Die Formel E hat ihre erste Saison mit dem Gen3-Rennauto gemeistert, die Gefühle bleiben jedoch gemischt. Deutliche Kritik am bis zu 350 kW (476 PS) starken Boliden übte nun der Weltmeister von 2022, Stoffel Vandoorne. Der Belgier, der nach seinem Wechsel von Mercedes zu DS Penske auf eine schwierige Saison zurückblickt, zeigte sich nicht gerade als Anhänger der dritten Fahrzeuggeneration.

“Meine Meinung über das Gen3-Auto hat sich seit dem Start nicht wirklich geändert“, sagte Vandoorne während einer DS-Medienrunde. „Das ist weiterhin kein Auto, das ich mag. Uns wurde mehr oder weniger versprochen, dass dieses Auto drei bis fünf Sekunden schneller sein würde als Gen2. Auf den meisten Strecken war das nicht der Fall. Auf manchen etwas langsamer, auf anderen schneller, aber mit 100 kW mehr Power und 80 Kilo weniger nicht das, was man erwarten würde. Aus Sicht der Performance war das ziemlich enttäuschend.“

Vandoorne: Auto wäre mit mehr Grip eine Rakete

Eine klare Ansage direkt von einer der herausragenden Persönlichkeiten in der Formel E und Worte, die bei den Verantwortlichen der Elektro-Serie sowie der FIA ganz sicher ankommen. Zwar sind die Gen3-Autos aus Kostengründen für zwei Jahre eingefroren, aber hinter den Kulissen wird längst ein Gen3-Evo entwickelt, der ab 2025 für zwei Jahre zum Einsatz kommen soll. Diskutiert werden derzeit eine Anpassung des Aero-Pakets sowie eine etwas weichere Reifenmischung, um mehr Performance herauskitzeln zu können.

“Der ziemlich geringe Grip der Reifen spielt eine Rolle“, sagte Vandoorne. „Wir als Fahrer wollen härter pushen können, um bessere und sauberere Rennen zeigen zu können. Ein paar waren etwas chaotisch. Mit anderen Reifen könnten sich ein paar Dinge sofort verbessern. Vor allem auf den Stadtkursen, die wirklich herausfordernd sind. Wenn wir ein bisschen mehr Grip hätten, würden sich die Autos wie eine Rakete anfühlen.“

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Die Formel E und ihre Allwetter-Reifen...

Bekanntermaßen kommen in der Formel E seit jeher Allwetter-Reifen zum Einsatz, um den logistischen Aufwand zu verringern und dadurch die Umwelt weniger stark zu belasten. Die Slick-Thematik gibt es seit einer gefühlten Ewigkeit immer wieder aufs Neue.

Die Seriengründer Alejandro Agag und Alberto Longo scheinen von dieser Idee aber nicht abrücken zu wollen: Auch das künftige Gen4-Auto ab 2027 soll mit Allwetter-Reifen statt mit waschechten Slicks fahren. Immerhin steht eine zusätzliche Heavy-Wet-Variante (‚Taifun-Reifen‘) in der Ausschreibung.

Den neuen Reifenlieferanten Hankook trifft angesichts Vandoornes deutlicher Kritik keine Schuld. Die Südkoreaner haben genau das Produkt entwickelt, das die FIA vorgegeben hatte: ein Reifen, der wenig Verschleiß erzeugt, auf allen Untergründen sicher ist und auch bei regnerischen Verhältnissen bestehen kann. Je weicher und damit performanter der Reifen gestaltet ist, desto mehr leidet die Performance auf nassem Untergrund. Es ist ein schmaler Grat, den Hankook bewältigen muss.

Vergne: „Wir müssen die Allwetter-Reifen aufgeben“

Den Profi-Rennfahrern ist das wenig überraschend egal, für sie steht die Performance an erster Stelle. Vandoornes Teamkollege, der zweifache Formel-E-Meister Jean-Eric Vergne, hatte sich schon zu Jahresbeginn für Slick-Reifen ausgesprochen. Und stimmte jetzt erneut ein: „Wir müssen die Allwetter-Reifen aufgeben. Das ist kein guter Slick und auch kein guter Regenreifen. Für die Nachhaltigkeit wäre das kein Problem und hätte keinen massiven Einfluss.“

Für die nächste Auto-Generation wünschte sich Vergne ebenso eine verbesserte Aerodynamik. Das Gen3-Auto erzeuge einen zu hohen Drag-Effekt, also zu viel Luftwiderstand. Die Auswirkungen dieser Angelegenheit haben Rennen wie in Sao Paulo, Berlin oder Portland gezeigt, in denen lange Zeit kein Fahrer führen wollte, um den Verfolgern bloß keinen Windschatten zu spenden. Der Begriff des ‚Peloton-Racing‘ machte schnell die Runde im Fahrerlager.

“Das Aero-Paket muss sich ändern“, forderte Vergne. „Es ist viel zu draggy und auch die Downforce müsste besser werden. Mehr Downforce und andere Reifen würden das Auto viel schneller machen. Und weniger Luftwiderstand würde für bessere Rennen sorgen. Dann hätten wir Führende, die auch gewinnen wollen, statt Fake-Fehler zu machen, um dadurch absichtlich zurückzufallen.“

Fahrer fürchten neuerliche Energiespar-Schlachten

Vergne und Vandoorne („Es wird vielleicht noch schlimmer!“) erwarten, dass sich derartige Windschatten-Schlachten in der Saison 2024 wiederholen werden. „Zu 100 Prozent“, war Vergne überzeugt. „Jeder hat aus den Rennen gelernt und wird besser. Das wird diesen Effekt noch verstärken. Wenn die Rundenzeiten um bis zu 7 Sekunden variieren, sorgt das für Chaos. Da fahren fünf, sechs Autos nebeneinander auf der Geraden. Das ist gefährlich für die Fahrer, und niemand mag das. Leider müssen wir damit umgehen, und dann eben die Besten darin sein.“

Formel E, DS Penske, Vandoorne, Vergne
Vandoorne und Vergne starten auch 2024 für DS Penske in der Formel E, Foto: DPPI

Schnelllade-Boxenstopps sollen kommen

Wie sich das Rennfahren in der neuen Saison, die im Januar in Mexiko-City beginnt, entwickelt, ist noch nicht abzusehen. Es ist geplant, dass 2024 mit Schnelllade-Boxenstopps ein neues Element hinzugefügt wird. Im Fahrerlager spricht man von 30-sekündigen Stopps, um einige Energie in die Batterie zurückzuführen. Das Fast Charging sollte schon 2023 kommen, wurde wegen Lieferkettenproblemen aber verschoben. Sollte es diesmal umgesetzt werden, dann vermutlich nur bei ausgewählten Rennen. Ein Sportliches Reglement für 2024 gibt es offiziell noch nicht.

Trotz aller Kritik fand Formel-E-Veteran Vergne versöhnliche Worte und zeigte sich mit Blick auf die technologische Zukunft der Serie guter Hoffnung. „Solange wir weitermachen und die Dinge verstehen, wird es Änderungen geben, die in die richtige Richtung laufen. In ein paar Jahren, wenn wir größere Rennstrecken und andere Autos haben, wird sich niemand mehr daran erinnern. Am Ende des Tages verfolgen wir alle die gleiche Richtung. Und der Weg zum Gipfel führt nicht immer geradeaus.“