Es war das Mega-Thema kurz vor dem Start in die neue DTM-Saison: BMW erhält nach dem Rückstand des Vorjahres einen Vorteil geschenkt, darf 7,5 Kilo ausladen und den Heckflügel um 50mm verbreitern. Fahrer und Vorstände der Konkurrenz zeigten sich auch öffentlich alles andere als begeistert von der Lösung. Zu viel? Zu wenig? Es bestand zumindest die Sorge, dass BMW mit dem Light-Auto den Auftakt in Hockenheim dominieren würde.

Am Ende erst einmal viel Wirbel um nichts: Die Münchner hinkten in den ersten beiden Rennen des Jahres weiter hinterher, wenn auch nicht mehr so arg wie 2015. Der erste Eindruck lässt vermuten, dass die Zugeständnisse an BMW fair ausgefallen sind. Dennoch blieb eine Frage im Raum: Warum bekam BMW ohne großes Zutun einen Vorteil geschenkt, während Mercedes 2014 viel Geld investierte, um das zu schwache Auto weiterzuentwickeln?

Unfaire Bevorteilung für BMW?

Zahlreiche Fans konnten diesen Schritt nicht nachvollziehen, empfanden die BMW-Lösung für 2016 als unfair. Motorsport-Magazin.com erklärt, warum es für die DTM zu diesem Zeitpunkt keine passendere Lösung gab. Die Wurzel allen Übels ist dabei das strikte Reglement, auf das sich alle Hersteller Anfang 2014 geeinigt hatten. Die Homologation wurde damals auf drei Jahre festgelegt, um eine Entwicklungs- und damit Kostenexplosion zu verhindern. Die neue DTM hatte aus den Fehlern der alten gelernt.

Damit ging allerdings für Audi, BMW und Mercedes das Risiko einher, einen Wettbewerbsnachteil über einen langen Zeitraum in Kauf nehmen zu müssen. Als klar wurde, dass sich Mercedes mit seinem Auto verkalkuliert hatte, einigten sich die Parteien nach zahlreichen Diskussionen auf eine erweiterte Homologationsphase für die Stuttgarter. Drei Monate wurden Mercedes zugestanden, um das Auto weiterzuentwickeln - wohlgemerkt im Rahmen des bestehenden Reglements. Dieser Schritt kostete den Hersteller nicht nur viel Geld, sondern brachte auch das Risiko mit sich, weiterhin nicht den Anschluss zu finden.

Mercedes gelang es jedoch, einen Fortschritt zu erzielen, um über die kommenden zweieinhalb Jahre hinweg konkurrenzfähig zu sein. Bei BMW sieht es anders aus. Der aktuelle M4-Bolide kommt nur noch in dieser Saison zum Einsatz, ab 2017 wird das Technische Reglement angepasst. Theoretisch hätte das Reglement verändert werden können, um BMW die Möglichkeit zu geben, das Auto weiterzuentwickeln. Die Folgen wären jedoch nicht absehbar gewesen.

BMW kann aufgrund des Gewichts wieder besser mithalten, Foto: BMW
BMW kann aufgrund des Gewichts wieder besser mithalten, Foto: BMW

Warum Gewicht statt Entwicklung?

"Das Gewicht war die am einfachsten zu kontrollierende Variable", bestätigte Mercedes-Teamchef Ulrich Fritz gegenüber Motorsport-Magazin.com. "An die Motorleistung oder sowas wollten wir nicht ran, auch wegen möglicher Zuverlässigkeitsprobleme." Hätte BMW im Falle einer Reglementöffnung plötzlich ein zu starkes Auto gehabt oder wären weitere Probleme aufgetreten, hätten sich diese innerhalb der laufenden Saison aus Zeitgründen nicht mehr lösen lassen.

"Ich habe eine Schar an Ingenieuren in München, die nichts lieber gemacht hätte, als das Auto zu entwickeln", sagte BMW Motorsportdirektor Jens Marquardt auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. "Klar, das hätte Geld gekostet. Aber das Reglement gibt es nicht her. Ich kann nicht sagen: ‚Ich mache das Reglement auf´. Keiner weiß, was dabei herauskommt. Wenn ich sozusagen Pandoras Büchse öffne, habe ich viele Freiheiten."

Heckdeckel statt Heckflügel: Timo Glock nach Podest disqualifiziert, Foto: DTM
Heckdeckel statt Heckflügel: Timo Glock nach Podest disqualifiziert, Foto: DTM

Wie kam es zu einer Lösung?

Anhand einer Analyse der Deltazeiten aus dem Vorjahr wurde schließlich bestimmt, wie viele Zugeständnisse BMW beim Gewicht erhalten sollte. "Man hat alle möglichen Rechnungen angestellt", sagte ITR-Chef Hans Werner Aufrecht in einer kleinen Medienrunde, bei der auch Motorsport-Magazin.com dabei war. "Sicher gingen da auch die Meinungen auseinander. BMW hat mehr gewollt, die anderen wollten weniger zugestehen. Das ist doch normal."

In der Tat dauerte es eine ganze Weile, bis sich alle drei Hersteller auf eine Lösung geeinigt hatten. Um die Weihnachtszeit herum begannen konkrete Diskussionen. "Am Schluss war es natürlich ein Kuhhandel", so Mercedes-Mann Fritz. "Der eine wollte mehr, der andere weniger." Aufrecht zur Causa BMW: "Die Herren Ingenieure sind der Auffassung, dass man damit alle auf Null stellt, dass die Voraussetzungen geschaffen wurden, dass alle gleich schnell sind."

Was ist mit dem breiteren Heckflügel?

Nun stellt sich allerdings die Frage, wieso BMW den Heckflügel verändern durfte, um die anfällige Hinterachse in den Griff zu bekommen. Schließlich musste hierfür ins eigentlich eingefrorene Reglement eingegriffen werden - was aber theoretisch nicht möglich ist. Die Erklärung: Da es sich beim Heckflügel um ein Einheitsbauteil handelt, waren die Veränderungen für Regelhüter und Konkurrenz am besten einschätzbar.

Im Windkanal wurde unter Aufsicht getestet, welche Auswirkungen die Verbreiterung des Heckflügels mit sich bringt. "Bei einem Einheitsbauteil kannst du relativ gut nachvollziehen, was die Änderung bewirkt", sagte Marquardt. "Der aerodynamische Freiheitsbereich ist hingegen relativ komplex." So wurde im Technischen Reglement 2016 ein Heckflügel mit der Kennung EB-023.1 hinzugefügt, den ausschließlich BMW benutzen darf. Für Mercedes und Audi ist der Einsatz dieses Teils nicht vorgesehen.

So sieht der angepasste Heckflügel von BMW aus, Foto: Motorsport-Magazin.com
So sieht der angepasste Heckflügel von BMW aus, Foto: Motorsport-Magazin.com

Warum erst jetzt die Anpassung?

Bleibt noch zu klären, warum es ganze zwei Jahre dauerte, bis klar wurde, dass BMW einen Nachteil gegenüber den anderen Herstellern hat. Vor allem angesichts des Titelgewinns durch Marco Wittmann 2014 sowie dem Gesamtsieg in der Herstellermeisterschaft 2015. Nicht unberechtigte Frage: Wenn der BMW so benachteiligt war, wie konnte er dann Titel gewinnen?

"Es scheint, als ob unser Paket wahnsinnig spitz war und Marco einfach 110 Prozent herausholen konnte", suchte Marquardt nach einer Antwort. "Er war ja auch im Vergleich zu seinen Teamkollegen in einer anderen Welt unterwegs." Tatsächlich war Martin Tomczyk als zweitbester BMW nur Sechster in der Fahrermeisterschaft 2014 und mit Maxime Martin nur ein weiterer BMW-Fahrer in den Top-10.

Der Herstellertitel 2015 lässt sich am besten durch den Erfolgsballast erklären. Allein wegen des enormen Gewichtsvorteils zum Saisonende waren die Münchner konkurrenzfähig und profitierten zudem von der Audi-Strafe infolge des Spielberg-Skandals. Marquardt: "Über den Winter hatte gar nichts mehr funktioniert. Es kann aber nicht sein, dass unsere Fahrer das Fahren verlernt haben oder die Ingenieure, wie man Autos einstellt. Da sind einfach viele Kleinigkeiten dabei gewesen."

Deshalb war die BMW-Lösung am sinnvollsten

  • Eingefrorenes Reglement zwingt alle Hersteller zur Zusammenarbeit
  • Reglementöffnung hätte unabwägbare Risiken mit sich gebracht
  • Gewichtsanpassung als kontrollierbarste Variable
  • Heckflügeländerung gut einschätzbar, weil Einheitsbauteil
  • Kostenfaktor: Aktueller BMW nur noch dieses Jahr im Einsatz
  • Hockenheim hat gezeigt: Anpassung in vertretbarem Rahmen
  • Duell auf Augenhöhe hilft der DTM im Wettbewerb mit anderen Serien

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com meint: Die Bevorteilung von BMW war sicherlich alles andere als ruhmreich für die Serie - auch nicht für die Münchner selbst, die öffentlich eingestehen mussten, im Hintertreffen zu sein. Doch allen voran das Reglement zwang die DTM zu dieser Entscheidung, um einen Wettbewerb auf Augenhöhe zu schaffen. Hockenheim hat gezeigt, dass sich die acht BMW-Fahrer auf ein weiteres schwieriges Jahr einstellen müssen. Am Ende wäre aber niemandem damit geholfen gewesen, den M4 noch einmal hinterherfahren zu sehen. Das kann sich eine Serie mit nur drei Herstellern, die es in der öffentlichen Wahrnehmung ohnehin nicht einfach hat, nicht leisten. (Robert Seiwert)