Eine verdiente Chance

von Frederik Hackbarth

In Spa sitzt Bruno Senna erstmals in einem konkurrenzfähigen Formel-1-Auto - die Chance ist auch eine verspätete Belohnung für gute Leistungen in den Nachwuchskategorien der Königsklasse, denn viele vergessen, dass sich der Brasilianer mit dem großen Namen in der britischen Formel 3 und GP2 konstant achtbar geschlagen und seinen Platz in der F1 mit Sicherheit mehr verdient hat, als so manch anderer Rookie der letzten Jahre. Dass der Name Senna im Motorsport gleichsam Türöffner ist, wie er auch unaufhörlich Druck erzeugt, dürfte jedem klar sein - so gut wie sein legendärer Onkel kann Bruno in der modernen F1 niemals werden und die ewigen Vergleiche erzeugen kein faires Bild der Verhältnisse und Erwartungen.

Auch Bruno Senna und Vitaly Petrov kennen sich schon lange - hier stehen sie 2008 gemeinsam mit Fairuz Fauzy auf dem GP2-Asia-Podium in Sentul, Foto: Moy/Sutton
Auch Bruno Senna und Vitaly Petrov kennen sich schon lange - hier stehen sie 2008 gemeinsam mit Fairuz Fauzy auf dem GP2-Asia-Podium in Sentul, Foto: Moy/Sutton

Mit Newcomer HRT suchte sich Senna für seinen Einstieg 2010 das wohl schlechtmöglichste Team überhaupt heraus. Der Bolide war kaum auf der Straße zu halten, finanzielle Engpässe legten die Weiterentwicklung lahm und Zeit, fahrerisches Talent oder Können zu zeigen hatte der Brasilianer im Cockpit wahrlich nicht - der Dauerblick in den Rückspiegel und das eklatante Ausbrechen des Autos bei jeder Bodenwelle waren Beschäftigung genug. Ob nun einmal Teamkollege Chandhok schneller war oder er, ob das Auto die Zielflagge sah oder nicht - zweitrangig. Eine Beurteilung scheint schwierig, denn wer weiß schon wie schlecht der HRT wirklich war? Und wer möchte beispielsweise einem Daniel Ricciardo in diesem Jahr Vorwürfe machen, wenn nicht mehr als die letzte Startreihe drin ist?

Was sich in Sennas Vita auf den ersten Blick nicht so gut liest, ist augenscheinlich das Jahr 2009, in dem der Jungspund auf ein F1-Cockpit wartete und sich die Zeit beim Sportwagenteam Oreca vertrieb. Doch genau dort lernte er auch ein viel breiteres technisches Spektrum des Motorsports kennen. Eine weitere interessante Randnotiz für die momentanen Kritiker dürfte zudem sein, dass Senna in seinen beiden GP2-Jahren in der Meisterschaftswertung jeweils klar vor Neu-Teamkollege Vitaly Petrov lag. Der Russe hatte schon mehr Erfahrung auf dem Kerbholz und durchaus vergleichbares Material zur Verfügung. Trotzdem war es zuerst Senna und nicht er, der im Eilverfahren die Klasse durchlief und sich den Vizetitel 2008 sicherte - Monaco-Sieg inklusive.

Mit dem HRT war die Arbeit auf der Strecke wahrlich kein Spaß - viel war im Debütjahr Sennas daher nicht möglich, Foto: Sutton
Mit dem HRT war die Arbeit auf der Strecke wahrlich kein Spaß - viel war im Debütjahr Sennas daher nicht möglich, Foto: Sutton

Seit dieser Zeit ist der Lotus-Renault-Pilot noch einmal gereift. Das Team hat nun entschieden, auf die Jugend zu setzen und liegt damit vollkommen richtig. Ohnehin steht in der F1 ein Umbruch an und die Karrieren eines Rubens Barrichello, Jarno Trulli und Nick Heidfeld scheinen sich dem Ende entgegen zu neigen. Die WM-Position der Truppe aus Enstone ist mit Platz fünf überdies ziemlich festgefahren. Das Risiko des Experiments ist also mehr als kalkulierbar. Daher macht es Sinn, frühzeitig potenzielle Nachfolger zu sichten, will man auch in Zukunft bestmöglich aufgestellt sein. Sollte Senna dann nicht überzeugen können, ist es für das Team auch kein Beinbruch, denn mit Romain Grosjean steht ja bereits der nächste Youngster bereit - zuvor darf der Franzose aber noch in aller Ruhe seinen Titel in der GP2 einfahren. Frei nach dem Motto: Jugend forscht.

Senna wirklich die bessere Alternative?

von Heiko Stritzke

Aber Hand aufs Herz: Kann ein Bruno Senna, der seit fast einem Jahr keinen Grand Prix mehr gefahren ist, die bessere Alternative für den erfahrenen Nick Heidfeld sein? Der Deutsche verfügt über viel Erfahrung und sicher nicht weniger Talent als der Südamerikaner. Auf der einen Seite möchte Lotus Renault in der Konstrukteurswertung Mercedes angreifen, andererseits wird ein Fahrer, der garantiert in die Punkte fährt, wenn das Auto stimmt, vor die Tür gesetzt - bislang hat er sogar zwei mehr als Petrov geholt. Und wie selbst ein großes Talent Schwierigkeiten haben kann, sich während einer Saison in ein Team einzufinden, zeigt das Beispiel Grosjean 2009.

Bruno Senna fuhr vergangene Saison für HRT. Karun Chandhok konnte er zwar überwiegend hinter sich halten, was jedoch eher an den Leistungen des Inders lag. Als Christian Klien für einzelne Einsätze ins Cockpit kam, bereitete er, obwohl er seit Jahren keinen Grand Prix gefahren hatte, dem Brasilianer große Probleme. 1,2 Sekunden war der Österreicher in Singapur im Qualifying schneller, allerdings hatte Senna mit Problemen an der Telemetrie zu kämpfen und konnte seinen Boliden nicht abstimmen. In Brasilien betrug der Rückstand aber immer noch 0,7 Sekunden. Erst auf der wenig fordernden Strecke von Abu Dhabi konnte Senna den Spieß umdrehen.

Bei Lotus-Renault geht es nicht weiter - war der Feuer-Ausfall in Ungarn schon Nick Heidfelds letzter Auftritt in der Königsklasse?, Foto: Sutton
Bei Lotus-Renault geht es nicht weiter - war der Feuer-Ausfall in Ungarn schon Nick Heidfelds letzter Auftritt in der Königsklasse?, Foto: Sutton

Der Einsatz Sennas kann nur Sinn machen, wenn er auch in der kommenden Saison fahren soll. Dann könnte allerdings Robert Kubica zurückkehren und seinen Stammplatz einfordern - wenn nicht am Anfang, dann spätestens zu Mitte der Saison. Selbst wenn der Pole nicht mehr fahren könnte, wäre bei Lotus Renault vermutlich Romain Grosjean die erste Wahl. Der Schweizer sagte bereits zu möglichen Einsätzen 2011: "Wir werden sehen." Das ist alles andere als ein Dementi.

Was also genau mit diesem Einsatz bezweckt werden soll, ist unklar. Bruno Senna wird wohl kaum mehr Punkte aus den letzten Rennen holen, als Heidfeld es gekonnt hätte. Er bräuchte eine Eingewöhnungsphase von drei bis fünf Rennen, während Romain Grosjean bereit steht, das Cockpit später in der Saison womöglich zu übernehmen. Scheinbar möchte sich Lotus Renault Heidfelds einfach schnellstmöglich entledigen, um Platz für die eigenen Talente zu schaffen. Das hätte man auch wesentlich stilvoller machen können.