Die "Leidenszeit" hat ein Ende: In dieser Woche startet die Formel 1 endlich in die neue Saison. Der lange Winter und die Testfahrten sind Vergangenheit - in Australien geht es nach mehr als vier Monaten des Ausharrens wieder ums Eingemachte. Der F1-Zirkus kehrt nach der Absage des Großen Preis von Bahrain wieder in den Albert Park zurück.

Die neue Saison verspricht Spannung pur. Die große Frage aus deutscher Sicht lautet natürlich: Schafft es Sebastian Vettel, seinen Vorjahres-Triumph zu wiederholen? Die Chancen stehen zumindest nicht schlecht. Viele Experten haben den 23-Jährigen ganz oben auf dem Favoriten-Zettel und nach den Testfahrten besteht kaum ein Zweifel, dass Red Bull auch in diesem Jahr der Topanwärter auf den Titel ist. "Der Favorit ist immer der amtierende Weltmeister, also Sebastian Vettel und Red Bull", stellte Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug klar.

Red Bull in bester Form

Glaubt man Vettel und Co., darf sich die Konkurrenz in der neuen Saison warm anziehen. "Wir hatten die beste Vorbereitung aller Zeiten", lautete die einstimmige Meinung der Bullen. Mit dem RB7 scheint Star-Designer Adrian Newey abermals ein Meisterstück gelungen zu sein. Das Auto bestach nicht nur durch Zuverlässigkeit, sondern legte von Beginn der Testfahrten an einen wettbewerbsfähigen Speed an den Tag.

Doch erst Melbourne wird aufzeigen, wo das Weltmeister-Team im Vergleich zur Konkurrenz steht. "Wir befinden uns wahrscheinlich in der besten Form überhaupt - aber für die Testfahrten gibt es keine Punkte", betonte Teamchef Christian Horner. Die gibt es erst auf dem Stadtkurs des Albert Park - und eben diese sind natürlich heiß umkämpft. Man darf nicht vergessen, dass sich fünf Weltmeister im Fahrerfeld tummeln.

Alonso tönt

Einer davon sitzt im Ferrari: Fernando Alonso. Der Spanier gilt als ärgster Vettel-Rivale und dürfte das letzte Rennen 2010 in Abu Dhabi noch nicht vergessen haben, als ihm der Heppenheimer den sicher geglaubten Titel noch wegschnappte. Mit reichlich Wut im Bauch will Alonso in dieser Saison schon von Beginn ein klares WM-Zeichen setzen. Die Voraussetzungen stimmen: Neben dem RB7 galt Ferraris 150° Italia als großer Gewinner der Vorbereitung. Weniger die konstant guten Rundenzeiten, sondern vielmehr die beeindruckende Konstanz des Boliden aus Maranello wusste zu überzeugen. Die Scuderia spulte mit Abstand die meisten Test-Kilometer und nur selten hörte man Beschwerden aus dem roten Lager.

"Der WM-Pokal gehört am Ende dieses Jahres mir und so wird es 2012, 2013 und all die anderen Jahre sein. Ein anderes Ziel habe ich nicht", tönte Alonso kürzlich. Sein Vorteil gegenüber Vettel: Alonso ist bei Ferrari die klare Nummer eins, Felipe Massa muss sich hinten anstellen. Dem Spanier gehört die Zukunft, glaubt man bei den Italienern. Deshalb genießt der Doppelweltmeister volle Unterstützung. Zwar agierte Massa während der Testfahrten auf ähnlich hohem Niveau, doch Alonso ist der Fixpunkt der Scuderia. Nur der Information halber sei zudem erwähnt, dass die Stallorder in diesem Jahr nicht mehr verboten ist.

Wie groß ist die Lücke?

Das Fazit der Testfahrten, und damit dem Gradmesser für den anstehenden Grand Prix: Red Bull und Ferrari haben die Nase vorn, der Rest muss sich erst einmal hinten anstellen. Dabei hat es besagter Rest in sich: Mercedes GP und McLaren scharren mit den Hufen und wollen bei der Punktevergabe ein Wörtchen mitreden. Zwar besteht eine Lücke zu den beiden dominanten Teams. Doch wie groß diese ist, sieht man erst beim Qualifying in Melbourne.

Der MGP W02 im neuen Gewand, Foto: Sutton
Der MGP W02 im neuen Gewand, Foto: Sutton

Mercedes backt zwar kleine Brötchen und will nicht von Siegen sprechen, doch die abschließenden Testfahrten in Barcelona haben gezeigt, wozu der MGP W02 imstande ist. Neben Michael Schumachers absoluter Bestzeit lief der Silberpfeil zuverlässig. Das war bei den vorangegangen Tests nicht immer der Fall, deshalb muss man mit einer starken Mercedes-Truppe rechnen. Die zahlreichen Performance-Upgrade am Boliden scheinen gefruchtet zu haben.

"Wir sind gut vorbereitet. Die harte Arbeit im Winter soll sich bei den ersten Rennen auszahlen und dann werden wir sehen, in welcher Position wir uns befinden und woran wir noch arbeiten müssen", erklärte Schumacher, der bereits vier Mal in Melbourne gewann. Großartige Veränderungen sind bei Mercedes für den Auftakt indes nicht mehr zu erwarten. "Wir haben unser Pulver verschossen", erklärte Teamchef Ross Brawn. Wahrheit oder taktisches Geplänkel? Melbourne wird Aufschluss geben, doch in seiner aktuellen Verfassung sollte der Mercedes im oberen Feld mitfahren.

Wundertüte McLaren

Die große Wundertüte unter den Top-Teams stellt McLaren da. Die Tests verliefen zumeist unbefriedigend: Neben mangelndem Speed haperte es ganz akut an der Zuverlässigkeit des MP4-26. Nur wenige rechneten damit, dass die Briten in Australien um den Sieg mitfahren würden. Doch zu Beginn der Woche verriet Teamchef Martin Whitmarsh, dass man in Melbourne einen anderen MP4-26 zu Gesicht bekommen werde: "Wir haben einen völlig neuen Unterboden und ein neues Abgas-System. Es gibt zahlreiche andere kleine Veränderungen, aber diese beiden Teile werden den Leuten in Australien am meisten auffallen."

McLaren hat noch einmal nachgelegt, Foto: Sutton
McLaren hat noch einmal nachgelegt, Foto: Sutton

Es ist völlig unklar, ob McLaren mit dem neuen Paket von Beginn an wettbewerbsfähig sein wird. Sicher ist: Die großflächige Veränderung birgt das Risiko, nie zuvor auf der Strecke getestet worden zu sein.

Reifen sind der Schlüssel

Von den Teams einmal abgesehen, wird ein weiterer Faktor in Melbourne eine wesentliche Rolle spielen: die neuen Pirelli-Reifen. Während der Tests konnten sich die Teams an die neuen Pneus gewöhnen, doch der Ernstfall "Rennen" steht noch aus. Aller Wahrscheinlichkeit nach müssen die Reifen drei bis vier Mal am Rennsonntag gewechselt werden. Das dürfte für zahlreiche Überraschungen sorgen.

Sollte obendrein noch Regen einsetzen, ist Chaos vorprogrammiert. Kein Team hatte die Möglichkeit, die neuen Intermediates und Regenreifen ausführlich zu testen. Für ein Trockenrennen hat Pirelli die harte und die weiche Mischung im Gepäck. Es wird interessant sein, wie die Teams mit den verschleißfreudigen Mischungen umgehen. Man ist sich einig: Die richtige Reifen-Strategie ist ein Schlüssel zum Sieg.

Egal, welche Kuriositäten beim Australien-GP passieren werden, eins ist sicher: Es geht endlich wieder los.