Bei keinem anderen Autobauer gab es in den vergangenen zwei Jahren derart viele Umbrüche, Abschiede und teilweise auch Wirrungen wie bei Audi. Der Abschied von Rene Rast nach zwölf gemeinsamen Jahren ist der nächste 'Höhepunkt' in einer Reihe von Entscheidungen, für die Aufsehen rund um den Autobauer aus Ingolstadt gesorgt haben. Motorsport-Magazin.com beleuchtet die wichtigsten Punkte seit 2020.

Rene Rast verlässt Audi nach zwölf Jahren

Am Dienstag, 16. August gaben Rene Rast und Audi Sport die Trennung nach zwölf gemeinsamen Jahren zum Saisonende 2022 bekannt. Der ursprünglich für das LMDh-Programm vorgesehene Audi-Werksfahrer müsse sich laut eigener Aussage "schweren Herzens von den Audi-Fans verabschieden", weil er noch einige Ziele im Motorsport habe, die er verwirklichen wolle.

"Was Rene Rast vor allem in der DTM für Audi Sport geleistet hat, ist einzigartig", kommentierte Oliver Hoffmann, Vorstand der Technischen Entwicklung bei Audi, die Trennung vom absoluten Star-Fahrer, der dieses Jahr ein letztes Mal für Audi mit Abt Sportsline um den DTM-Titel kämpft und seine vierte Meisterschaft anpeilt. "Umso schmerzhafter ist es, dass wir Rene nach so vielen gemeinsamen erfolgreichen Jahren als Rennfahrer ziehen lassen müssen."

WRT und Audi trennen sich nach einem Jahrzehnt

Nur zwei Wochen vor der Trennungs-Bekanntgabe von Rene Rast, verabschiedete sich bereits das langjährige Audi-Kundenteam WRT. Ursprünglich war vorgesehen, dass der belgische Erfolgsrennstall die LMDh-Werkseinsätze für Audi durchführen sollte. Stattdessen wechselt die Mannschaft von Vincent Vosse 2023 zur Konkurrenz von BMW und setzt ab 2024 die LMDh-Prototypen aus München bei den 24 Stunden von Le Mans ein.

Beim WEC-Finale Anfang November 2021 lag WRT nach Informationen von Motorsport-Magazin.com ein Vertrag als Audi-Einsatzteam für die Langstrecken-Weltmeisterschaft vor, der allerdings nie unterschrieben wurde. Dabei sollen auch finanzielle Gründe eine Rolle gespielt haben.

WRT und Audi - das war eine internationale Erfolgs-Story: Fast 50 Meisterschaftsgewinne im Verlauf eines Jahrzehnts, beginnend mit dem Triumph bei den 24 Stunden von Spa-Francorchamps im Jahr 2011, sprechen für sich. Ein weiterer Gesamtsieg beim Heimspiel in den belgischen Ardennen 2014, ein Gesamtsieg beim 24h-Rennen Nürburgring 2015 und weitere Erfolge in Bathurst, Dubai oder beim GT World Cup in Macau bilden die Erfolgsbilanz von WRT. Vor allem in der GT World Challenge bzw. dem Vorgänger Blancpain GT Series räumte WRT auf allen Ebenen ab.

Noch schlimmer: Den von WRT verpflichteten Motorrad-Superstar Valentino Rossi, dessen neue Vierradkarriere mit GT3-Sportwagen weltweit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird, verliert Audi Motorsport ebenfalls, obwohl schon sehr viel Geld in Marketingmaßnahmen rund um Rossis Einsatz geflossen ist. Das Ende dieser sinnvollen und öffentlich wirksamen Aktivitäten wurde nach MSM-Informationen schon vor der Beendigung der Zusammenarbeit mit WRT beschlossen. Audi-Insider schütteln ob solcher, nicht nachvollziehbarer Entscheidungen, nur ungläubig den Kopf.

Audis LMDh-Pläne auf Eis gelegt und vor dem endgültigen Aus

Mit dieser Misere begannen die schlechten Nachrichten der vergangenen Wochen: Anfang März 2022 berichtete Motorsport-Magazin.com exklusiv, dass Audi Sport sein am 30. November 2020 angekündigtes LMDh-Projekt u.a. für die Rückkehr zu den 24 Stunden von Le Mans vorläufig und für voraussichtlich zwei bis drei Monate auf Eis gelegt hat.

Szene-Kenner betrachten das Projekt, mit dem Audi in den Langstrecken-Topklassen ab 2023 unter anderem auf BMW und Porsche gestoßen wäre, inzwischen als tot - siehe Rene Rasts Audi-Abschied. Eine offizielle Bestätigung für das Ende des Programmes seitens Audi gibt es bislang nicht - im Gegenteil: Ein Audi-Sprecher betont auf Motorsport-Magazin.com-Nachfrage ausdrücklich, dass das LMDh-Projekt entgegen anderslautender Gerüchte (noch) nicht beendet worden ist.

Audi und der Formel-1-Einstieg

Im Hintergrund der aktuellen Motorsport-Entscheidungen läuft der mögliche Formel-1-Einstieg von Audi zum Jahr 2026. Mit erneuter Verzögerung soll das künftige Reglement in der zweiten Woche der Sommerpause via E-Voting vom WMSC endlich beschlossen werden - vorher werden sich Audi und auch Porsche nicht rühren.

Die Verhandlungen haben sich inzwischen derart lange hingezogen, dass die Newcomer Probleme bekommen, vor allem Audi. "Sie haben unterschätzt, was für Bastarde hier in Formel 1 unterwegs sind", meint ein Teamchef. "Audi und Porsche haben sich zu früh zu klar zu ihrem Vorhaben Formel-1-Einstieg bekannt." Anschließend begannen die politischen Spielchen von Ferrari und Mercedes.

Vor allem für Audi wird das Zeit-Problem immer ernster. Zwar wurde alles vorbereitet, um so schnell wie möglich loslegen zu können, aber es ist nach Meinung von Experten für einen möglichen Einstieg 2026 bereits zu spät. Bis Prüfstände geliefert und installiert werden, vergehen weitere Monate. Der mögliche Porsche-Partner Red Bull Powertrains ist meilenweit voraus, die bestehenden Hersteller Lichtjahre. Noch immer gibt es Zweifel, ob Audi seine F1-Pläne tatsächlich durchzieht, oder nicht doch noch den Stecker zieht. Fakt ist: Darüber wird intern im Volkswagen-Konzern kontrovers diskutiert...

Dakar-Prototyp braucht neues Chassis

Am 30. November 2020 stellte Audi Sport ein Engagement bei der Rallye Dakar als neue Speerspitze des Werkssports vor. Im gleichen Zuge kündigten die Ingolstädter ihren Werksausstieg aus der Formel E zum Ende der Saison 2021 an - überraschenderweise ein Jahr vor dem Ablauf der Gen2-Ära mit einem erfolgreichen Rennwagen und einem ebenso erfolgreichen wie bestehenden Team Abt Sportsline.

Beim Dakar-Debüt zu Beginn dieses Jahres hatten die technologisch komplizierten Dakar-Prototypen schon früh keine Chancen auf den Gesamtsieg. Mit vier Tagessiegen wurde das Projekt intern bei Audi aber auch aus PR-Sicht als Erfolg gewertet. Für den zweiten Einsatz im Jahr 2023 musste Audi ab dem Frühjahr neue Chassis für seine Dakar-Autos entwickeln und damit auch wieder viel Geld in die Hand nehmen, weil die Dachkante zu schmal für das Reglement konzipiert worden ist.

Foto: Red Bull
Foto: Red Bull

Formel E: Audi zieht überraschend den Stecker

Audis Ausstieg aus der Formel E nach 2021 - zusammen mit BMW - stieß vielerorts auf Unverständnis, hatte die Marke doch gerade erst die Elektrifizierung seiner Serienmodelle vorangetrieben. Umso überraschender kam der Ausstieg, weil der Zyklus des damaligen Gen2-Rennwagens noch eine Saison länger lief und Audi gerade erst ein komplett neues Formel-E-Auto in House entwickelt hatte.

"Es ist schade, dass wir das in Saison 4 begonnene Projekt (Audi-Übernahme des Abt-Teams; d. Red.) nicht in dieser Saison beenden konnten", sagte der langjährige Audi-Werksfahrer Lucas di Grassi dieses Jahr zu Motorsport-Magazin.com. "Die Kosten hätte man managen können, alles war fertig entwickelt. Wenn Audi auf ordentlichem Wege hätte aussteigen wollen, dann hätten sie das zum diesjährigen Saisonende machen können."

Der Brasilianer, der 2017 mit Abt-Audi die Fahrer-Meisterschaft und 2018 mit dem Audi-Werksteam den Team-Titel gewann, weiter: "Ich wünsche Audi weiter viel Erfolg bei der Dakar und in der Formel 1, falls sie sich zum Einstieg entscheiden sollten. Aber bei der Marke läuft aktuell vieles kompliziert, wie ich höre. Ich verdanke Audi sehr viel, aber es ist etwas traurig, dass da einiges zerbröckelt ist."

Beim Werks-Engagement in der Elektro-Rennserie hat Audi obendrein viel Geld verloren, weil man die millionenschwere Startlizenz nicht - wie es möglich gewesen wäre - frühzeitig verkauft hat. Eine aus Sicht von Formel-E-Insidern grobe Nachlässigkeit im Sinne des Unternehmens.

Seebach folgt auf Audi-Motorsportchef Gass

Im Zuge des damaligen Audi-Bebens mit Dakar-Einstieg und Formel-E-Ausstieg wurde Julius Seebach zusätzlich zu seiner Funktion als Geschäftsführer der Audi Sport GmbH auch als neuer Verantwortlicher für die Motorsportaktivitäten des Autobauers vorgestellt. Seebach folgte auf in dieser Funktion auf Dieter Gass, fast zehn Jahre lang in leitenden Positionen bei Audi Sport und von 2017 bis 2020 als Audi-Motorsportchef für den nachweislich vorhandenen sportlichen Erfolg mitverantwortlich.

Aus welchen Gründen Gass auf angeblich wenig galante Art und Weise abgesägt wurde, ist bis heute nicht vollständig bekannt oder von Audi kommuniziert worden. Der ehemalige Motorsportchef ist seit der in der Szene heiß diskutierten Personalentscheidung weiterhin bei Audi angestellt, soll aber bislang mit keiner neuen Aufgabe betreut worden sein.

Seebach selbst soll nach Informationen von Motorsport-Magazin.com demnächst eine andere Aufgabe bei Audi übernehmen. Mit Rolf Michl, seit April 2022 neuer Chief Operating Officer bei Audi Sport, wie Motorsport-Magazin.com im März exklusiv berichtet hatte, stünde ein Mann mit Motorsport-Erfahrung im Unternehmen parat.

Personal-Hammer: Führungskraft Roos weg

Es war ein Personal-Hammer: Mitten in der heißen Phase der Dakar-Vorbereitungen berichtete Motorsport-Magazin.com exklusiv, dass Andreas Roos Audi Sport zum 30. September 2021 verlassen hat. Roos zählte zu den wichtigsten Mitarbeitern bei Audi Sport, zuletzt war er Projektleiter für alle werkseitigen Motorsportaktivitäten des Autobauers aus Ingolstadt.

Roos zählte zu den langjährigen Mitarbeitern bei Audi Sport. Nach Anfängen bei den Teams Rosberg und Abt Sportsline, übernahm er 2012 die Technische Leitung für den LMP-Renneinsatz bei Audi Sport. Es folgten leitende Positionen in den Rallycross- und DTM-Programmen, bis Roos ab Januar 2021 die Projektleitung Werksmotorsport bei Audi Sport übernahm.

Von Audi Sport wechselte Roos zur bayerischen Konkurrenz von BMW M Motorsport, wo er am 01. Februar 2022 als neuer Motorsportchef auf Mike Krack (zu Aston Martin in die Formel 1) folgte. Stefan Dreyer übernahm als Leiter Entwicklung bei Audi Motorsport.

Von Audi zu BMW: Motorsportchef Andreas Roos und WRT-Teamchef Vincent Vosse, Foto: BMW M Motorsport
Von Audi zu BMW: Motorsportchef Andreas Roos und WRT-Teamchef Vincent Vosse, Foto: BMW M Motorsport

Rockenfeller verabschiedet sich mit Kritik

Während des DTM-Rennwochenendes auf dem Hockenheimring 2021 gab Mike Rockenfeller bekannt, Audi nach 15 gemeinsamen Jahren zu verlassen. Der DTM-Meister von 2013 kehrte in den Prototypen-Sport zurück und bestreitet 2022 IMSA-Rennen mit Cadillac. Zudem schnuppert Rocky am kommenden Wochenende in Watkins Glen in die höchste NASCAR-Rennserie rein.

Bei seinem Abschied ließ Rockenfeller aufhorchen und sagte in aller Deutlichkeit: "Ich brauche ein neues Umfeld. Dinge entwickeln sich und man bespricht sie, oder eben nicht. Ich war immer happy, dass ich so eine loyale Firma wie Audi als Partner hatte und andersherum genauso. Ich habe immer versucht, mich in den Dienst der Marke zu stellen. Das wurde immer gegenseitig wertgeschätzt. Das Gefühl habe ich nicht mehr."

Daniel Abt bei Audi rausgeworfen

Schon vor all den jüngsten Motorsport-Umstrukturierungen und Personalwechseln ging es turbulent zu bei Audi. Der Grund: Daniel Abt. Wegen eines 'Computerspiel-Skandals' setzten die Ingolstädter den Audi-Werksfahrer während der laufenden Saison vor die Tür. Rene Rast bestritt die letzten Rennen anstelle des Kempteners.

Was von Abt als Scherz und höchst naiv geplant war, ging komplett in die Hose - und kostete ihn wegen aufkommender und harscher Betrugsvorwürfe schlaflose Nächte sowie letztendlich den Job bei Audi. Nach anfänglicher Social-Media-Wut auf Abt drehte sich der Wind und Audi kassierte den erwarteten üblen Shitstorm.

Szene-Kenner sind sich rückblickend einig: Der Audi-Konzern wäre durch das simple Auslaufen des Vertrages zum Saisonende wesentlich galanter weggekommen, als Abt sang- und klanglos vor die Tür zu setzen. Eine offizielle Pressemitteilung gab es zudem nie. Ein gut versteckter Hinweis lediglich auf der allgemeinen Audi-Webseite, versehen mit Schlagworten wie "Transparenz", "Integrität" oder "Alternativlosigkeit", sorgte für weiteres Kopfschütteln.

Abt hingegen war rehabilitiert, auch wegen seiner ausführlichen Erklärung auf der Video-Plattform YouTube, die er erst nach der Suspendierung veröffentlichen durfte - und die zwischenzeitlich den ersten Platz in den heutzutage durchaus relevanten YouTube-Charts belegte.

Mit Audis DTM-Ausstieg ging alles los

Es war der erste große Motorsport-Beschluss des neuen Audi-Vorstandsvorsitzenden Markus Duesmann, der sein Amt kurz zuvor zum 01. April 2020 aufgenommen hatte: Am 27. April 2020 kündigte Audi an, sein werksseitiges Engagement in der DTM nach der Saison einzustampfen und den Vertrag mit der DTM-Organisation ITR nicht zu verlängern.

Der Audi-Vorstand begründete das Aus damals mit wirtschaftlichen Herausforderungen infolge der Corona-Pandemie und einem "Weg zum Anbieter bilanziell CO2-neutraler Premiummobilität". Das Formel-E-Engagement wurde damals bestätigt und nur ein Jahr später schon wieder eingestampft. BMW hielt es ähnlich und beendete in der Folge ebenfalls seine Werksengagements in der DTM sowie in der Formel E.

Volker Nossek verstorben

Im Mai 2021 versetzte der Tod von Volker Nossek im Alter von nur 59 Jahren die Audi-Familie in große Trauer. Der gebürtige Leverkusener war seit 1996 für Audi Sport tätig und von 2004 bis 2020 in leitenden Positionen eine der zentralen Schlüsselfiguren in Audis DTM-Programm. Zuletzt bekleidete er das Amt des DTM-Projektleiter Organisation für Audi.

Zuvor hatte Nossek ab 2002 für Audi Sport bereits das Kundenteam ABT Sportsline in der DTM betreut, als die Mannschaft aus Kempten mit Laurent Aiello die Meisterschaft gewann und nach dem Werkseinstieg 2004 mit Mattias Ekström einen weiteren Titelgewinn folgen ließ. Nossek, von Freunden nur 'Volki' genannt, arbeitete sogar schon ab 1999 mit den Äbten zusammen.

Foto: Audi Communications Motorsport
Foto: Audi Communications Motorsport

Fazit: Bei all dem Beben und den dem Vernehmen nach nicht ganz geräuschlosen Trennungen rechnet man intern auch weiterhin nicht mit guten Nachrichten rund um Audi Motorsport. Aktuelle und ehemalige hochrangige Audi-Mitarbeiter sprechen sogar von einem Zerschlagen der einst stolzen und äußerst erfolgreichen Motorsportabteilung, deren Zukunft mehr als ungewiss ist. Sollte das Formel-1-Engagement nun in letzter Konsequenz doch noch gekippt werden, stünde der Autobauer aus Ingolstadt mit seiner Rennabteilung vor einem großen Scherbenhaufen.