommentator und motorsport-magazin.com-Kolumnist Jacques Schulz spricht gerne vom "Monster Monza". Für Renault-Renningenieur Rod Nelson ist das Autodromo Nazionale di Monza hingegen einfach nur ein Kompromiss.
"Beim Monza-Setup geht es vor allem anderen darum, einen Kompromiss zwischen ultimativer Performance von Chassis und Motor auf der einen Seite und akzeptabler Fahrbarkeit auf der anderen Seite zu erreichen", erklärt der Ingenieur von Fernando Alonso. "Ein extrem steifes Setup sieht auf dem Papier gut aus, und jede PS-Steigerung scheint erstrebenswert – aber wenn der Preis dafür in schlechterer Fahrbarkeit oder "spitzem" Ansprechverhalten des Motors besteht, machst du das Auto eher langsamer. Wir müssen vielmehr die Balance zwischen der maximalen und der nutzbaren Leistung finden."
Während die Teams auf den anderen Kursen pausenlos auf der Suche nach noch mehr Abtrieb sind, steht für sie in Monza die Reduzierung des Luftwiderstandes im Vordergrund. "Natürlich hat unsere Aerodynamik-Abteilung eigene Flügel für diese Strecke entwickelt, weil die Charakteristik von Monza so einzigartig ist", betont Rod. "Die Profile dieser Flügel sind eher auf geringen Sog ausgelegt als auf Downforce."
"Am Kurveneingang der Turns 4 und 11 (die Roggia-Schikane und die Parabolica) ist die Strecke recht wellig, weil der Asphalt alt ist. Wegen des niedrigen Abtriebsniveaus spüren die Fahrer das erheblich stärker", erklärt Nelson. Außerdem hängt eine schnelle Runde in Monza bekanntermaßen stark davon ab, wie gut die Piloten über die hohen Kerbs in der ersten und zweiten Schikane "räubern" können. "Um das zu ermöglichen, stimmen wir das Auto relativ weich ab, wobei die Front etwas steifer eingestellt wird. Solch ein nach vorn verlegter mechanischer Schwerpunkt ermöglicht den besten Grip und gute Bremsstabilität."
Was die Bodenfreiheit angeht, ist es laut Rod in den langsamen Kurven vorteilhaft, den Wagen vorn tief einzustellen. "Damit der Vorderwagen auf den Geraden durch die aerodynamische Last nicht zu stark in die Federn gedrückt wird und aus der Balance kommt, arbeiten wir mit Gummiblöcken, die den Einfederweg begrenzen." Bei Topspeed sitzt das Auto also auf diesen Gummis auf. Lässt der Abtrieb nach, arbeitet die Aufhängung wieder konventionell, um den optimalem Grip zu generieren.
Natürlich ist Monza eine Powerstrecke – aber auch eine, auf der die Autos 13 Prozent einer Runde mit Bremsmanövern verbringen. Die Bremssysteme stehen also unter enormer Belastung. Vor dem Einlenken in die erste Schikane nach der Zielgeraden bauen die Boliden rund 300 km/h Geschwindigkeit ab. "Das ist der heftigste Verzögerungsvorgang der gesamten Saison", sagt Nelson. Die Aerodynamiker achten deshalb sehr genau darauf, dass die Bremsen effizient gekühlt werden.
S wie Schonen
Da die Teams auf der einzigen High-Speed-Strecke des aktuellen Rennkalenders schon eine Woche vor dem Grand Prix drei Testtage verbringen konnten, hielt sich der Fahrbetrieb arg in Grenzen. Schließlich möchten die Teams ihre Aggregate für die PS-Schlacht von Monza sowie den folgenden Großen Preis von Belgien auf der Ardennenachterbahn von Spa-Francorchamps schonen.
"Kein anderer Kurs fordert die Motoren so hart wie Monza", sagt Rémi Taffin, seines Zeichens Motoren-Renningenieur bei Fernando Alonso. "Die Strecke gönnt den Zehnzylindern keinerlei Ruhepause, da die Drosselklappen 71 Prozent der Runde voll geöffnet sind und es keine Abfolge langsamer Kurven gibt, die mit Halbgas gefahren werden. Bei Durchschnittsgeschwindigkeiten von rund 260 km/h – bei einem Saisonmittel von etwa 220 km/h – ist klar, dass die Triebwerke hier den härtesten Lebenszyklus des Jahres erleben."
Durch den hohen Vollgasanteil hat die Motorleistung größeren Einfluss auf die Rundenzeit als auf jedem anderen Kurs. "Allerdings ist die pure Leistung nicht das einzige wichtige Merkmal. Der Motor muss beim Beschleunigen aus den langsamen Schikanen wie Retifilo und Roggia gut fahrbar sein", erklärt Taffin. "Die Kraft muss sanft einsetzen, damit der Fahrer in diesen langsamen, aber entscheidenden Passagen die optimale Linie trifft."
Neben den langen Volllaststücken machen den Teams auch die Schikanen das Leben schwer, denn beim Überfahren der Kerbs verlieren die Hinterräder regelmäßig den Bodenkontakt. "Dabei kann der Motor in den Drehzahlbegrenzer drehen, oder die Kraftübertragung leidet, wenn die durchdrehenden Räder wieder landen und Grip bekommen", schildert der Franzose die Gefahren der Kerbs. "Die brutalen Schläge, die das Auto bei diesen Gelegenheiten einsteckt, belasten auch Nebenaggregate wie Wasser- oder Ölpumpen extrem."
S wie Strategie
Wie nach jedem Qualifying warfen die Fahrer, Teamchefs und Technikdirektoren auch in Monza nur so mit "guten Strategien" und "Taktiken" um sich, mit welchen sie gedenken am Sonntag ein erfolgreiches Rennen zu bestreiten. Einen Einblick in die Taktiküberlegungen der Rennställe bekamen wir allerdings nicht.
Nichtsdestotrotz ist davon auszugehen, dass die McLaren trotz ihrer starken Rundenzeiten mit einer nicht unerheblichen Gewichtsmenge unterwegs waren. Dafür sprechen aber nicht nur die Erfahrungen der vergangenen Grand Prix, sondern auch das überschwängliche Lob für Kimis 'Pole-Runde': " Nach der Strafe haben wir seine Strategie geändert und das macht seine Leistung noch beeindruckender", schwärmte Ron Dennis. Und Norbert Haug fügte hinzu: " Nach Kimis Motorwechsel auf Grund eines defekten Einlassventils hat das Team die Strategie geändert. Wenn man das berücksichtigt, ist Kimis Runde noch besser."
S wie Speed
Da die Piloten entgegen der gängigen Prozessions-Theorie von Monza einige Überholstellen vor den Schikanen ausgemacht haben möchten, kommt es auf der High-Speed-Strecke im Parco di Monza mehr denn je in dieser Saison auf einen guten Top-Speed-Wert an. Denn nur wer auf den langen Geraden schnell genug ist, kann seinen Vordermann passieren oder verhindern, dass er selbst überholt wird.
Die beste Höchstgeschwindigkeit hatte im Qualifying Fernando Alonso anzubieten, der mit 359 km/h knapp vor dem F2005 von Michael Schumacher landete. Kimi Räikkönen fehlten hingegen knapp vier Stundenkilometer auf den Spanier. Renault-Motorenchef Denis Chevrier war deshalb mit der Leistung seiner Aggregate zufrieden: "Unsere Autos hatten einen sehr konkurrenzfähigen Top-Speed", freute sich der Franzose auf ein spannendes Rennen.
Platz | Fahrer | Top-Speed |
1. | Fernando Alonso / Renault | 359,5 |
2. | Michael Schumacher / Ferrari | 358,3 |
3. | Jacques Villeneuve / Sauber | 356,3 |
4. | Giancarlo Fisichella / Renault | 356,3 |
5. | Juan Pablo Montoya / McLaren | 356,3 |
6. | Kimi Räikkönen / McLaren | 355,7 |
7. | Mark Webber / Williams | 355,4 |
8. | Rubens Barrichello / Ferrari | 355,2 |
9. | Felipe Massa / Sauber | 354,3 |
10. | Christian Klien / Red Bull | 353,9 |
11. | Takuma Sato / B·A·R | 353,6 |
12. | David Coulthard / Red Bull | 353,1 |
13. | Antonio Pizzonia / Williams | 352,5 |
14. | Christijan Albers / Minardi | 351,4 |
15. | Jarno Trulli / Toyota | 350,3 |
16. | Robert Doornbos / Minardi | 350,0 |
17. | Jenson Button / B·A·R | 349,9 |
18. | Ralf Schumacher / Toyota | 349,8 |
19. | Narain Karthikeyan / Jordan | 347,1 |
20. | Tiago Monteiro / Jordan | 344,4 |
S wie Spannung
Der Große Preis von Italien bezieht gleich aus mehreren Faktoren seine Spannung. Die Nummer 1 ist natürlich der Titelkampf. Denn diesen hat Kimi Räikkönen trotz des erneuten Rückschlags noch lange nicht aufgegeben. Ganz im Gegenteil er sagt sich jetzt erst recht: "Ich habe nichts mehr zu verlieren und im Rennen kann alles passieren."
Schließlich ist er in diesem Jahr schon einige Male aus dem Mittelfeld noch bis an die Spitze nach vorne gefahren. Mit einem solch überlegenen Auto wie seinem MP4-20 sollte er auch in Monza dazu in der Lage sein.
Nichtsdestotrotz erhält Fernando Alonso durch Kimis Problem und seinen zweiten Startplatz die große Chance seinen ersten WM-Titel fast schon wasserdicht zu machen.
Aber das ist nicht das einzige Spannungsmoment des Italien GP. Mit den wieder erstarkten British American Racern könnte Alonso aus der zweiten Reihe eine unerwünschte Gefahr drohen. Eine Gefahr für den erhofften Podestplatz und die erwünschten vielen WM-Punkte.
Als letzter Faktor muss in Monza natürlich die Scuderia Ferrari beachtet werden. Zwar befindet sich diese nicht in der dominanten Form der Vorjahre, doch könnten die Italiener mit einem konstanten Bridgestone-Reifen noch für eine kleine Überraschung gut sein. Einen Podestplatz hält Michael Schumacher dennoch für "zu optimistisch".
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