Um die wichtigsten Fragen zum umstrittenen Mercedes-Reifen-Test zu beantworten, lud Pirelli am Freitagmittag zu einer kurzfristig einberufenen Telefonkonferenz. Die Italiener wollten Aufklärung betreiben und erklärten zunächst ihre Sicht der Dinge. Pirelli Motorsportchef Paul Hembery zeigte sich zunächst enttäuscht von der medialen Berichterstattung und wollte die Gelegenheit wahrnehmen, einige Dinge klar zu stellen.

"Wenn wir von dem Mercedes-Test sprechen, sollten wir wissen, dass es ein Test für unsere Reifen war. Es war der Beginn des Entwicklungsprogramms für die Reifen der Formel-1-Saison 2014. Es hat absolut nichts mit diesem Jahr zu tun", betone Hembery. Entgegen der verbreiteten Meinung, der Test habe stattgefunden, um Lösungen für die Reifen-Delaminierung zu finden, wurden ausschließlich Reifen für 2014 getestet. "Wir haben daran gearbeitet, Delaminierungen in Zukunft zu verhindern, diese Entwicklungsarbeit fand aber ausschließlich auf Prüfständen statt, nicht auf der Teststrecke. In Kanada werden die neuen Reifen somit zum ersten Mal auf der Strecke getestet.

Pirelli Initiator des Tests

Auf Frage von Motorsport-Magazin.com erklärte Hembery, wie der Test mit Mercedes genau zustande kam. "Wir haben schon am 12. März 2012 alle Teams angeschrieben und ihnen die Möglichkeit angeboten, Entwicklungsfahrten für die Reifengeneration 2014 durchzuführen. Die Resonanz darauf war eher gering und Mercedes war das erste Team, das dann auf uns zukam." Der Zeitpunkt des Barcelona-Tests war denkbar pikant, hatte Mercedes doch mit Abstand am meisten Probleme mit den Pirelli-Pneus beim vorangegangenen Rennen. Doch Hembery will von einem Zusammenhang nichts wissen. "Wir haben das Datum festgelegt und wir haben die Strecke gebucht."

Auch beim Testprogramm hatte Mercedes kein Mitspracherecht, wie der Brite auf Rückfrage von Motorsport-Magazin.com versicherte. "Nein, wir haben den Test durchgeführt. Es war zu 100 Prozent ein Pirelli-Test und wir haben dabei definiert, was getestet wird, nicht Mercedes." Mercedes hätte während des Tests auch keine Änderungen am Fahrzeug vornehmen dürfen. Ein Streitpunkt, der vor allem Ferrari zum Protest animierte, ist die Verwendung des aktuellen Boliden. Die Mythosmarke hatte zuvor mit einem Fahrzeug aus dem Jahr 2011 getestet, weil solche Testfahrten auch vom Sportlichen Reglement gedeckt sind. Pirelli wies in dieser Hinsicht jegliche Verantwortung von sich. "Wir haben leidglich darum gebeten, dass der Test mit einem repräsentativen Fahrzeug durchgeführt wird."

Warum wurde mit einem aktuellen Auto getestet?

Im offiziellen Statement von Pirelli heißt es weiter: "Welches Auto während der Testfahrten zum Einsatz kam, war Bestandteil einer Diskussion zwischen Mercedes und der FIA. Das ist auch aus dem Emailverkehr zwischen dem Team und Pirelli ersichtlich. Mercedes hat Pirelli darüber informiert, dass ihr Auto aus dem Jahr 2011 nicht zur Verfügung steht und sie die FIA wegen der Verwendung des 2013er Autos bereits kontaktiert hätten. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Frage, welches Auto gefahren wird, allein im Kompetenzbereich des Teams lag und Pirelli in dieser Frage ausgeschlossen war."

Pirelli Motorsportchef Paul Hembery stellte sich den Fragen der Journalisten, Foto: Sutton
Pirelli Motorsportchef Paul Hembery stellte sich den Fragen der Journalisten, Foto: Sutton

Dass Pirelli die Tests nicht mit dem Renault aus dem Jahr 2010 durchführte, hatte zwei Gründe. Zum einen sei der Renault R30 schlichtweg nicht verfügbar gewesen, weil er sich im Testzeitrum auf den Philippinen befand. "Außerdem ist das Auto rund vier Sekunden langsamer als die derzeitigen Autos und die Änderungen für 2014 sind so dramatisch, dass wir mit einem repräsentativen Auto fahren wollten. Mit den neuen Motoren werden wir im vierten und fünften Gang noch durchdrehende Reifen haben, die Gewichtsverteilung wird ganz anders sein und wir wissen noch sehr wenig darüber."

Welche Informationen erhielt Mercedes?

Pirelli und Mercedes werden nicht müde zu betonen, dass lediglich Pirelli vom Test profitierte. Mercedes habe zum einen keine Ahnung gehabt, mit welchen Reifen sie unterwegs waren, noch irgendwelche tiefgreifende Informationen im Nachhinein erhalten. "Sie erhielten nur Basis-Informationen, die notwendig waren, um das Auto zu betreiben. Sie haben im Nachhinein keinen Bericht von uns erhalten." Wie Motorsport-Magazin.com erfuhr, gibt es aber ein weiteres pikantes Detail beim Test: Bei den bisherigen Reifentests von Pirelli war das deutsche Unternehmen Rennwerk für die Auswertung der Daten zuständig. Als 'Herr der Daten' bezeichnet sich das Unternehmen selbst.

Das Unternehmen ist normalerweise dafür zuständig, dass die gewonnen Daten an die Pirelli-Techniker weitergeleitet werden, die Lotus-Crew (damals Renault) erhält nur einen winzigen Einblick, um beispielsweise Änderungen an der Fahrwerkshöhe vorzunehmen. Nach dem Testen dürfen diese Daten aber nicht mitgenommen werden. Wie Rennwerk Motorsport-Magazin.com versicherte, war das Unternehmen nicht beim Mercedes-Test an der Rennstrecke und hat erst im Nachhinein über Medien von der Existenz dieses Testfahrt erfahren.

Kein James-Bond-Geheimtest

Von einem Geheimtest will Pirelli aber dennoch nichts wissen. "Es war kein James-Bond-Geheimtest", so Hembery. Pirelli habe die Strecke nicht auf einen anderen Namen gebucht oder etwas anderes unternommen, um den Test geheim zu halten. Hembery gab zu bedenken, dass dieses Unterfangen ohnehin nicht möglich gewesen wäre, man denke nur an die Geräuschkulisse. Dass weder Pirelli noch Mercedes die Durchführung nach außen hin kommunizierten, ist für den Pirelli Motorsportdirektor auch kein Verbrechen, schließlich hätten die Italiener einen Vertrag mit der FIA und nicht mit jedem einzelnen Team.

Wenig Interesse zeigte Pirelli daran, weitere Reifentests der Öffentlichkeit zu offenbaren. Die Frage, ob noch ein weiteres Team schon die Möglichkeit eines 1000-Kilometer-Tests wahrgenommen hätte, bejahte er zwar, doch das Team oder den Austragungsort wollte er nicht nennen. "Ja es wurde schon ein 1000-Kilometer-Test abgespult, aber mit welchem Team und auf welche Strecke, das ist vertraulich."

Red Bull Motorsportberater Dr. Helmut Marko forderte unlängst, auch einen Test in diesem Rahmen durchführen zu wollen. Doch Hembery machte dem Österreicher wenig Hoffnung auf die Erfüllung dieses Wunsches. "Wenn man mit elf Teams gleichzeitig fährt, dann erhält man nicht die elffache Datenmenge." Nur Daten, die mit demselben Auto mit derselben Spezifikation eingefahren wurden, seien miteinander vergleichbar. Doch nicht nur deshalb ist es nicht möglich, mit allen Teams einen solchen Test durchzuführen, auch der Faktor Kosten spielt eine Rolle. "In Zeiten der Kostenreduktion ist ein Test mit allen Teams einfach nicht möglich."