"Immer, wenn man eine neue Regelung einführt, hat man gewisse Hoffnungen. Aber ich bin mir sicher, dass wir damit dem Ziel, mit der DTM eine spannende Rennserie zu bieten, noch einmal einen Schritt näher kommen." So kommentierte ITR-Präsident Hans Werner Aufrecht zum Beginn der Saison die so genannte Zusatzgewichtsregel, die sogleich Gegenstand kontroverser Diskussionen wurde. Während die Kritiker und Motorsportpuristen in der neuen Regelung eine Verzerrung sportlicher Ergebnisse sahen und sie als "Lex Opel" verhöhnten, erwarteten die Befürworter mit Spannung einen noch ausgeglicheneren Kampf um die Meisterschaftskrone - wohlgemerkt mit tatkräftiger Beteiligung Opels.

Manuel Reuter akzentuierte den diesbezüglichen Zwiespalt innerhalb der DTM: "Wenn du Rennen gewinnst, bist Du mit Sicherheit kein Fan davon. Aber im Sinne der DTM und der möglichen Sieger tut es der DTM und der Spannung gut." Nachdem die Zusatzgewichte seit einer halben Saison festes Bestandteil der DTM geworden sind, sind das Misstrauen, aber auch die Euphorie, etwas verflogen. Wir analysieren zur Saisonhalbzeit die bisherigen Ergebnisse der Zusatzgewichtsregel.

Die Theorie…

Ein paar unscheinbare Bleiplatten am Unterboden der Fahrzeuge als Aufwertung der DTM? Obgleich die Bleiplatten ein eher unscheinbares Dasein fristen und sie der DTM-Anhänger kaum persönlich zu Gesicht bekommen wird - in ihrer Minimalzahl galten sie als tatkräftige Helferlein auf dem Weg zum Erfolg, während sie in ihrer Maximalzahl zum eher als unangenehmer Beifahrer wahrgenommen wurden. Der Anweisung, sich der siegreichen Marke zusätzlich - allerdings bis maximal 1.070 Kilogramm - in 10-Kilo-Stärke aufzudrängen haben sie bislang Folge geleistet; vor der am wenigsten erfolgreichen Marke galt es, ebenfalls in 10-Kilogramm-Stärke, die Flucht zu ergreifen - bis minimal 1.030 Kilogramm.

Die Lex Opel - ein zu Saisonbeginn viel zitierter Vorwurf, Foto: Sutton
Die Lex Opel - ein zu Saisonbeginn viel zitierter Vorwurf, Foto: Sutton

Obgleich die Bleiplatten es sich gefallen lassen müssen, hinsichtlich des Ortes frei wählbar und somit zu Gunsten eines erträglichen Handlings platziert zu werden, erscheint im Gegenzug ihr Einfluss auf die Performance des Teams wenigstens in der Theorie bemerkenswert: Während sie in Maximalstärke an Steigungen gerne mal auf die Bremse treten, bei besonders starker Verzögerung die Bremsen einer Belastungsprobe aussetzen und die zirka 500 Pferdestärken beim Beschleunigen ein wenig zu bändigen versuchen, erweisen sie sich im Regen als vorteilhaft und lassen das Fahrzeug etwas satter auf dem glitschigen Asphalt liegen. Sind die Bleiplatten hingegen zur erfolgreicheren Konkurrenz übergetreten und ein Gewicht von 1.030 Kilogramm erreicht, so kann man mit Genugtuung auf das Handicap der Konkurrenz blicken und die eigenen Vorteile in ebendiesen Bereichen genießen.

Die Rechenkünstler der DTM sahen in der neuen Regelung längst gefundenes Fressen, konnte man doch nun im Vorfeld der Rennen rechnerisch über die Auswirkungen der Zusatzgewichte auf die Rundenzeit spekulieren: Während bei einer 1.060 Kilogramm schweren C-Klasse für den Eurospeedway ein Nachteil von gut einer Zehntelsekunde prognostiziert worden war, sah man die C-Klasse in Spa-Francorchamps angesichts eines Gewichts von 1.070 Kilogramm nun einem Nachteil von gar vier bis fünf Zehnteln pro Runde ausgesetzt.

… und die Praxis

Und obgleich Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug Rennen für Rennen nicht müde wurde, den stetigen Gewichtsnachteil seiner DTM-Flotte explizit zu erwähnen, konnten selbst die vollzählige Anwesenheit von Bleiplatten Mika Häkkinens Sieg - in einer C-Klasse auf der berüchtigten Ardennenachterbahn Spa - nicht verhindern. Zugleich wartet Opel, schon seit Spa beständig mit dem Minimalgewicht unterwegs, noch immer auf den ersten DTM-Sieg seit nahezu fünf Jahren…

Gary Paffett ließ sich vom Gewichtsnachteil nicht beeindrucken., Foto: Sutton
Gary Paffett ließ sich vom Gewichtsnachteil nicht beeindrucken., Foto: Sutton

"Wir sehen, dass sich das Gewicht auf der Uhr nicht so bemerkbar macht, wie ursprünglich berechnet", bestätigt Opel-Sportchef Volker Strycek. Seine Begründung zeigt, dass sich die Bezeichnung "Lex Opel" selbst ad absurdum geführt hat: "Wir haben gesehen, dass ein Mercedes mit 40 kg mehr gegenüber Opel oder Audi immer noch Rennen gewinnen konnte. Und wir haben auch gesehen, dass der Mercedes auf der Bergaufpassage in Brünn trotz des Mehrgewichts von 40 kg eine schnellste Zwischenzeit gefahren ist. Daran kann man erkennen, dass das Gewicht hilft, am Ende aber nicht als dominante Größe über Sieg oder Niederlage entscheidet."

Noch weiter geht der dreifache DTM-Champion Klaus Ludwig. Auf die Frage, welchen Einfluss die neue Gewichtsregelung auf das Kräfteverhältnis der drei Hersteller ausübe, verriet er uns seine Einschätzung: "Im Moment würde ich sagen: Gar keinen. In Oschersleben sind die beiden 'Spitzenautos' mit dem gleichen Gewicht gefahren und bei Opel wusste man ja von Anfang an, dass der Wagen nicht ganz so gelungen ist. Deshalb konnte selbst diese extreme Gewichtsdifferenz Opel nicht nach vorne spülen." Ludwig ergänzt: "Es gilt also das alte Sprichwort: Wenn man ein neues Auto designt, muss man in der DTM wie in der Formel 1 alle Register ziehen, sonst baut man kein Siegerauto."

Obgleich der Wahrheitsgehalt den Bekanntheitsgrad dieses "Sprichworts" zweifellos bei weitem übertrifft - ein gänzlich fehlender Einfluss der Zusatzgewichte scheint als Einschätzung durchaus gewagt, auch wenn der bislang einzige Audi-Sieg in Brünn bei weitem nicht nur Resultat eines 20 Kilogramm schweren Gewichtsvorteils gegenüber Mercedes war.

Profitierten in Brünn auch vom Ge-wichtsvorteil: Strycek & Frentzen., Foto: Sutton
Profitierten in Brünn auch vom Ge-wichtsvorteil: Strycek & Frentzen., Foto: Sutton

Insbesondere bei Opel offenbarte sich der Einfluss der Gewichtsregelung: Parallel zur beständigen Verbesserung des anfangs noch problematischen Handlings des Vectra GTS V8 führte auch der Gewichtsvorteil zu Achtungserfolgen. Gerade in Spa, Brünn und Nürnberg, wo ein besonders hoher Einfluss der unterschiedlichen Gewichte der aktuellen Fahrzeuge der drei Hersteller erwartet worden war, präsentierten sich auch die Hessen als konkurrenzfähig und letztlich nur um Nuancen schwächer als die bayrische und schwäbische Konkurrenz. Sowohl die provisorische Doppel-Pole nach dem Qualifying in Spa, der dritte Platz Heinz-Harald Frentzens in Brünn als auch die letztlich unbelohnte, gute Performance der Opel auf dem Norisring demonstrierten, dass die Gewichtsdifferenzen zwar nicht Ausschlag gebend für triumphale Siege und bittere Niederlagen sind, aber dennoch die Spannung zu erhöhen vermögen.

Volker Strycek zieht somit ein positives Fazit. "Es ist also ein sehr gutes Tool, welches auch schon in vielen anderen Meisterschaften für einen sehr guten Ausgleich und eine Kostenreduzierung gesorgt hat", gab der Opel-Sportchef auch den durch die Zusatzgewichte verminderten Reiz eines allzu kostspieligen technischen Wettrüstens zu bedenken. "Man ist kalkulatorisch immer mit dem Einfluss des Gewichts unterwegs, aber was dann real auf der Uhr zu sehen ist, ist noch einmal etwas anderes. Aber das ist auch gut so. Der Einflussfaktor ist da, keine Frage, und dementsprechend begrüßen wir das auch."

Dass das neue Gewichtsreglement mittlerweile eine hohe Akzeptanz genießt, bestätigt insbesondere das Statements Bernd Schneiders - der sich trotz bislang weniger zählbarer Erfolge seit Wochen den Zusatzgewichten in seiner C-Klasse stellen muss: "Ich finde es gut. Sportlich ist es für einen Fahrer natürlich nicht ganz nachvollziehbar, dass er für Siege bestraft wird. Aber wir betreiben den Rennsport nicht nur, damit die Fahrer ihren Spaß haben. Wir möchten Spannung für die Zuschauer erzeugen und da dies momentan der Fall ist, heißt dies für mich, dass das Reglement funktioniert."