"Wenn fünf Fahrer so eng beieinander liegen, dann hat eigentlich jeder eine Chance von 20 Prozent, Weltmeister zu werden. Gut, Mark Webber vielleicht eine etwas größere, weil er 11 Punkte Vorsprung hat", rechnet Singapur-Sieger Fernando Alonso vor.

Einen Punkt erwähnt der Spanier bei seiner Kalkulation freilich nicht. Die Entscheidung in der diesjährigen Formel-1-WM wird sehr wahrscheinlich eine Entscheidung der Nerven werden. Wer sich selbst am besten unter Kontrolle hat, am wenigsten Fehler macht und jetzt in den verbleibenden vier Rennen - wenn es denn vier sind, da Korea inzwischen wirklich auf der Kippe zu stehen scheint - wird gewinnen.

Nach seinen zwei absolut perfekten Auftritten zuletzt in Monza und Singapur gilt Alonso für viele Experten inzwischen als der heimliche Favorit. Aber auch Sebastian Vettel hat sich aus dem Singapur-Rennen in dieser Beziehung eine Menge Selbstvertrauen und Sicherheit wieder geholt. Nach einem auch mental äußerst anstrengenden Zwei-Stunden-Rennen und fast zweieinhalbstündigem Debriefing mit seinen Ingenieuren, nachts um halb drei bei immer noch drückender Schwüle im Fahrerlager, war er sogar noch zum Scherzen aufgelegt.

Sein guter Kumpel Joschi Walch, österreichischer Hotelier, früher Chef der BMW-Hospitality und von Vettel extra nach Singapur eingeladen, hatte die Theorie aufgebracht, eigentlich habe Sebastian gewonnen - da sein Rückstand im Ziel geringer gewesen sei als Alonsos ursprünglicher Vorsprung durch den ersten Startplatz. Sebastian ging grinsend auf die Blödelei ein, rechnete selber nach, in seinem typischen Humor, den leider nicht immer alle draußen ganz verstehen...

Er selbst nahm das Spielchen jedenfalls nicht ernst - natürlich wusste er, dass ihn die sechs Hundertstel im mit zwei kleinen Fehlern nicht optimal verlaufenen Qualifying den Sieg und sieben Punkte gekostet haben. Denn der Start, zuletzt manchmal ein Schwachpunkt bei Red Bull, klappte diesmal sehr gut - aus der Pole Position hätte Vettel sicherlich die Führung übernommen und dann auch schneller fahren können als Alonso.

In Monza und Singapur war Alonso die Nummer 1, Foto: Sutton
In Monza und Singapur war Alonso die Nummer 1, Foto: Sutton

Aber trotzdem - aus einem Rennen, in dem er sich mit dem zweimaligen Weltmeister zwei Stunden lang ein Duell auf allerhöchstem Niveau lieferte, auf einer der schwierigsten und anstrengendsten Strecken überhaupt, in dem die beiden den Rest des Feldes geradezu deklassierten, konnte er sehr viel neues Selbstbewusstsein ziehen. "Natürlich gibt das Auftrieb. Unser Auto sollte auf allen restlichen Kursen auch gut sein - und jetzt kommt mit Japan ja gleich eine Strecke, auf der ich mich unheimlich wohl fühle." 2009 hat er in Suzuka gewonnen - jetzt soll die Wiederholung folgen.

Obwohl Alonso zuletzt eine Kaltblütigkeit und Abgeklärtheit zeigte, die der Spanier auch schon in vergangenen Titelkämpfen an den Tag legte: Unverwundbar ist er nicht - auch er hat in diesem Jahr schon seine Portion an Fehlern abgeliefert: Frühstart in China, ein unnötig weggeworfenes Auto am Samstag in Monaco, das ihn das Rennen kostete, der Abflug in Spa... Und dass der Spanier inzwischen auch sehr allergisch reagiert, wenn er gerade von italienischen Reportern auf das Thema "Fehler" angesprochen wird, zeigt, dass er den Druck schon auch spürt.

Auch Vettels Teamkollege, WM-Leader Mark Webber, ist nicht unverwundbar. Auch nervlich nicht. Wie der Australier in Singapur am Samstag nach seinem fünften Platz im Qualifying nach den ersten Fernsehinterviews aus dem TV-Karree stürmte, einige wartende Teams stehen ließ und dabei auch noch den völlig verdatterten kleinen Kamui Kobayashi beinahe über den Haufen rannte, das zeugte auch nicht gerade von der großen Souveränität, die einige Webber so gern zuschreiben.

Im Rennen hatte er schlichtweg Riesenglück, dass seine Abwehraktion, mit der er Lewis Hamilton ins Abseits schickte, nicht auch ihn selbst aus dem Rennen warf. Vor allem, weil sich bei der Kollision auch der Reifen auf der Felge etwas verschoben hatte. "Dass das bis Rennende gehalten hat, ist ein kleines Wunder", stellte man auch bei Bridgestone fest...

Bei den McLaren-Fahrern ist sowieso ein kleines Fragezeichen angebracht. Ob sie - nach den beiden zumindest teilweise selbst verschuldeten Nullnummern von Lewis Hamilton - überhaupt noch wirklich Titelkandidaten sind, bleibt abzuwarten. Der McLaren dürfte auf den restlichen Strecken nicht wirklich das stärkste Auto sein, eher hinter Red Bull und Ferrari liegen.

Vettel, Webber und Alonso sollten die Sache eigentlich unter sich ausmachen. Jeder mit einem anderen Plus: Vettel ist wahrscheinlich der Schnellste, Alonso, wenn es hart auf hart geht, der Abgebrühteste - und Webber hat den Punktevorsprung...