Zugegeben, der Spruch fiel in der GP2 schon oft, und der Autor dieser Zeilen war kein Freund der fast alljährlichen Worte in der GP2: "Nie war das Fahrerfeld so schwach wie diese Saison." Häufig wurde dieser Satz zu Unrecht zitiert, doch diese Saison scheint er zu passen. Nichts unterstreicht das deutlicher als das Monza-Wochenende: Da kommt ein Luca Filippi nach einem Jahr Auszeit zurück in die GP2 und gewinnt direkt auf Anhieb. Ja, der Italiener gehört zu den erfahrensten GP2-Piloten und hat viele Saisons bestritten, dazu ist er sicher nicht langsam, aber: Wenn jemand ein Jahr draußen war, dann zurückkehrt und alle auf Anhieb in Grund und Boden fährt, was ist dann mit den anderen Fahrern los?

Nach 24 Läufen bleibt festzuhalten: Davide Valsecchi (2011: 9.) hat in seiner fünften Saison seinen ersten Titel geholt. Der 25-jährige nutzte zu Beginn des Jahres seinen Erfahrungsvorsprung. In Bahrain war er dermaßen dominant, dass die Fachwelt sich verwundert die Augen rieb. Dass auf dem Wüstenkurs zweimal gefahren wurde, kam Valsecchi zusätzlich entgegen. Er schaffte sogar das Seltenheitsphänomen, an einem Wochenende beide Rennen zu gewinnen. Scheinbar kam alles Gute zusammen: Der Erfahrungsvorsprung plus eine gute Fahrzeug-Fahrer-Strecke-Kombination. Jedenfalls konnte Valsecchi nie wieder an diese Form anknüpfen und holte nur noch einen weiteren Sieg - in einem Sprintrennen mit Reverse Grid.

Heiß Rad-an-Rad-Duelle waren an der Tagesordnung..., Foto: Sutton
Heiß Rad-an-Rad-Duelle waren an der Tagesordnung..., Foto: Sutton

Sein härtester Konkurrent um den Meisterschaftstitel war Luiz Razia (2011: 12.). Der Brasilianer war ebenfalls bereits schon zu lange in der GP2. Seine vierte Saison sollte seine mit Abstand Stärkste werden: nur viermal landete er nicht in den Top-10, wie Valsecchi gelangen auch ihm vier Saisonsiege, von denen er jedoch drei im Sprintrennen holte. Bis zum Hauptrennen im Spa lief alles nach Plan, doch dann erlebte Razia ein rabenschwarzes Wochenende in Monza, was ihn die Meisterschaft kostete. Mit besseren Qualifyings hätte er den Titel definitiv holen können.

Mann des Jahres: James Calado

Meisterschaftsdritter wurde der Mexikaner Esteban Gutierrez (2011: 13. als Rookie). Nach seinen immens starken Auftritten in vielen Nachwuchsklassen tat er sich für in der GP2 auch in seiner zweiten Saison erstaunlich schwer und hatte Mühe, seinen Rookie-Teamkollegen James Calado in Schach zu halten. Dieser war dann auch der einzige Pilot, der diese Saison wirklich herausstach: Der Engländer erinnerte in vielerlei Hinsicht an seinen Landsmann Lewis Hamilton: Er bestach durch enormen Speed und zeigte vor allem eine Kaltschnäuzigkeit im Zweikampf, die nur ganz wenige Fahrer haben. Aggressiv und trotzdem wohlüberlegt stach er in Lücken und vollzog Manöver, bei denen Dreiviertel des Feldes einen sicheren Unfall gebaut hätte.

Calado gewann direkt beim Auftakt in Malaysia - hier noch von der Reverse-Grid-Pole im Sprintrennen aus. Doch er zeigte schnell, dass er es auch im Hauptrennen kann: In Barcelona lag er vorne, doch Giedo van der Garde schnappte ihm mit einem Strategiekniff den Sieg weg. Beim zweiten spanischen Rennen in Valencia führte Calado das Feld in einer dominanten Manier wie Valsecchi in Bahrain vor, hatte aber Riesenpech mit dem Safety Car, das genau auf die Strecke ging, als er gerade an der Boxeneinfahrt vorbei war und seinen obligatorischen Stopp später absolvieren musste. Ein Abziehbild dieser Situation gab es in Silverstone bei Fabio Leimer.

Ein weiterer Brite machte gegen Ende 2012 von sich reden: Max Chilton. Der künftige Marussia-F1-Pilot war die ganze Saison über schnell, zu Beginn fehlte es ihm jedoch an Aggressivität. Wovon die meisten GP2-Fahrer zu viel hatten, davon hatte er zu wenig. Er nahm sich die Kritik jedoch zu Herzen und trat in der zweiten Saisonhälfte aggressiver auf, was ihm zwei Siege in Hauptrennen einbrachte. Er beendete die Saison auf dem vierten Gesamtrang noch vor Calado, der bei den letzten Rennen wegen gesundheitlicher Probleme außer Form war. Auf den sechsten Meisterschaftsrang fuhr Giedo van der Garde, von dem viele wesentlich mehr erwartet hatten.

Keine künstliche Spannung, oder doch?

...und das bei jedem Wetter!, Foto: GP2 Series
...und das bei jedem Wetter!, Foto: GP2 Series

Ansonsten gab es eine Reihe von Piloten, die Rennen gewannen, aber sonst zu wenig Konstanz zeigten: Marcus Ericsson, Johnny Cecotto Jr., Jolyon Palmer, Josef Kral. Außerdem siegte Tom Dillmann beim einzigen Lauf in Bahrain, den Valsecchi nicht für sich entscheiden konnte. Doch leider musste der Franzose die Saison frühzeitig beenden, nachdem ihm das Geld ausgegangen war. Zwölfter Sieger wurde schließlich Luca Filippi, der auch in Singapur auf der Pole stand, bevor alles schief lief. Das spricht sicher für ihn, aber vor allem gegen die Qualität des gesamten restlichen Feldes. Der Unterhaltungswert der Rennen aber war überaus hoch, wie es sein soll.

Zuletzt noch eine Anekdote, die der Redaktion auffiel: Am Ende der Saison 2011 wurde überlegt, KERS in die sowieso schon teuren GP2-Boliden einzubauen. Das wurde von der Chefetage abgelehnt: Der Sinn der GP2 sei es, den besten Fahrer zu finden und nicht die technischen Möglichkeiten auszureizen. Die Rennen sollten nicht durch künstliche Spannung, sondern durch Fahrkönnen auf der Strecke entschieden werden. Und dann führten die Regelmacher 2012 erstmals zwei unterschiedliche Reifentypen ein. Warum dieses strategische Element, wenn es um den Fahrer gehen soll? Auch die Kosten laufen aus dem Ruder, vor allem durch die asiatischen Rennen, die keine eigene GP2-Serie mehr haben.