Von einem Niedergang der fahrerischen Klasse und dem Ersticken des hinteren Mittelfelds in Paydrivern, war in der Formel 1 zuletzt die Rede - ein Rückfall in die Zustände der frühen Neunzigerjahre wurde beklagt. Doch diese Meinung teilen längst nicht alle Experten im Fahrerlager. Besonders Damon Hill, 1996 Weltmeister mit Williams, widerspricht entschieden. Er kann keinen Verfall der Qualität im Fahrerfeld erkennen - vielmehr würden die viel besseren Trainingsmethoden und Simulationen, sowie die fortgeschrittenen Nachwuchsserien und die hohe Wettbewerbsdichte dazu beitragen, dass ein Pilot und seine Fähigkeiten heute besser evaluiert werden würden als jemals zuvor in der Geschichte des Motorsports.

Dass mit Romain Grosjean in Monza vergangene Saison erstmals seit fast zwei Jahrzehnten wieder ein Fahrer gesperrt war und auch viele seiner jungen Kollegen, allen voran Pastor Maldonado, alles dafür taten, um die Rennstewards zu verärgern und die Gemüter der Fans durch überharte und chaotische Manöver zu erzürnen, interessierte Hill dabei wenig. "Es gab einmal einen Zeitraum, zu dem das alles sehr kontrovers war", gestand der Brite gegenüber Pitpass ein. "Ja, es gab Piloten, die in puncto Aggressivität definitiv übers Ziel hinausgeschossen sind - auch schien es so, als wurden sie zu diesem Verhalten nahezu verzogen oder bestärkt, so zu fahren." Diese Wahrnehmung habe sich mittlerweile aber wieder geändert.

Selbstüberwachung unter den Fahrern?

Desaster in La Source: Grosjean hat das halbe Feld erwischt, Foto: Sutton
Desaster in La Source: Grosjean hat das halbe Feld erwischt, Foto: Sutton

"Ich denke, heutzutage gibt es eine Art Selbstüberwachung unter den Fahrern", meinte Hill. Mögliche mache das die Fahrergewerkschaft GPDA. Mit ihr sei ein vernünftiges Instrument geschaffen worden, um interne Beschwerden über die Standards unter den Piloten zu lancieren. "Ich denke, der Druck ist dort dementsprechend hoch." Parallel müsse man in der Außenwahrnehmung aber aufpassen, jeden Vorfall gleich überspitzt darzustellen und aus Mücken Elefanten zu kreieren. Unfälle seien bei den Geschwindigkeiten, mit denen alle Handlungen im Motorsport vonstatten gehen würden, einfach unvermeidbar - Fehler sollten zwar vermieden werden, würden aber dennoch passieren.

"Es ist ganz einfach so: Es gibt eine gewisse Grenze, die man die Fahrer nicht überschreiten sehen will. Ich denke aber, zuletzt haben die Rennleiter diesbezüglich eine ganze gute Balance gefunden", sagte Hill. Für den 52-Jährigen war klar: "Man will ja auch den Wettbewerb nicht beschneiden und weiterhin mutige Manöver sehen. Einfach nur von der Strecke fahren, weil man es kann, ist hingegen wahrlich kein Rennsport - das ist Blockieren und auch keine besondere Fähigkeit, sondern einfach nur eine gewisse Form der Streitlust." Da die Sicherheitsstandards in der F1 immer besser werden, sei es aber logisch, dass sich die 'Grenze des Möglichen' nach oben verschieben würde.

Japan '90: Senna & Prost kollidieren - die WM ist entschieden, Foto: Sutton
Japan '90: Senna & Prost kollidieren - die WM ist entschieden, Foto: Sutton

Dennoch dürfe man nicht zögern, an der Sicherheitsfront unermüdlich weiter zu forschen. "Die Verantwortung für Sicherheitsbelange wurde von der FIA erfolgreich angenommen und auf ein sehr erfolgreiches Niveau geführt. In Bezug auf das, was die Fahrer selbst machen können, denke ich, dass sie schon ganz passabel in die Diskussionen mit eingebunden sind. Was aber die Erfahrungswerte betrifft, liegt es wirklich in den Händen der FIA, all die von Professor Sid Watkins in die Wege geleiteten Ideen auch gebührend weiterzuführen und umzusetzen." Früher habe die erhöhte Gefahr in der Königsklasse noch automatisch eine Art Benimm-Kodex mit sich gebracht - dieser falle nun nahezu weg. "Zumindest in den Sechzigern und frühen Siebzigern gab es das noch. Damals riskierte man noch wirklich sein Leben, wenn man ins Rennauto stieg."

Völlig verrückt & lebensmüde

Für Hill stand fest: "Man konnte nicht einfach so eines dieser waghalsigen Manöver von heute durchziehen, ohne danach angeklagt zu werden, völlig verrückt zu sein und das Leben der anderen Fahrer gefährdet zu haben." Dementsprechend dankbar müsse man sein, dass es heute alle nötigen Schutzmaßnahmen gäbe. "Nur das ermöglicht es einem, mittlerweile auch einmal ein wenig aggressiver zu Werke zu gehen, ohne dabei blind oder dickköpfig agieren zu müssen. Es geht einfach darum, sich zu überlegen, wie man an jemandem vorbeikommen könnte oder ihn andersherum an selbigem zu hindern, ohne dass es knallt."

Allgemein ließe sich daher festhalten: "Es gibt heute ein bisschen mehr Spielraum - ohne, dass man sich gleich diese gravierenden Sorgen machen muss, wie es die Fahrer früherer Generationen mussten." Ironischerweise habe sich der in der Öffentlichkeit gewährleistete Spielraum aber konträr dazu verhalten und sei weniger geworden. "Als Ayrton Senna 1990 in Suzuka Alain Prost ins Heck gerauscht ist, war ich wirklich überrascht, dass er nicht rausgeworfen wurde. Hätte er das heutzutage gemacht, hätte man ihn mindestens fünf Rennen lang gesperrt, wenn nicht gleich eine ganze Saison lang, da er genau wusste, dass das, was er tat, gefährlich war."