Was für eine Galavorstellung von Francesco Bagnaia am MotoGP-Wochenende in Spielberg! Er stellte seine Ducati am Samstag auf Pole Position. Sowohl Sprint als auch Grand Prix führte er vom Start bis zur Ziellinie an. Im Hauptrennen brummte er seinem ersten Verfolger Brad Binder mehr als fünf Sekunden auf - ein in der aktuellen Ära außergewöhnlicher Abstand.

Die Entwicklung, die Bagnaia in den vergangenen Jahren durchgemacht hat, ist beeindruckend. Er legte in der MotoGP keinen Blitzstart hin, so wie es zuvor Valentino Rossi, Marc Marquez oder Jorge Lorenzo praktiziert hatten. Seine ersten beiden Saisons in der Königsklasse waren geprägt von zu vielen Stürzen und Verletzungen. Die Gesamtränge 15 und 16 waren nach dem Moto2-Titelgewinn 2018 eine herbe Enttäuschung.

Bagnaia erlebte einen harten Einstand in der Königsklasse, Foto: Pramac Racing
Bagnaia erlebte einen harten Einstand in der Königsklasse, Foto: Pramac Racing

Doch Bagnaia ließ sich nicht unterkriegen. Er arbeitete verbissen an seinen fahrerischen Fähigkeiten, spulte unzählige Trainingskilometer mit Dirt-Bikes auf der VR46-Ranch und seiner Ducati Panigale auf den Rennstrecken Italiens ab. 2021 erntete erste Früchte seiner harten Arbeit. Vier Grand-Prix-Siege und Platz zwei in der Weltmeisterschaft beförderten ihn in den Kreis der MotoGP-Spitzenfahrer.

Als großer Titelfavorit ging Bagnaia in die Saison 2022 - und enttäuschte erneut. Schnell, aber extrem fehleranfällig präsentierte er sich in den ersten Rennen des Jahres und hatte bis zum Sommer 91 Punkte Rückstand auf Fabio Quartararo angehäuft. Doch Bagnaia machte eine weitere Wandlung durch. Er reifte als Fahrer, wurde ruhiger und eilte fortan von Erfolg zu Erfolg. So konnte er Quartararo in der größten Aufholjagd der MotoGP-Geschichte noch abfangen und sich sensationell zum Weltmeister 2022 krönen.

Weltmeister! Bagnaia hat es geschafft, Foto: MotoGP
Weltmeister! Bagnaia hat es geschafft, Foto: MotoGP

Für die neue Saison klebte er die Nummer 1 anstatt seiner angestammten 63 an die Front seiner Ducati. Ein Statement - und Bagnaia untermauert seither Rennwochenende für Rennwochenende, warum er die Plakette des amtierenden Champions trägt. Spätestens seit dem Spanien-GP Ende April fährt Bagnaia in Überform, leistet sich keine Fehler und zieht der Konkurrenz so den letzten Nerv. Zuletzt holte er neun von zehn möglichen Podiumsplatzierungen.

Viele Fans führen die aktuelle Dominanz Bagnaias auf sein technisches Paket zurück. Doch damit macht man es sich zu leicht. Ja, die Ducati Desmosedici GP23 ist das beste Motorrad im Feld. Sie will aber auch korrekt bewegt werden, um das maximale Potenzial abrufen zu können. Dass das nicht einfach ist, zeigen die schwankenden Leistungen von Jorge Martin, Johann Zarco und Enea Bastianini, allesamt Spitzenfahrer der MotoGP.

Wieso aber schafft es gerade Bagnaia, mit diesem Bike in einer eigenen Liga zu fahren? Weil er der Prototyp des modernen MotoGP-Fahrers ist. Die Zeiten, in denen gewisse Piloten durch ihre herausragenden Fähigkeiten Schwächen eines Motorrads umfahren konnten, sind technologisch bedingt vorbei. Die aktuelle Generation der MotoGP-Raketen ist extrem sensibel und stellt ihren Fahrern ein extrem schmales Arbeitsfenster zur Verfügung. In genau diesem wollen sie bewegt werden. Bagnaia versteht es besser als alle anderen Fahrer, dem Motorrad genau das zu geben, was es von ihm will. Und er versteht genau, was er ihm im Gegenzug abverlangen kann. So nüchtern und sachlich funktioniert die Königsklasse im Jahr 2023. Das mag Racing-Romantikern widerstreben, doch für Romantik gibt es im Rennsport keine Punkte. Was zählt sind Ergebnisse. Und die Resultate Bagnaias sind über jeden Zweifel erhaben.

In Spielberg konnte Bagnaia niemand das Wasser reichen, Foto: LAT Images
In Spielberg konnte Bagnaia niemand das Wasser reichen, Foto: LAT Images

Dementsprechend ist es fehl am Platz, seine Erfolge zu relativieren. Francesco Bagnaia hat sicherlich nicht das Charisma eines Valentino Rossi oder Marc Marquez, was es für Fans schwierig macht, sich mit 'Pecco Perfetto' zu identifizieren. Die Herzen der Massen wird er in seiner Karriere wohl nicht mehr erobern, sehr wohl aber zahlreiche Siege und WM-Titel. Weil er sich zu einem herausragenden Fahrer gemausert hat, obwohl er nicht mit dem außerirdischen Talent früherer MotoGP-Champions gesegnet ist. Und dafür gebührt ihm der größtmögliche Respekt.