Die Formel Austria. Das Formel 1-Österreich ist geprägt von Leidenschaft und Depression, von Neid und "Freunderlwirtschaft", und natürlich von Triumph und Tragödie - wie man so schön sagt, hier in der Alpenrepublik. Tatsächlich gab es viele Todesfälle zu beklagen - Helmut Koinigg, Jo Gartner oder Markus Höttinger sind nur ein paar davon. 1970 hat das alles so richtig begonnen. Mit Jochen Rindt, dem ersten und einzigen Formel 1-Piloten, der als Toter die Weltmeisterschaft gewann. Dann kam Niki Lauda. Er sprang zwischenzeitlich dem Tod von der Schaufel und wurde mit seinen drei Titeln zur Messlatte für alle Austro-Piloten nach ihm. Der vom österreichischen Sportjournalisten Gerald Enzinger (Sportwoche) benannte "Austro-Komplex" war geboren. Wie der funktioniert? Es ist nicht schwer: Einfach immer sofort mit den Höchstleistungen von Lauda oder auch Berger vergleichen und dann ablästern. Die Herren Wurz, Klien oder Friesacher können sicher ein Lied davon singen. Gut, es gibt natürlich auch eine andere Seite, wie bei fast allem im Leben.

Mit ihm hat alles begonnen - Jochen Rindt., Foto: Sutton
Mit ihm hat alles begonnen - Jochen Rindt., Foto: Sutton

Dieses von der Fläche her ja recht kleine Land, das derzeit leider keine für die Formel 1 taugliche Rennstrecke hat, stellte am Saisonbeginn zunächst zwei, später sogar drei Formel 1-Piloten. Mittlerweile ist einer von ihnen, der Kärntner Patrick Friesacher, der Formel Austria entglitten, wenn man es so formulieren möchte. Alex Wurz befindet sich im letzten Jahr seines Ewigkeitstestvertrags bei McLaren-Mercedes. Und Christian Klien kämpft gerade mit dem Messer zwischen den Zähnen um die Gunst seines Red Bull-Teams. Die Weichen für 2006 werden gestellt. Wie schaut sie aus, die Formel Austria 2006? Von null bis drei Piloten ist alles möglich...

Red Bull Racing: Es kann nur einen geben!

Auf dem neuen und anerkannt selektiven Istanbul Speed Park hat Christian Klien einmal mehr den 13fachen GP-Sieger David Coulthard im Qualifying alt aussehen lassen - acht Zehntelsekunden, bei nur einer Runde Spritunterschied, sind schließlich keine Kleinigkeit. Im Rennen dann waren CK und DC als Tandem unterwegs, wobei Klien einen Blitzstart produzierte: "Damit habe ich allen Kritikern bewiesen, dass ich doch gut starten kann." Vor dem ersten Stopp lagen CK und DC auf den Rängen 7 und 8. Danach lag DC vor CK. Die beiden fuhren direkt hintereinander auf den Rängen 7 und 8 über die Ziellinie. Ein cooles Duo, welches RBR in der Team-WM vor dem Verlust von Platz 6 bewahren konnte.

Während der eine, der Neo-Stoppelbartträger Coulthard, längst seinen Vertrag für 2006 im Motorhome liegen hat, muss sich CK immer noch für seinen Verbleib im Team bewähren. Monza ist das letzte Rennen, welches ihm RBR zugestanden hat. Die letzte Chance, zunächst. Denn auch ein Vitantonio Liuzzi ist ein schneller Jungpilot und irgendwann will auch er wieder einmal im GP-Auto sitzen. Andererseits konnte Klien in der Türkei endlich in Ruhe sein Potential zeigen - die drei Läufe davor ist immer irgendetwas dazwischen gekommen - weshalb Red Bull ja auch fairer weise dem CK die Läufe Türkei/Italien zugestand. Das Problem bei dieser Cockpittauscherei: Klien scheint jetzt einen so genannten "guten Lauf" zu haben - wenn es in Monza genauso gut oder noch besser läuft wie in Istanbul, wäre es auch im Sinne der Team-WM ein gewagtes Spiel, ihn aus dem Auto zu nehmen. Schon am Saisonbeginn hat man den Hohenemser aus so einem solchen "guten Lauf" herausgerissen.

Stratege Marko und Junggladiator Liuzzi, Foto: Sutton
Stratege Marko und Junggladiator Liuzzi, Foto: Sutton

Wohl auch wegen dieses Mangels an Kontinuität wird Red Bull Racing im nächsten Jahr ohne Cockpit-Sharing antreten. Chefstratege Dr. Helmut Marko, ein Urgestein der Formel Austria, der es am Beginn der Siebzigerjahre in die Formel 1 geschafft hat und von einem Steinschlag je zur Beendigung der aktiven Karriere gezwungen wurde, sagte nun klipp und klar gegenüber Autosport-Atlas: "Coulthard ist als Nummer 1 gesetzt. Der zweite Sitz wird definitiv an Klien oder Liuzzi vergeben - und sonst an niemanden. Am Saisonende wird nur einer der beiden für 2006 ausgewählt werden."

High Noon also bei RBR. Bislang fuhr Klien 10 Rennen, Liuzzi vier. Dennoch hofft Klien, sich für den GP in Spa, eine Woche nach Monza, empfehlen zu können: "Jetzt heißt es in Monza eine gute Leistung zu bringen, vielleicht bekomme ich dann noch ein Rennen." Da stimmt Austro-Messlatte Niki Lauda, gegenüber der APA, zu: "Im Qualifying hat Christian die Performance schon hin bekommen. Wenn er das auch noch im Rennen hin kriegt, dann wird er weiter Rennen fahren." Wobei man hinzufügen muss: Das Türkei-Rennen von Klien war alles andere als schlecht, bis auf den Platztausch während des ersten Boxenstopps gibt es nichts zu beklagen. Er fuhr zwei Sekunden nach DC über die Ziellinie und holte einen wichtigen WM-Punkt. Klien sagt daher auch: "Ich weiß nur, dass ich in der Türkei ein richtig gutes Rennen gefahren bin." Schon gibt es Foren-Stimmen im Ösiland, über den "Angeber" Christian Klien. Das ist er in seiner reinsten Form - der "Austro-Komplex". Doch Neid beiseite: In Monza könnte Klien auch die nötigen zwei Punkte holen, um Alex Wurz in der Fahrerwertung überholen zu können. Dann wäre der Deal quasi perfekt für den Vorarlberger.

Monza hat er noch, Spa bekommt er eventuell. Doch dann muss man Liuzzi ranlassen. Für Klien eine schwierige Situation. Er kann dann nur abwarten, respektive an den GP-Freitagen sich nützlich machen. Die Entscheidung fällt jedenfalls laut Marko sicher erst am Saisonende. Und da sind jene attraktiven Cockpits, die jetzt noch zu haben wären, wahrscheinlich schon besetzt. Laut Marko wird derjenige, der im Rennen um das zweite GP-Cockpit unterliegt, weiter bei Red Bull unter Vertrag bleiben. Man wolle versuchen, den dritten Mann in der Formel 1 oder eventuell auch in der amerikanischen IRL unterzubringen. Marko erwähnte gegenüber den britischen Kollegen die guten Kontakte zu BMW F1. Nach einer solchen Vermittlung jedoch, so zog Marko in Betracht, überlege man, den Fahrervertrag vielleicht doch nicht mehr zu verlängern.

RBR-Tandem rettete Platz 6 - Klien und Coulthard., Foto: Sutton
RBR-Tandem rettete Platz 6 - Klien und Coulthard., Foto: Sutton

So könnte also am Ende des Jahres einer der beiden langjährigen Red Bull-Junioren quasi in die freie Wildbahn gesetzt werden. Marko sagt dazu nur lapidar und mit einem Schuss Trockenironie: "Wir können gar nichts garantieren, denn wir sind nicht die österreichische Republik, deren Regierungsbeamte auf Lebenszeit angestellt werden."

Wurz: Späte Genugtuung?

Alex Wurz war zwar nicht auf Lebenszeit, aber fast so lange McLaren-Tester, und: Er hat es bereits hinter sich - das große GP-Comeback. Im McLaren. Ein dritter Platz wurde es. Mehr muss man dazu nicht sagen. Denn ein Mann, der das Rennen fahren verlernt hat, wird nicht Dritter. Da hatte Wurz also zur Abwechslung einmal eine Portion Glück. Denn jetzt ist sein Bewerbungsbogen mit einigen Verlockungen versehen: Ausgezeichneter Testpilot, der immer noch über den nötigen Rennbiss verfügt. Und, was noch mehr zählt: Wurz bringt ein Riesen Knowhow von McLaren-Mercedes, von jenem Team also, welches derzeit dominiert. So gesehen könnte man sagen: Bessere Karten hatte Alex wohl noch nie in der Hand.

Und so gilt Wurz auch als einer der Kandidaten für den reinrassigen BMW-Formel 1, der längst im Hightechwindkanal im Schweizer Hinwil angeblasen und modelliert wird. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten - wobei der Transfermarkt derzeit von Jenson Button blockiert wird. Erst nach einer Entscheidung im "Buttongate II" werden die anderen Trumpfkarten im Pilotenpoker gezogen, zu denen Nick Heldfeld zu zählen ist. Zur Not würde es für Alex auch die schwarzen Midland-Boliden des Alex Shnaider geben. 2006 soll dort ja irgendwie alles anders werden.

Mit McLaren-Knowhow bewaffnet - Noch-Tester Alex Wurz., Foto: Sutton
Mit McLaren-Knowhow bewaffnet - Noch-Tester Alex Wurz., Foto: Sutton

Neben den Hoffnungsträgern der Formel Austria 2006, Christian Klien und Alex Wurz, möchte wahrscheinlich auch Patrick Friesacher wieder mit von der Partie sein. Die Frage wird lauten: Kann man bei Midland andocken? Denn andere Möglichkeiten sind derzeit eher weniger in Sicht, zumindest als GP-Pilot. Obwohl: Bringt man einen dicken schweren Geldkoffer nach Faenza und legt ihn Paul Stoddart auf den Tisch, könnte er vielleicht wieder schwach werden. Doch das ist graue Theorie.

Und von "unten"? Kommt da was? In der GP2 erlebt Mathias Lauda ein hartes Lehrjahr. Da muss sicher ein weiteres Jahr eingelegt werden. In der F3-Euroseries ergeht es Hannes Neuhauser ähnlich, auch er wird wohl ein Jahr anhängen. Norbert Siedler, in der F3000-EM ganz vorne, zieht es immer mehr über den großen Teich, er will in die Champ Car-Serie, bastelt an einem Paket.

Die Formel Austria im Jahr 2006 - alles ist möglich, kann man da nur sagen. Im schlechtesten Falle wird die Formel Austria sich auf österreichische TV-Reporter und Fernsehexperten, Techniker, Fahrerbetreuer und so weiter beschränken und also in punkto F1-Fahrer ein "Fastenjahr" einlegen, wie das schon öfter vorgekommen ist. Im besten Fall werden im kommenden Jahr zwei oder gar drei GP-Piloten aus Österreich am Start sein. Wie so oft, wird es aller Wahrscheinlichkeit eine Lösung dazwischen sein...