Ferrari galt zu Saisonbeginn noch als der Mercedes-Jäger schlechthin. Zum Auftakt des Jahres hat die Scuderia diese Erwartungshaltung auch erfüllt, doch zuletzt zeigte sich eher Red Bull in dieser Rolle. Daniel Ricciardo hat Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel durch Rang zwei in Monaco sogar im WM-Klassement die dritte Position abgeluchst. Auch in der Teamwertung lauern die Bullen nur neun Punkte hinter der Scuderia. Höchste Zeit also für einen Ferrari-Konter. Schon in Kanada scheint Maranello dazu schwere Geschütze aufzufahren.

Das letzte Rennen: Demütigung in Monaco

Nach der Strategie-Niederlage in Spanien erwischte Ferrari auch in Monaco gleich das nächste harte Wochenende. Erneut sorgte eine mysteriös schwache Performance im entscheidenden dritten Abschnitt des Qualifying für mittelprächtige Startplätze, am Räikkönen-Ferrari kam noch eine Strafversetzung wegen Getriebewechsels hinzu. Sein Rennen beendete der Finne dann frustriert schon früh in den Leitplanken. Klassischer Fahrfehler. Teamkollege Vettel unterdessen kritisierte sich nach Rang vier - noch hinter dem Force India Sergio Perez - später gar selbst für seine eigene Leistung.

Die Neuerungen: Ferrari-Offensive in Montreal

Offiziell wird es erst direkt in Kanada, doch bereits im Vorfeld sickerte so einiges durch: Ferrari reist mit einem umfangreichen Upgrade-Paket auf die Île Notre Dame. Bereits unmittelbar nach Monaco kündigte Teamchef Maurizio Arrivabene eine Verbesserung des Turboladers an. Dies verdichtet sich nun zunehmend. Einerseits durch italienische Medienberichte, andererseits durch Aussagen des Motorenchefs der Scuderia.

"Es ist eine Strecke, auf der die Motorpower ziemlich wichtig ist, wie in Monza und in Spa. Die Hauptgerade, die de facto die Gerade vor der Start-Ziel-Geraden ist, ist sehr lang. Es ist auch für uns Motorenleute eine sehr interessante Gerade", deutet Mattia Binotto vielsagend an. Dann geht der Leiter Power-Unit-Abteilung Ferraris sogar konkret auf den Bereich des von allen erwarteten Updates ein. "Das Hybrid-System ist ebenfalls wichtig, weil die Hauptgerade erfordert, dass du die gesamte Power abliefern kannst. Dazu musst du auf dem gemischten Teil der Strecke die Energie korrekt zurückgewinnen, sodass die Speicher voll sind, sobald du aus der Haarnadel herausbeschleunigst", beschreibt Binotto. Eine Aussage, die nur so nach dem entsprechenden Upgrade schreit. Offen scheint demnach vielmehr nur, ob Ferrari Token investieren wird (und falls ja, wie viele) oder es bei einem 'kostenlosen' Update für die Zuverlässigkeit belässt.

Doch damit nicht genug: Auch eine neue Hinterradaufhängung, Aero-Upgrades sowie eine neue Mixtur aus der Hexenküche Shell hat Ferrari in Kanada laut Berichten in petto. Was die Reifenwahl betrifft, so hat Ferrari sich für eine minimal aggressivere Strategie als Mercedes und eine leicht konservativere als Red Bull entschieden - in beide Richtung jedoch keine Ausprägung, die einen Unterschied machen würde.

Die Erwartungen: Angreifen!

"Wir freuen uns jetzt auf das nächste Rennen in Kanada, wo wir uns nicht wieder aufs Glatteis führen lassen und unserem Namen alle Ehre machen wollen", kündigte Maurizio Arrivabene unmittelbar nach der Schmach von Monaco an. "Die Saison ist noch immer sehr lang und liegt nicht in der DNA von Ferrari, aufzugeben", stellte der Teamchef klar. Kein Worthülsen, wie die zu erwarteten Upgrades bestätigen. Die Scuderia versucht alles, um an die absolute Spitze zu gelangen.

"Wir pushen hart, um ein gutes Ergebnis zu bekommen", sagt auch ein kämpferischer Vettel im Vorfeld des Kanada GP. Teamkollege Räikkönen ist sicher, dass der Plan aufgehen wird. "Wir arbeiten weiter und auch nach einem schwierigen Wochenende, wissen wir, dass wir es im nächsten Rennen ganz sicher viel besser machen können", sagt der Iceman.

Tatsächlich sollte der Circuit Gilles Villeneuve Ferrari zumindest gegen Red Bull wieder besser in die Karten spielen. Auch wenn dort nun beide Piloten das neue Aggregat Renaults bekommen werden, sollte die reine Leistung bei Ferrari noch immer eine Ecke besser sein. Und darauf kommt es in Kanada eben extrem an. Im Duell mit Mercedes sieht es da schon anders aus. In Kanada performen die Silberpfeile für gewöhnlich überragend. Es sei denn, sie bekommen richtig Druck. 2014 gab es Bremsprobleme bei Mercedes. Ferrari muss Silber also vielleicht nur genug einheizen.

Dazu braucht es jedoch dringend eine Lösung für die Schwäche in der Qualifikation. "Unser Auto hatte eine sehr gute Race-Pace, aber das reicht nicht. Wir müssen sicherstellen, dass wir das ganze Wochenende konkurrenzfähig sind", fordert Arrivabene.

Die Statistik: Ferrari beim Kanada GP

SiegePolesSchn. RundenPodiumPunktekm geführt
Ferrari 11 6932 3303325
Kimi Räikkönen 1 -42 52118
Sebastian Vettel 1 313 93685

Ferrari: Montreal Bilanz

Ferrari in Montreal: Zehnmal triumphierten die roten Renner bereits in Montreal. Damit standen Ferrari-Piloten häufiger als die Fahrer aller anderen Teams ganz oben auf dem Treppchen. Die letzten sechs Siege gehen dabei allesamt auf das Konto von Rekordchampion Michael Schumacher, der in den Jahren 1997, 1998, 2000, 2002, 2003 und 2004 die Ziellinie als Erster überquerte. Für die weiteren Erfolge sind Strecken-Namensgeber Gilles Villeneuve (1978), Rene Arnoux (1983), Michele Alboreto (1985) und Jean Alesi (1995) verantwortlich.

Sebastian Vettel in Montreal: Der Heppenheimer startete bislang sieben Mal in Montreal und holte stets Punkte. Seinen einzigen Sieg feierte Vettel in der Saison 2013 für Red Bull, zudem stand 2011 als Zweiter und 2014 als Dritter auf dem Podium.

Kimi Räikkönen in Montreal: Wenn der Finne in Montreal überragende Leistungen zeigte, dann meist von weiter hinten in der Startaufstellung. 2005 siegte er von Platz sieben aus, 2003 bugsierte er seinen McLaren von Startposition 20 auf den sechsten Rang. Räikkönen schied bei bislang elf Rennen lediglich einmal aus und klassierte sich, wenn er die Zielflagge sah, stets in den Top-10.

Die Prognose: Die Chance ist da

  • Offenbar gleich mehrere Upgrades
  • Ist die Qualifying-Schwäche gelöst?
  • Streckenlayout gut gegen Red Bull, schlecht gegen Mercedes
  • Vettel und Räikkönen fleißige Punktehamster in Kanada

Motorsport-Magazin.com meint: Nach zwei Rennen im Tief wird Ferrari in Kanada wieder auferstehen. Ganz auf ein Niveau mit Mercedes kommt die Scuderia jedoch (noch) nicht. Gänzlich unterlegen wie in Monaco zu sein, müssen die Tifosi jedoch nicht fürchten. Auch erneut von Red Bull abgebraten zu werden, scheint diesmal sehr viel weniger wahrscheinlich. Dennoch bleibt das Qualifying-Mysterium um Ferrari. Eine schnelle Lösung wäre extrem wichtig. Andererseits kann man in Kanada zumindest wieder überholen ... (Jonas Fehling)