Er war der "Mr.Lotus". Colin Chapman, Gründer und genialer Chefkonstrukteur des legendären Rennstalls, vor zwanzig Jahren verstorben an einer schweren Herzattacke, wird in einem unlängst erschienenen Buch recht deftig angeschwärzt. "Wayward Genius" heißt die Biographie, geschrieben hat sie der Motorsport-Historiker Mike Lawrence. Der Autor verriet unseren Kollegen vom Sport-Telegraph: "Colin Chapman war mein Held und es war für mich gar nicht leicht, dieses Buch zu schreiben. Aber ich habe das Gefühl, dass diese neuen Aspekte auch erzählt werden mussten..."

Lotus. Colin Chapman. In der F1Welt ist dieser Name ein Begriff für revolutionäre Ideen, die völlig neue Denkweisen anzettelten, wie in der Weltpolitik vergleichsweise Michael Gorbatschow. Oder auch Osama Bin Laden, zumindest erweckt das genannte Buch auf den ersten Blick diesen natürlich völlig haltlosen und übertriebenen Vergleich. Aber starker Tobak ist es allemal, und Chapman wird höchstwahrscheinlich rotieren in seinem Grab...

Vom Garagisten zum Visionär...

Colin Chapman springt über die Zielgerade!, Foto: Sutton
Colin Chapman springt über die Zielgerade!, Foto: Sutton

Aber der Reihe nach – wer war dieser Konstrukteur aus Leidenschaft? Geboren wird Colin Chapman 1928 in einem Londoner Vorort. Der junge Technikliebhaber macht 1948 den Zivilingenieur und begeistert sich für das Fliegen. Für kurze Zeit ist er auch Pilot beim Militär. 1952 gründet er mit 25 Pfund Startkapital seinen Lotus-Rennstall, die Vorliebe für Strömungstechnik begleitet ihn von Beginn an, später wird er mit seinen revolutionären Ideen die F1Welt auf den Kopf stellen.

1958 baut Chapman seinen ersten F1. Seine Autos sind von Beginn an schnell, aber auch zerbrechlich. Denn der Brite setzte auf Leichtbau, auch damit erwies er sich als Visionär. Die tragische Komponente: Bald bekamen die Lotus-Boliden den zweifelhaften Ruf, "fahrende Särge" zu sein – der Österreicher Jochen Rindt verstarb 1970 in einem Lotus und wurde damit posthum F1-Weltmeister. Einige Piloten mussten in einem Lotus ihr Leben lassen, einige wiederum durften mit den fragilen aber schnellen Fahrzeugen ihre größten Triumphe erleben. Bei Rindt war es beides...

Die Meilensteine des Colin Chapman: Das erste als eine Einheit konstruierte Monocoque, der Lotus 25, ein Vorbote und die Basis für unsere gegenwärtigen Kohlefaser-Überlebensröhren, denen viele F1-Piloten ihr Leben verdanken. Der Lotus 49, in dem der Motor erstmals eine tragende Rolle übernahm. Und natürlich die Aerodynamik: Ende der Sechziger schraubte man erstmals Flügel mit einem umgekehrten Flügelprofil auf die Autos, der Gipfel dieser Entwicklung: der Lotus 79 bzw. dessen Nachfolger Lotus 80 und später 88. In der Badewanne soll dem Meister die Idee gekommen sein, einfach das ganze Auto, oder besser gesagt den Unterboden als Flügelprofil zu gestalten und mittels Venturi-Effekt eine Saugnapfwirkung zu erzielen, welche in Folge die Front- und Heckflügel ersetzen sollte. Man erinnere sich an die seitlichen, am Boden schleifenden "Schürzen", die den Ansaugeffekt gewährleisteten. Der Lotus 79 war ein Unikum, 1979 bauten die Teams den Wagen durch die Bank nach, beim Nachfolger, dem 80, war es anders. So richtig funktioniert hat diese letzte Idee des "Mr.Lotus", den man mit Enzo Ferrari auf eine Stufe stellte, nämlich nicht.

Die "Flügelautos" genannten Boliden brauchten zwar teilweise keinen Frontflügel mehr, den Heckflügel konnte man jedoch nicht wirklich abschaffen, wie Chapman beim Lotus 80 schmerzhaft erfahren musste. Die Technik der F1 und das engmaschige Reglement der F1-Moderne waren sicher bitter für den Mann, den auch heute noch viele Freunde der F1Welt und auch einige F1-Techniker als Visionär der Königsklasse schätzen. Ein geistiger Blick auf die schwarzen "John Player"-Boliden erwärmt so manchem das Herz...

Gelogen, betrogen, sich mit Fremden Federn geschmückt und drogensüchtig...?

Mr. Lotus begutachtet das Renngeschehen., Foto: Sutton
Mr. Lotus begutachtet das Renngeschehen., Foto: Sutton

Angeschwärzt wird nun der Ruf des Colin Chapman im genannten Buch des britischen Motorsporthistorikers. Er habe am Ende der Fünfzigerjahre Schwarzhändler-mäßige Geschäftsmethoden angewandt, ja sogar mit einem Sportwagen-Projekt die britische Mutter Staat "gelinkt", wie man heute sagen würde. Angeblich sei er nur durch seinen Tod dem Gefängnis entkommen.

Autor Mike Lawrence gibt zu: "Was mich aber am meisten schockiert hat, war die Kälte, mit der Chapman andere Personen aus Projekten entfernte und sich deren Ideen als die seinen aneignete." Diesbezüglich gab es in der F1Welt bereits Behauptungen, Chapman hätte sich mit fremden Lorbeeren geschmückt. Ist natürlich Ansichtssache: Eine geniale Idee, mal schnell in der Badewanne auf ein Blatt Papier gekritzelt, wird dann womöglich von einem beteiligten Techniker erst wirklich technisch realisiert....

Chapman soll aber nicht nur seine Mitmenschen vor den Kopf gestoßen haben, sondern auch seinen eigenen Körper schweren Belastungen ausgesetzt haben. Lawrence: "Wirklich fassungslos war ich über das Ausmaß, in dem er Barbiturate und Amphetamine einnahm, um sich voranzutreiben..."

Colin Chapman also ein selbstsüchtiger und betrügerischer Junkie? Beweise wird es ja wohl nur schwer geben, eine Obduktion wäre nach zwanzig Jahren sicher auch wenig aufschlussreich. Und die Frage ist: Hat der Mann dieses unfreiwillige Outing verdient? Die Informationen sind wohl eine nicht unwichtige Ergänzung im Hinblick auf den Weg des von seinen Visionen Getriebenen. Aber seine Leistungen bleiben unbestreitbar – und eigensinnig, seltsam, stur und wild waren ja viele Visionäre, nicht nur in der F1Welt...