Seit dieser Saison ist es in Maranello ungewöhnlich ruhig. Das liegt nicht nur an den stillen Kirchenglocken, die sonst in der Geburtsstätte von Ferrari zur Feier nach jedem Sieg in der Königsklasse geläutet werden. Seit Frederic Vasseur bei der Scuderia die Zügel in den Händen hält, wirkt das sich aufbäumende Pferd zahmer - vor allem in der Außendarstellung. Das spürt auch Vasseurs langjähriger Schützling Charles Leclerc.

Vasseurs Zurückhaltung: Ruhe statt Medienaufruhr

Statt großen Ankündigungen ("Es gibt keinen Grund, weshalb Ferrari nicht die nächsten zehn Rennen gewinnen könne", Mattia Binotto), profiliert sich Vasseur mit Gelassenheit, steht den Journalisten stets mit einem Lächeln gegenüber. Der Franzose etablierte seit seinem Antritt eine neue Mentalität in Ferraris Formel-1-Team. Unaufgeregtheit ist das neue Mantra - auch nach dem erfolgreicheren Wochenende in Spa-Francorchamps: "Vor einer Woche durfte ich mir anhören, McLaren sei auf dem Höhenflug, Ferrari am Ende der Welt und wir dämlich."

"Jetzt sind wir plötzlich vorn und McLaren weit hinter uns. Das zeigt, dass wir einfach ruhig und gelassen bleiben sollten. Das Feld ist eben so eng, dass ein bis zwei Zehntel den Unterschied zwischen P2 und P11 ausmachen", appellierte Vasseur in mittlerweile gewohnter Gemütlichkeit. Nach dem Großen Preis von Ungarn schlugen die nationalen Medien auf Ferrari mit dem üblichen italienischen Temperament ein: "Nur noch vierte Kraft", "Das schlechteste Rennen des Jahres" und "Eine Saison zum Vergessen" lauteten die Schlagzeiten dreier Artikel, die allein die Gazzetta dello Sport in weniger als 24 Stunden nach dem Ungarn GP veröffentlichte.

Leclerc fordert: Gebt Vasseur Zeit!

Leclerc verlangte schon vor dem Wochenende in Spa Geduld mit seinem Teamchef: "Es ist seine erste Saison, wir müssen ihm Zeit geben. Dann werden wir auch sehen, wie sich seine Herangehensweise auf der Strecke auswirkt." Nur vier Tage später feierte der Monegasse seinen dritten Podestplatz in dieser Formel-1-Saison.

Leclerc erinnerte zudem: "Ferrari ist ein ganz anderes Kaliber als Alfa Romeo [Vasseurs ehemaliger Arbeitgeber, d. Red.]. Es sind viel mehr Leute beteiligt und der Druck ist riesengroß. Aber Fred hat sofort verstanden, welche Bereiche wir angehen müssen. Er hat sich sehr schnell angepasst."

Vertraut dem Plan: Bei einigen Ferrari-Fans kam Leclercs Appell bereits an, Foto: LAT Images
Vertraut dem Plan: Bei einigen Ferrari-Fans kam Leclercs Appell bereits an, Foto: LAT Images

Leclerc und Vasseur kennen sich unter anderem aus Alfa-Sauber-Zeiten. Das Vertrauen in seinen langjährigen Begleiter ist groß: "Wir haben in den Junior-Kategorien und bei Alfa Romeo zusammengearbeitet, deshalb weiß ich, dass Fred sehr gut arbeiten wird." Interne Rückendeckung genießt Vasseur bei Ferrari auch von Leclercs Manager: Nicolas Todt. Der Sohn des ehemaligen Ferrari-Teambosses Jean Todt arbeitete fast zehn Jahre mit Vasseur bei ART Grand Prix in der GP2 zusammen.

Doch auch abgesehen von der gemeinsamen Vergangenheit schöpft Leclerc in Vasseurs Herangehensweise Hoffnung: "Er macht den Unterschied in der Art, wie er arbeitet. Seine Ansätze prägen ein neues Mindset, das zurzeit immer weiter umgesetzt wird. Das ist in meinen Augen sehr positiv und wird mittelfristig einen Unterschied machen wird."