Nach seinen Erfolgen in der American Le Mans Series und der Le Mans Series steht der Porsche RS Spyder vor einer neuen großen Herausforderung: Der in Weissach entwickelte und gebaute Sportprototyp startet am Samstag um 15.00 Uhr zum ersten Mal zu den 24 Stunden von Le Mans. Porsche-Motorsportchef Hartmut Kristen sieht der Premiere beim härtesten Langstreckenrennen der Welt gelassen entgegen: "Ich bin sicher, dass wir gut vorbereitet sind."
Herr Kristen, was macht für Sie die große Faszination der 24 Stunden von Le
Mans aus?
Hartmut Kristen: "Le Mans ist natürlich der Langstreckenklassiker schlechthin. Für
Porsche als der mit 16 Gesamtsiegen erfolgreichste Hersteller in der
Geschichte dieses Rennens hat es darüber hinaus natürlich auch noch eine
besondere emotionale Bedeutung. Dazu kommt, dass der RS Spyder zum ersten
Mal in Le Mans am Start ist, und das wird sicherlich eine sehr interessante
Sache."
Warum tritt Porsche in Le Mans nicht als Werksteam an, sondern überlässt
den Einsatz der RS Spyder zwei seiner Kundenteams aus der Le Mans Series?
Hartmut Kristen: "Als Werksteam tritt Porsche in Le Mans nur dann an, wenn eine
Gesamtsiegchance besteht. Es gibt für uns überhaupt keinen Grund, mit dem
RS Spyder gegen unsere Kunden anzutreten."
Verfügen diese Kundenteams schon über genügend Erfahrung mit dem RS Spyder?
Hartmut Kristen: "Ich bin sicher, dass sie aus den Rennen, die sie in dieser Saison
schon gefahren sind, einiges gelernt haben. Außerdem werden sie ja auch in
Le Mans von uns betreut."
Wie sieht diese Betreuung aus?
Hartmut Kristen: "Genau so wie bei allen anderen Rennen. Wir stellen den Teams je
einen Motoren- und Fahrzeugingenieur zur Verfügung. Für Notfälle haben wir
Mechaniker vor Ort und sichern die Ersatzteilversorgung. Wir wollen nicht,
dass die Teams unnötig Geld für Teile auf Vorrat ausgeben, nur um auf alles
vorbereitet zu sein. Deshalb haben wir einen Teil unseres Lagerbestands für
den RS Spyder von Weissach nach Le Mans verlegt."
Der Kundensport hat bei Porsche eine große Tradition, ist ein wichtiger
Bestandteil der Motorsportphilosophie. Woher kommt das?
Hartmut Kristen: "Das liegt sicherlich nicht zuletzt daran, dass der erste Porsche,
der 1948 ausgeliefert wurde, nur zwei Wochen nach seiner Auslieferung schon
bei einem Rennen in Innsbruck startete. Früher war es viel
selbstverständlicher, dass mit Sportwagen eben auch Sport betrieben wurde.
Noch in den 50er und 60er Jahren war es ganz normal, dass ein Kunde mit
seinem Porsche 365 mit Nummernschild an die Rennstrecke gefahren ist, mit
dem Fahrzeug am Rennen teilgenommen hat und damit am Abend wieder nach
Hause gefahren ist."
So wie heute noch im Clubsport?
Hartmut Kristen: "Ganz genau. Was wir heute im Clubsport erleben, war damals ganz
normaler Motorsport. Ein Relikt aus dieser Zeit ist ja auch, dass
Sportprototypen von der Ausrichtung des Chassis her auch heute noch
zweisitzige Autos sein sollen. Außerdem wurden Rennen damals ja auch viel
häufiger auf normalen, teilweise abgesperrten Straßen ausgetragen, zum
Beispiel die Targa Florio und das Carrera Panamericana. Auch in Le Mans
wird zum Teil auf öffentlichen Straßen gefahren, so wie vor nicht allzu
langer Zeit auch noch in Spa. Tradition und Historie spielen da eine große
Rolle. Porsche hat auch heute noch sehr viele Kunden, die zum Beispiel
Clubsport betreiben mit ihren straßenzugelassenen Autos. Für Porsche als
Sportwagenhersteller gehört das einfach dazu."
Die 12 Stunden von Sebring waren bisher die längste Renndistanz für den RS
Spyder. Wie bereitete Porsche den Sportprototyp auf die doppelte Distanz
vor?
Hartmut Kristen: "Wir haben mit dem RS Spyder seit 2006 mehrere
24-Stunden-Dauerläufe gefahren. Das ist etwas völlig Normales, auch für den
911 GT3 RSR. Wenn wir ein 24-Stunden-Rennen fahren wollen, müssen wir das
irgendwann auch mal ausprobiert haben. Dazu kommt eine große Anzahl von
Komponentendauerläufen auf unseren Prüfständen, Motor und Getriebe sowieso,
aber auch andere Teile. Das war ein ganzes Paket an Erprobungen, die alle
darauf hingezielt haben, die Autos in Le Mans einsetzen zu können, ohne
dass es ein Vabanque-Spiel wird."
Inwieweit flossen die bei den 12 Stunden von Sebring gesammelten
Erfahrungen mit ein?
Hartmut Kristen: "Grundsätzlich fließen alle Rennergebnisse in die
Weiterentwicklung eines Rennfahrzeugs ein. Ob das nun Sebring ist oder ein
anderes Rennen, spielt eigentlich keine Rolle. Wir sind auch in Sebring mit
einem Auto schon 24 Stunden gefahren, und Sebring ist für das Fahrzeug
wesentlich schwieriger als Le Mans. In Le Mans wird zwar mit einem sehr
hohen Volllastanteil gefahren, die Beanspruchung durch die eigentliche
Strecke ist aber wesentlich geringer als in Sebring. Dort wird viel mehr
geschaltet, außerdem stellen die vielen Bodenwellen eine ganz andere, viel
härtere Belastung dar. Ich bin sicher, dass wir für Le Mans ganz gut
vorbereitet sind."
Wie unterscheidet sich der in Le Mans eingesetzte RS Spyder von dem aus der
Le Mans Series?
Hartmut Kristen: "Vom Motor her gibt´s überhaupt keine Unterschiede. Beim Getriebe wurde nur die Übersetzung der Rennstrecke und den höheren
Geschwindigkeiten angepasst. Bei der Karosserie gab´s einige kleinere
aerodynamische Modifikationen, hauptsächlich im Bereich Unterboden und Bug.
Das sind Varianten der bestehenden Karosserieteile, einfach weil man in Le
Mans aufgrund der Streckencharakteristik mit etwas weniger Abtrieb fahren
kann. Das sind aber keine kompletten Neuentwicklungen."
Gilt das auch für den 911 GT3 RSR?
Hartmut Kristen: "Für den 911 GT3 RSR gibt es in dem Sinn ebenfalls keine
unterschiedlichen Teile. Das Auto wird aber aerodynamisch, also im Bereich
Heckflügel und Bug, natürlich auch auf die spezifischen Anforderungen der
Strecke abgestimmt. In dieser Beziehung ist Le Mans nicht anders als jedes
andere Rennen. Nur dass diese Rennstrecke durch die lange Gerade und die
sehr hohen Geschwindigkeiten Anforderungen an die Autos stellt, die es in
diesem Maße woanders nicht gibt."
Was sind die Ziele von Porsche in Le Mans?
Hartmut Kristen: "Wir wollen mit dem RS Spyder und dem 911 GT3 RSR Klassensiege holen. Wenn man nicht mit einem von der Leistung her deutlich überlegenen LMP1-Fahrzeug an den Start geht, kann man nicht mehr erwarten. Aber wie gesagt: Man muss das Rennen erst mal zu Ende fahren. Ein Klassensieg in LeMans ist ein großer Erfolg."
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