In den letzten Wochen, als sich das, was jetzt bei Renault passierte, abzuzeichnen begann, dachte ich an ein damals mehr im Scherz mit Nick Heidfeld im Februar in Jerez geführtes Gespräch: "Tut mir einen Gefallen und streitet nicht ausgerechnet ihr Zwei im Laufe der Saison um den Stammfahrerplatz", sagte ich zu ihm, nachdem Bruno Senna gerade ziemlich erfolgreich seinen ersten Test im Renault absolviert hatte. Denn das, so ging mir damals durch den Kopf, fehlte mir gerade noch: Ausgerechnet zwei der Piloten, die ich über Jahre, fast Jahrzehnte gut kenne und hoch schätze, sowohl menschlich als auch fahrerisch, in einer Art "Fernduell" um einen Platz, mit wahrscheinlich endgültigen Folgen für den Verlierer.

Jetzt also ist genau das eingetreten, Heidfeld raus, Senna rein, an allen möglichen Stellen kochen die Emotionen hoch, und irgendwie steht man dazwischen, journalistische Neutralität und Distanz hin oder her. Die Freude über die Chance für den einen mischt sich mit dem absoluten Verständnis für die Enttäuschung des Anderen. Wobei noch dazu kommt: Die beiden verstanden sich in ihrer gemeinsamen Zeit im Team ausgesprochen gut. Senna schätzt Heidfeld als "einen der nettesten und ehrlichsten Kollegen, die ich in der Formel 1 kennen gelernt habe", Heidfeld schätzte von Anfang an Sennas Einsatz für das Team, seine Arbeitsweise und gab schon damals in Jerez zu, Brunos Speed und technisches Wissen hätten ihn wirklich überrascht.

Wirtschaftliche Gründe

Nick Heidfeld muss sein Renault-Cockpit räumen, Foto: Lotus Renault
Nick Heidfeld muss sein Renault-Cockpit räumen, Foto: Lotus Renault

Deshalb mal ein Versuch, ganz sachlich zu analysieren: Sicher kann Nick Heidfeld sagen, dass es wohl zumindest zum Teil finanzielle Aspekte waren, die ihn das Cockpit kosteten, potenzielle brasilianische Sponsorgelder und Geschäftsverbindungen. Das wird er wahrscheinlich auch, wenn er und sein Management dann doch einmal offiziell etwas sagen sollten. Aber um es einmal klarzustellen: Dass Senna jetzt für seine Einsätze bis Saisonende an die 10 Millionen Euro zahlt – wie von Eddie Jordan kolportiert, stimmt so nicht.

Sicher, dass Anfang August die Investmentfirma Genii von Renault-Besitzer Gerard Lopez mit der brasilianischen WWI Group einen Deal über die zukünftige gemeinsame Verwaltung eines 10-Milliarden-Portfolios abschloss und Bruno Senna und sein Management bei der Anbahnung des Kontakts nicht ganz unbeteiligt waren, war sicher nicht gerade schädlich. Auf einem ähnlichen Prinzip ist der Deal zwischen Renault, Genii und Petrov aufgebaut – auch da geht es in erster Linie nicht um direkte Sponsorgelder, sondern um die Öffnung von Geschäftsfeldern für Lopez und Genii in Russland.

Nicht umsonst hat Petrovs Managerin Oksana Kosatchenko Beziehungen bis in die höchsten Putin-Kreise... "Und wir haben auch einiges in Brasilien laufen, um für Renault für nächstes Jahr ein interessantes Paket zu schnüren", gibt Senna zu, um aber zu betonen, dass er für die jetzigen Einsätze nichts zahlen müsse, worauf er auch sehr stolz sei. "Nach den beiden kurzen Tests im Februar und speziell jetzt noch mal in Ungarn glaubt man im Team wirklich daran, dass ich viel Potenzial habe."

Sportliche Gründe

Heidfeld hatte mit Vitaly Petrov seine liebe Müh und Not, Foto: Lotus Renault
Heidfeld hatte mit Vitaly Petrov seine liebe Müh und Not, Foto: Lotus Renault

Der sportliche Aspekt ist aus der Sicht von Renault durchaus nicht wegzudiskutieren. Obwohl die laute öffentliche Kritik an Heidfeld in den letzten Wochen sicher kein besonders guter Stil war – Tatsache ist: Renault hatte sich von dem Mönchengladbacher mehr erhofft, als man ihn im Februar nach dem schweren Rallye-Unfall von Robert Kubica als Ersatz ins Team holte. Damals war seine Verpflichtung ein logischer Schritt – die Lösung mit dem geringst möglichen Risiko, Heidfeld eine bekannte Größe, ein Pilot mit viel Erfahrung und dem Ruf, auch sehr viel technisches Verständnis mitzubringen. Dass er Vitaly Petrov klar in den Schatten stellen würde, sollte überhaupt keine Frage sein.

Doch im Laufe der Saison konnte Heidfeld, obwohl er sich selbst öffentlich für seine Leistungen keine so schlechten Noten gab, die Renault-Bosse und auch viele Experten nicht wirklich überzeugen. Sorry Nick, aber das Trainingsduell gegen den Teamkollegen Vitaly Petrov in 11 Rennen mit 3:8 zu verlieren, das darf eigentlich nicht passieren – auch wenn Petrov in diesem Jahr sicher besser fährt als im letzten. Und wenn du ganz ehrlich mit dir selbst bist, weißt du das wahrscheinlich auch.

Die Tatsache von "wesentlich besseren Rennleistungen als Petrov", die schlägt sich halt zählbar auch nur in gerade mal zwei Punkten mehr als beim Russen nieder. Intern war auch immer mal wieder zu hören, "Quick Nick" hätte nicht wirklich die Führungsrolle übernehmen können, die man sich von ihm erhofft habe, so hätte er sich beispielsweise bei allem technischen Können, Wissen und Einsatz dann in der Abstimmungsarbeit öfters in Details verzettelt... Und so eine nicht den Erwartungen entsprechende zahlenmäßige Bilanz gibt halt doch gewisse Handhaben, zumindest aber Vorwände...

Blick in die Zukunft

Nach Heidfelds Chance muss sich nun Senna beweisen, Foto: Sutton
Nach Heidfelds Chance muss sich nun Senna beweisen, Foto: Sutton

Wie auch immer – dass sich im Team, speziell in der Teamführung, eine Stimmung gegen ihn aufbaute, dass es auch einige menschliche Probleme mit Teamchef Eric Boullier gab, war zuletzt nicht mehr zu übersehen. Für 2012 hätte Heidfeld bei Renault realistisch gesehen wohl sowieso keine Chance mehr gehabt. Dass das Team dann die Chance nutzt, einem Fahrer, den man für die Zukunft auf dem Schirm hat, gleichzeitig zu testen und ihm mit den Einsätzen 2011 auch die Sponsorenbeschaffung für eine eventuell längere gemeinsame Zukunft zu erleichtern, kann man den Renault-Oberen, die ja irgendwo damit kalkulieren müssen, dass Robert Kubica 2012 womöglich nicht zurückkommt, auch nicht wirklich verdenken.

Wie man hört, dachte Heidfeld wohl, als ihn das Team kürzlich von der geplanten Vertragsauflösung informierte, zunächst daran, juristische Schritte einzuleiten, überlegte es sich dann aber doch anders. Sicher auch aus der Erkenntnis heraus, dass so etwas im Formel-1-Geschäft selten etwas bringt und dass es wahrscheinlich effektiver ist, noch ein bisschen Geld mitzunehmen. Dass er da wohl zusammen mit seinen Anwälten versuchte, das Bestmögliche für sich herauszuholen, ist normal und völlig legitim. Ansonsten muss er sich schon mal in Richtung Zukunft orientieren, am ehesten wohl Richtung BMW und DTM...

Bruno Senna muss jetzt das beweisen, wozu er letztes Jahr bei HRT nie wirklich die Chance hatte: Dass er in der Formel 1 auf sehr hohem Niveau mitfahren kann. Wobei man fair bleiben muss: Ein bisschen Anlaufzeit, zwei, drei Rennen, muss man ihm mit Sicherheit geben. Dass er als Fast-Neuling auf Anhieb Petrov, der mit dem Renault jetzt mehr als eine halbe Saison Erfahrungsvorsprung hat, um die Ohren fährt, kann niemand erwarten.

Dass er bis Saisonende mindestens etwa auf das Niveau seines Teamkollegen kommt, erwartet er wohl auch von sich selbst... Dass es wahrscheinlich gleichzeitig seine erste echte und zugleich auch letzte Chance ist, sich in der Formel 1 zu etablieren, weiß er auch. Und ganz zum Schluss, ganz persönlich: Ja, ich wünsche mir für ihn, dass er sie nutzen kann. Dann käme aus der ganzen unseligen Konstellation wenigstens noch etwas Positives heraus...