Volkswagen hat Nasser Al-Attiyah in diesem Jahr neu verpflichtet. Der Araber aus Katar, der im Vorjahr den FIA Marathon-Rallye-Weltcup gewonnen hat, bestreitet die Rallye Dakar zum ersten Mal für ein Werksteam. Den Race Touareg hat der 38 Jahre alte Profi-Pilot bereits bei zwei Einsätzen in der Saison 2009 kennengelernt. Parallel dazu hat Nasser Al-Attiyah auch in diesem Jahr eine Saison im Sprint-Rallyesport absolviert und vor wenigen Tagen zum sechsten Mal die Mittelost-Rallyemeisterschaft der FIA gewonnen. Im Interview bezieht er Stellung vor seinem ersten "Dakar"-Start für Volkwagen.

Am 5. Dezember haben Sie zum sechsten Mal die Mittelost-Rallyemeisterschaft gewonnen - herzlichen Glückwunsch. Wie würden Sie die beiden Disziplinen Sprint-Rallyesport und Marathon-Rallyesport miteinander vergleichen?
"Danke für die Glückwünsche. Tatsächlich mag ich beide Sportarten sehr gern und betreibe sie deshalb auch parallel. Bei den Gruppe-N-Fahrzeugen in Sprint Wettbewerben wie der Mittelost-Rallyemeisterschaft oder der Produktionswagen-Rallyeweltmeisterschaft geht es eher um reines Tempo. Technisch muss ich 100 Prozent perfekt fahren. Im Marathon- Rallyesport muss man stärker seinen Kopf benutzen, denn dort geht es nicht nur um Tempo."

Sie betreiben schon lange Marathon-Rallyesport. In der Saison 2009 unterschrieben Sie einen Vertrag mit dem Werksteam von Volkswagen. Was sind die größten Stärken dieser Mannschaft im Vergleich zu anderen Teams?
"Die größten Unterschiede lassen sich mit zwei Eigenschaften umschreiben: VW ist ein offizielles Werksteam und eine professionelle Mannschaft. Damit sind alle Ressourcen und Voraussetzungen gegeben, um erfolgreich Marathon-Rallyesport zu betreiben, was die Ergebnisse der Mannschaft beweisen."

Zum ersten Mal starten Sie für ein Team, das die Rallye Dakar bereits gewonnen hat. Lastet dadurch eher Erwartungsdruck auf Ihnen oder sehen Sie diesen Sieg als große Hilfe für Ihre Arbeit?
"Ich sehe das als eine große Hilfe, nicht als eine Belastung. Volkswagen unterstützt meine Ambitionen perfekt. Auch zuvor habe ich noch nie Druck empfunden."

Sie waren in Ihrem vorherigen Team klar der führende Fahrer. Jetzt sind Sie Bestandteil eines besonders starken Aufgebots, das Kris Nissen für Volkswagen geschmiedet hat. Was bedeutet das für Sie?
"Tatsächlich hat Kris Nissen das stärkste Fahreraufgebot zusammengestellt. Es fühlt sich sehr gut an, ein Teil davon zu sein. Ich glaube, dass Kris mich ausgewählt hat, weil ich im Marathon-Rallyesport gezeigt habe, dass ich einer der Schnellsten bin."

Welche Eigenschaften des Race Touareg schätzen Sie besonders?
Am meisten schätze ich die kompromisslose grundsätzliche Auslegung: Es ist ein stabiles und waschechtes Rallyefahrzeug."

Ihr neuer Beifahrer ist Timo Gottschalk. Mit welchen Worten würden Sie Ihre Zusammenarbeit beschreiben?
"Timo ist ein guter Beifahrer. Aber unsere gemeinsame Arbeit hat erst vor kurzem begonnen. Wir befinden uns ganz klar noch in einer Lernphase unserer Zusammenarbeit, was für jede neue Fahrer-Beifahrer-Paarung gilt."

Mit Ihrem Teamkollegen Carlos Sainz haben Sie bei Ihren ersten beiden Einsätzen für Volkswagen - bei der Rallye dos Sertões und der Silk-Way-Rallye - auf Anhieb um den Sieg gekämpft. Was wird bei der Rallye Dakar den Ausschlag über Sieg und die übrigen Platzierungen geben?
"Für mich wird es darum gehen, das gleiche Tempo wie bisher beizubehalten, aber ich benötige mehr Glück. Dann haben wir eine gute Chance."

Wie würden Sie Ihren eigenen Fahrstil mit dem Race Touareg beschreiben?
"Auch wenn es am Ende immer nur um Zeiten geht: Mein Fahrstil ist eher sanft und weich als hart und aggressiv, damit ich wirklich schnell bin."

In Südamerika hat die Rallye Dakar eine neue Heimat gefunden. Sie selbst stammen aus Katar und haben am Golf schon viele Wüstenrallyes bestritten. Was ist die größte Herausforderung der neuen Route?
"Tatsächlich gibt es auch dort Wüsten und Dünen. Und doch hat die Rallye insgesamt einen anderen Charakter. Für mich ist die Natur von Südamerika mit all ihren geologischen Besonderheiten die größte Herausforderung. Wir müssen uns 16 Tage lang bewähren."

Einen Talisman oder einen Aberglauben pflegen Sie als Rallyefahrer nicht. Haben Sie trotzdem Angewohnheiten, die man nicht kennt?
"Es gibt vielleicht einen kulturellen Einfluss, den nicht jeder kennt. Natürlich achten wir als Spitzensportler auf Sporternährung und isotonische Getränke. Aber vor allem in Argentinien trinke ich auch immer wieder gerne Mate-Tee aus Kürbishülsen."

Sie sind nicht nur im Auto ein guter Sportler, sondern auch beim Tontaubenschießen. Sie haben Ihr Land sogar schon bei Olympiaden repräsentiert. Woher stammt Ihr Interesse daran und welche Parallelen bestehen zum Motorsport?
"Das Interesse hat sicher keine ungewöhnlichen Gründe. Bei uns in Katar ist Tontaubenschießen eine sehr populäre Sportart. Die Olympiade ist etwas ganz Besonderes, denn dort habe ich mein Land vertreten, während ich im Motorsport mein Team von Volkswagen und mich selbst repräsentiere. Natürlich überwiegen beim Vergleich von Motorsport mit Tontaubenschießen die Unterschiede. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten, etwa beim Aspekt der Konzentration."

Nicht viele Menschen wissen, dass Sie für die Vereinten Nationen als Sportler eine Botschafterrolle übernommen haben.
"Die Öffentlichkeit sieht in mir natürlich den Rallyefahrer. Aber als die Vereinten Nationen für ihre globale Sportstiftung im Jahr 2006 den ersten Botschafter suchten, war es eine riesige Ehre für mich, dass das Olympische Komitee ausgerechnet mich ausgewählt hat. Die Stiftung hilft jungen Menschen, die von Gewalt und Drogen bedroht sind."

Auf welche Sportarten haben Sie sich bei der Vorbereitung der Rallye Dakar konzentriert?
"Ich absolviere ein ganz klassisches Training im Studio. Und ich schwimme gern viel, um so fit wie möglich zu bleiben."

Welches Ziel haben Sie sich für die Rallye Dakar gesetzt?
"Zusammen mit Timo Gottschalk will ich für Volkswagen um den Sieg fahren. In meinem Trophäenschrank sind noch zwei ganz besondere Plätze frei: einer für die Dakar-Trophäe und einer für eine Medaille bei den Olympischen Spielen."