Virgin-Boss Sir Richard Branson ist auf Augenhöhe mit den ganz Großen dieser Welt - und auch den weniger groß gewachsenen Menschen wie Bernie Ecclestone. Beide besitzen laut der neuesten Forbes-Geldrangliste ein Vermögen von 4,2 Milliarden US-Dollar und liegen damit auf Platz 254 der Liste der reichsten Männer der Welt. In der Formel 1 trennt die beiden jedoch ein halbes Universum: Bernie ist der Bigboss, Branson die Stewardess für Lotus-Teamboss Tony Fernandes.

Im zweiten Jahr soll sich das ändern. "Für uns wäre es akzeptabel, wenn wir an Teams wie Sauber, Toro Rosso und Force India dran wären", sagt Timo Glock voraus. "Realistisch gesehen, sollten wir 2 bis 2,5 Sekunden hinter den Top-Teams sein." Also noch nicht ganz auf Augenhöhe mit der Spitze, aber in Schlagdistanz für WM-Punkte. Solche erhofft sich Glock vor allem in den ersten Rennen, wenn die Konkurrenz vielleicht noch Zuverlässigkeitsprobleme plagen.

Virgin Racing greift 2011 die Punkte an, Foto: Sutton
Virgin Racing greift 2011 die Punkte an, Foto: Sutton

Das Team Trotz der vielen Milliarden auf dem Konto von Teambesitzer Richard Branson weist Virgin Racing eines der kleinsten Budgets in der Formel-1-Welt auf. Höchstens Hispania Racing muss mit noch weniger Geld haushalten. Umso mehr freute sich Virgin im Winter über die finanzielle Unterstützung des neuen Hauptsponsors Marussia, eines russischen Sportwagenbauers. Wie viel Geld dadurch wirklich in die Kassen fließt, ist unbekannt.

Aber wohl genug, um die CFD-Kapazitäten des Teams zu verdoppeln. Laut CFD-Liebhaber Nick Wirth ist die Virgin-Anlage die größte in der Formel 1 und die drittgrößte weltweit. Trotzdem verstärkt Virgin auch den Input: Mit Pat Symonds kommt ein Mann mit jahrzehntelanger Formel-1-Erfahrung als Berater an Bord. Symonds darf nach seiner Sperre wegen der Crashgate-Affäre noch nicht für ein F1-Team arbeiten, aber als Berater kann er für ein neues Team wie Virgin Gold wert sein - das zeigen auch die Fortschritte, die Geoff Willis bei HRT herbeigeführt hat.

Die Fahrer An Timo Glock gibt es nichts zu rütteln, seine Fähigkeiten auf und neben der Strecke sind bekannt und unbestritten. Doch in diesem Jahr muss es bei Virgin vorwärts gehen, sonst steckt der Deutsche in der Sackgasse. Nur am Ende des Feldes herumzufahren, tut seiner Karriere nicht gut. Ebenso schlecht war seine Blinddarm-Operation, die ihn den gesamten zweiten Barcelona-Test kostete.

Timo Glock gibt auch in dieser Saison den Ton bei Virgin an, Foto: Sutton
Timo Glock gibt auch in dieser Saison den Ton bei Virgin an, Foto: Sutton

Für Neuling Jerome D'Ambrosio war Glocks Krankheit ein Glücksfall. So konnte der Belgier eine komplette Testwoche absolvieren und geht wohl besser vorbereitet als viele andere F1-Rookies in die Saison. Doch für Glock und das Team wiegt der Ausfall schwer: Glock konnte die neuen Teile nicht vor dem Saisonauftakt testen und Virgin fehlt das Feedback ihres Nummer-1-Fahrers für die Weiterentwicklung.

Ohnehin ist D'Ambrosio nicht ganz unumstritten im Team. Sein Vorgänger Lucas di Grassi klagt, der Belgier habe sich das zweite Cockpit gekauft. Di Grassi konnte nicht genügend Sponsorengelder auftreiben, um selbst ein zweites F1-Jahr anzuhängen. D'Ambrosio wusste in der GP2 nie wirklich zu glänzen und es ist fraglich, ob er dem Team viel weiterhelfen kann. Bei den Tests war er meistens abgeschlagen Letzter.

Das Auto Der MVR-02 entstand wie sein Vorgänger gänzlich am Computer mittels CFD. Technikchef Nick Wirth ist weiterhin davon überzeugt, dass dies der einzige Weg ist, um kostengünstig und erfolgreich ein Auto zu bauen. Andere Teams und Experten sehen CFD jedoch nur als zusätzliches Hilfsmittel, nicht als Ersatz für den Windkanal. In dieser Saison muss Wirth beweisen, dass sein Ansatz nicht nur bei Sportprototypen, sondern auch in der Formel 1 funktioniert. Es darf keine zu kleinen Tanks, wegfliegenden Teile und ständigen Hydraulikprobleme mehr geben.

Virgin setzt auch in dieser Saison voll auf CFD, Foto: Sutton
Virgin setzt auch in dieser Saison voll auf CFD, Foto: Sutton

Das Debüt des neuen Autos fand erst beim zweiten Test in Jerez statt, danach spulte Virgin eine Testkilometerzahl im unteren Drittel der Kilometerliste ab. Für den Türkei GP hat Wirth bereits das erste, große Update angekündigt. Nicht mit an Bord ist KERS - wie bei allen drei neuen Teams. Statt das teure System in das Paket zu integrieren, konzentriert man sich lieber darauf, die Zuverlässigkeit in den Griff zu bekommen. Die zwei bis vier Zehntel Vorteil sei KERS nicht wert.

Saisonziel: Die ersten WM-Punkte und Platz 10 in der Konstrukteurs-WM

PRO: Dass man nicht von heute auf morgen ein Top-Auto bauen kann, ist selbst Spitzenteams wie Mercedes GP klar. Auch bei Virgin muss man einen Schritt nach dem anderen machen, doch die Testfahrten stimmen positiv. Im Gegensatz zu 2010 flogen keine Teile vom Auto in der Gegend herum und in Sachen Speed scheint man mit Lotus mithalten zu können. HRT sollte sowieso kein Problem darstellen, schließlich konnte Virgin immerhin den neuen Boliden testen. Es wird sicherlich nicht einfach, 2011 die ersten Punkte zu holen - aber es ist möglich.(Kerstin Hasenbichler)

CONTRA: Es wäre Timo Glock zu wünschen, dass er im zweiten Jahr bei Virgin ein besseres Auto erhält als 2010. Doch angesichts der Verbesserungen bei Lotus und der überraschend guten Eindrücke von Toro Rosso wird es schwierig, das Saisonziel von Punkten und Platz 10 in der Teamwertung zu erreichen. Nur HRT hat erneut eine schlechtere Ausgangslage. Zudem bleibt fraglich, ob die finanziellen Ressourcen wirklich so stark ausgebaut wurden, dass Virgin das gesamte Jahr neue Teile nachlegen kann. Platz 11 in der WM und ein paar Achtungserfolge erscheinen das Maximum zu sein. (Stephan Heublein)