Der Ursprung alles Bösen war Österreich. "Let Michael pass for the championship", funkte ein kleiner Franzose vor einem Millionenpublikum in den Ohrhörer seines brasilianischen Untergebenen. Seit diesem Tag ist der Begriff "Stallregie" oder "Teamorder", wie es international heißt, verpönt und geradezu geächtet. Der Motorsportweltverband FIA reagierte deshalb prompt mit einem eigenen, beinahe ebenso unvergessenen Satz: "Team orders which interfere with a race result are prohibited." Stallregie, die ein Rennergebnis beeinflusst, ist in der Formel 1 verboten. Plötzliche Wadenkrämpfe, nervöse Zuckungen im Zeigefinger und sich selbst regulierende Leistungsverluste diverser Fahrzeugkomponenten fallen natürlich nicht unter diesen Passus.

In der Deutschen Tourenwagen Masters fristet die Stallregie kein solches Schattendasein in irgendwelchen unkontrollierbaren Grauzonen, wenngleich sie nur als allerletzter Ausweg im Titelkampf angewendet werden soll. Eine gesellschaftliche Ächtung der Teamorder gibt es im DTM-Paddock allerdings nicht.

"Da die Meisterschaft bereits ab dem ersten Rennen zählt, wäre eine Stallorder durchaus verständlich gewesen", schrieb motorsport-magazin.com-Kolumnist Klaus Ludwig bereits nach dem zweiten Saisonlauf auf dem EuroSpeedway. Damals lag Mattias Ekström bis zu seinem Ausfall kurz vor Schluss auf dem 1. Platz vor dem Meisterschaftszweiten Tom Kristensen. Eine Umkehrung des Ergebnisses durch den Audi-Kommandostand blieb jedoch aus.

Auch als bei den Folgerennen Jamie Green und Bruno Spengler vor der Mercedes-Speerspitze Bernd Schneider ins Ziel fahren durften, blieben die Ohren von Green und Spengler von Funksprüchen verschont. "Teamorder bringt uns nicht nach vorne, denn wir wollen Sport treiben, wir wollen den Wettkampf unter den Teams, unter den Mercedes-Fahrern und unter den Audi-Fahrern", sagte uns Audi-Teamchef Hans-Jürgen Abt. "Die Sportchefs haben ganz klar kommuniziert, dass wir Sport betreiben und der Beste gewinnen soll. Es kann sein, dass sich einmal ein Fahrer in den Dienst des anderen stellen muss, aber das soll nicht die Regel werden."

Jubeln statt Funken am Kommandostand..., Foto: DTM
Jubeln statt Funken am Kommandostand..., Foto: DTM

Die DTM bricht also eine Lanze für den Sportsgeist. "Das zeigt wie sportlich fair es hier zugeht", betont Ludwig. Der positive Nebeneffekt: "In der Meisterschaft bleibt damit alles offen und spannend." Welche starken Auswirkungen ein an sich unbedeutend wirkender Eingriff in das Rennergebnis haben kann, beweisen die letzten beiden Rennen am Noris- und Nürburgring. Beide Male triumphierte Bruno Spengler vor dem Mercedes-Meisterschaftsanwärter Bernd Schneider, der in Nürnberg sogar "enttäuscht" darüber war, dass der Kanadier nicht zurückgepfiffen wurde.

"Für Bruno und Mercedes hat es sich gelohnt, nur Bernd hätte eine Stallregie geholfen", kann Klaus Ludwig nachträglich ruhigen Gewissens sagen; dank seiner zwei Siege liegt Spengler jetzt zusammen mit Tom Kristensen auf dem zweiten Rang der Meisterschaftswertung und hat sogar noch Chancen auf den Titelgewinn. Der Verzicht auf eine Stallregie brachte also nicht nur eine Nominierung für den Fairnesspreis, er schuf auch einen neuen Titelanwärter. Hätte Mercedes das Ergebnis umgedreht, würde den Fans in den letzten vier Saisonrennen kein Dreikampf bevorstehen, sondern nur ein Zweikampf. Die Philosophie des Verzichts funktionierte, und das obwohl Teamorder, die ein Rennergebnis manipuliert, in der DTM nicht offiziell verboten ist.

Einmal kam die Stallregie dennoch zum Einsatz: Am EuroSpeedway musste Jamie Green seinen Markenkollegen Mika Häkkinen vor der Ziellinie passieren lassen. "Das Team hat sich dazu entschieden ihm eine Lektion zu erteilen", begründete Motorsportchef Norbert Haug die Teamorder. "Wenn man eines Tages ein Champion sein möchte, dann darf man den anderen Fahrern nicht ins Auto fahren - besonders nicht, wenn es dein Teamkollege ist."

Was lernen wir daraus? Trotz der schlechten Eindrücke aus der Formel 1 und den Erinnerungen an das Grauen von Spielberg sollte die Stallregie nicht gänzlich geächtet werden, denn zumindest in der DTM wird sie immer sportlich fair eingesetzt und erfüllt die Teamorder in manchen Fällen sogar eine wertvolle Erziehungsfunktion. Der Quell alles Bösen ist also nicht aus Österreich herübergeschwappt.