Wir schreiben das Jahr 1994. Saisonauftakt in Brasilien. Das Publikum ist aus dem Häuschen. Ayrton Senna holt bei seinem ersten Grand Prix für Williams die Pole-Position. Österreich hat gleich drei Piloten im Fahrerlager. Gerhard Berger, Karl Wendlinger und nun auch Roland Ratzenberger. Der Salzburger debütiert im Alter von 32 Jahren in der Königsklasse. Im Fahrerlager der Formel 1 kennt man den späten Debütanten. Er ist ein beliebter Kollege. In England nannte man ihn "Roland the Rat", auf der Insel des Nieselregens und in Japan fuhr er von 1986 bis 1993 Sportwagen- und Formel 3000-Rennen.

Sensation am Freitag: Karl Wendlinger fährt mit dem Sauber C13-Mercedes die viertschnellste Rundenzeit. Am Ende wird es der siebente Startplatz für den "Karli". Bei Gerhard Berger läuft es nicht so gut, er steht mit dem Ferrari nur auf Startplatz 17.

Früh übt sich, wer schnell sein will..., Foto: Sutton
Früh übt sich, wer schnell sein will..., Foto: Sutton

Roland Ratzenberger kann sich mit dem unterlegenen Simtek S941-Ford Cosworth nicht qualifizieren, wird 27. Der gelernte Maschinenbauer und der bockige Bolide sind noch nicht die besten Freunde. Damals gab es das noch, dass man sich für das Rennen qualifizieren musste. Im Rennen holt Karl Wendlinger einen WM-Punkt für Sauber, Berger fällt schon in der fünften Runde aus. Der Sieger heißt Michael Schumacher auf Benetton-Ford.

Zweites Rennen, der Pacific-Grand Prix in Japan. Wieder Pole-Position für Senna, dahinter Schumi. Berger wird Fünfter, Wendlinger 19. Und Roland Ratzenberger hat es geschafft! Er konnte Bertrand Gachot und Paul Belmondo hinter sich lassen, sich für das Rennen qualifizieren. Die beiden Simtek-Boliden von David Brabham und Roland Ratzenberger, mit den knalligen MTV-Logos auf ihren Motorhauben, werden das Rennen von der letzten Startreihe aus in Angriff nehmen.

Roland Ratzenberger in seinem Simtek Boliden., Foto: Sutton
Roland Ratzenberger in seinem Simtek Boliden., Foto: Sutton

17. April 1994. Jahrelang hat Roland Ratzenberger auf diesen Moment hingearbeitet. Hat seine Heimat verlassen, um jenes Ziel zu erreichen, das er seit seiner Kindheit vor Augen hatte: Rennfahrer werden. Unserem Kollegen Gerhard Kuntschik von den Salzburger Nachrichten hat Rudolf Ratzenberger, der Vater von Roland, erzählt: "Wir hätten Roland von nichts abbringen können. Sein einziges Berufsziel von Kindheit an war Rennfahrer. Wir haben es gar nicht versucht, ihn umzustimmen."

An diesem Sonntag hat es Roland geschafft. Er steht in der Startaufstellung eines Formel 1-Grand Prix. Er konnte sich mit dem problematischen Simtek-Boliden für das Rennen qualifizieren. Simtek war ebenso neu in der Formel 1. Teamchef Nick Wirth hat Ratzenberger für die ersten fünf Rennen engagiert. Barbara Behlau, eine Sportmanagerin aus Monaco, hat an Roland geglaubt und ihm die erste Saisonhälfte finanziert.

The Rat am Arbeitsplatz., Foto: Sutton
The Rat am Arbeitsplatz., Foto: Sutton

Es ist ein warmer und sonniger Tag. Die 26 Boliden stehen am Grid des Tanaka International Circuit. Ganz vorne stehen Senna und Schumacher. Die beiden kommen einander fast in die Quere, letztlich zwingt Schumi Senna zu einem Bremsmanöver, McLaren-Pilot Mika Hakkinen wird überrascht und knallt Senna ins Heck. Das Rennen gewinnt abermals Schumacher. Und Roland? Der fährt seinen ersten Grand Prix tapfer zuende. Doch das Auto ist ein schreckliches. Mit fünf Runden Rückstand wird Ratzenberger 11. Aber: Er hat den Wagen durchgebracht. Teamkollege Brabham ist nach zwei Runden mit Motorschaden ausgefallen.

29. April 1994. Imola. Der Formel 1-Zirkus kehrt nach Europa zurück. Am Freitag das erste Training. Der Highspeedcrash von Rubens Barrichello, besorgte Gesichter an den Kommandobrücken. Roland Ratzenberger hat sich mit dem Simtek wieder ein wenig mehr anfreunden können. Das Training stimmt zuversichtlich. Brabham und Ratzenberger belegen die Plätze 24 und 25. Ratzenberger liegt nur noch 5 Hunderstelsekunden hinter seinem Teamkollegen. Auch in der Formel 1 gilt Roland als der sympathische Kerl. Josef Leberer, der Fitnesstrainer von Ayrton Senna, verriet Gerhard Kuntschik: "Senna hatte Ratzenberger nur erst flüchtig gekannt, aber Sympathie verspürt. Er wollte ihn unbedingt näher kennen lernen..."

Rolands F1-Karriere war leider nicht von langer Dauer., Foto: Sutton
Rolands F1-Karriere war leider nicht von langer Dauer., Foto: Sutton

30. April 1994. Der Samstag. Im Training steuert Ratzenberger mit rund 300 km/h den Villeneuve-Rechtsknick an. Da bricht ein Teil des Frontflügels weg, das Auto wird unkontrollierbar. Der Wagen kracht mit über 250 km/h in eine Mauer, wird bis zur Tosa-Kurve geschleudert. Man starrt geschockt auf die Monitore, das Auto sieht fürchterlich aus. Die Ärzte sind an der Unfallstelle und versuchen alles. Roland hat sich einen Genickbruch und schwere innere Verletzungen zugezogen. Im Spital verliert man ihn, die Verletzungen sind zu schwer. Die Formel 1 ist schockiert und gelähmt. Roland hätte sich abermals für das Rennen qualifiziert - doch das ist leider nicht mehr von Belang. Seine spät begonnene Formel 1-Karriere, gerade erst am Aufblühen, fand ein jähes Ende.

Schon am nächsten Tag verlor die Formel 1 Ayrton Senna. Die Boliden der 94er-Generation waren gefährliche, unberechenbare Biester. Der Kopf des Piloten stand ungeschützt im freien Raum. Es gab noch keine seitlichen Aufprallschutzvorrichtungen. Rudolf Ratzenberger versucht, das Positive aus diesem Horrorwochenende herauszufiltern: Die Formel 1 wurde sicherer...