1. Wie konnte Alonso das Rennen gewinnen?

Fernando Alonso fuhr ein nahezu perfektes Rennen. Hinzu kam das nötige Quäntchen Glück in den entscheidenden Situationen. Aber immer der Reihe nach: Bereits am Start machte der von Platz elf gestartete Spanier drei Plätze gut, in der 13. Runde zog er an Nico Hülkenberg, nur eine Runde später an Pastor Maldonado vorbei. Durch die Boxenstopps von Lewis Hamilton, Kimi Räikkönen und Kamui Kobayashi wurde er weitere drei Plätze nach vorne gespült. Auf Platz drei liegend fuhr er in Runde 15 zum ersten Mal die Ferrari-Box an. Der etwas spätere Pitstop zahlte sich aus. Bei der Ausfahrt kam Alonso vor Räikkönen als Neunter wieder auf die Strecke.

Und auch in der Folgezeit ging die Aufholjagd auf dem eigentlich überholfeindlichen Valencia Street Circuit munter weiter. Mark Webber und Michael Schumacher, die beide bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht an der Box gewesen waren, fielen dem furios fahrenden Spanier in den Runden 18 und 19 zum Opfer. Der Crash von Kobayshi und Senna brachte ihm bei der nächsten Umrundung zwei weitere Plätze, und nur eine Runde später war Paul di Resta fällig. Alonso fuhr zu diesem Zeitpunkt zwar nicht die gleichen Zeiten wie Vettel an der Spitze, hatte aber bereits sieben Plätze gut gemacht - und dann hatte der Spanier auch ein bisschen Glück. Nach einem Zusammenstoß zwischen Jean-Eric Vergne und Heikki Kovalainen wird das Safety Car auf die Strecke gelassen, um die Wrackteile zu bergen.

Vettels Vorsprung auf Alonso von etwa 34 Sekunden gehörte damit der Vergangenheit an. Es kam sogar noch besser: Dank eines verpatzten Boxenstopps von Hamilton rückte der Lokalmatador auf Rang drei vor. Beim Restart zog er in der ersten Kurve außen an Romain Grosjean vorbei: Platz zwei. Nur wenige Momente später ließ Vettel seinen Boliden wegen einer defekten Lichtmaschine ausrollen und Alonso übernahm die Führung. Der Ferrari-Star kontrollierte das Rennen bis zur Zielankunft von der Spitze und feierte den viel umjubelten ersten Heimsieg in Valencia. "Fernando war unglaublich. Es ist schwer, Worte zu finden, um seine Leistung zu beschreiben", würdigte Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo die rasante Fahrt seines Schützlings.

2. Warum war Schumachers Podium in Gefahr?

Auf die Gala-Vorstellung folgte die Unsicherheit. Bis in die Abendstunden musste Michael Schumacher bangen, ob er den ersten Podestplatz seit seinem Formel-1-Comeback nach einer tollen Aufholjagd von Platz zwölf auf drei behalten darf. Red Bull hatte dem Mercedes-Piloten vorgeworfen, seinen Heckflügel hochgestellt zu haben, während die Gelben Flaggen geschwenkt wurden. In den Augen der Red-Bull-Oberen ein klarer Regelverstoß. "Es ist klar erwiesen, dass Schumacher in der gelben Zone DRS offen hatte", sagte Motorsportberater Helmut Marko bei Motorsport-Magazin.com. "Wir haben natürlich darauf aufmerksam gemacht, da wir für das gleiche Vergehen in Barcelona eine Durchfahrtsstrafe bekommen haben."

Michael Schumacher behielt beim hektischen Rennverlauf immer den Überblick, Foto: Mercedes-Benz
Michael Schumacher behielt beim hektischen Rennverlauf immer den Überblick, Foto: Mercedes-Benz

Teamchef Christian Horner, der wie Marko darauf hoffte, dass Mark Webber bei einer Bestrafung Schumachers den dritten Platz auf dem Podium ergattern würde, sprach ebenfalls von einer ganz klaren Sachlage. "In der Sporting Working Group wurde einstimmig beschlossen, dass der Einsatz von KERS und DRS unter Gelb grundsätzlich verboten ist", sagte er. Doch die Hoffnungen von Red Bull erfüllten sich nicht. Die Stewards entschieden zugunsten des Altmeisters. "Die Heckklappe von Schumacher war zwar sehr wohl offen, aber er hat die Geschwindigkeit deutlich reduziert", hieß es vonseiten der FIA. Ein fader Beigeschmack bleibt dennoch: In Barcelona hieß es nämlich, dass es keine Rolle spielt, ob der Pilot verlangsamt oder nicht, DRS sei unter Gelb strikt verboten.

3. Warum sind Maldonado, Kobayashi, Vergne und Senna bestraft worden?

Schumacher kam um eine Strafe herum, andere Piloten hatten hingegen weniger Glück. Als Ersten erwischte es Bruno Senna, der noch während des Rennens in Valencia zu einer Durchfahrtsstrafe abkommandiert wurde, weil er Kobayashi vor dem Zusammenprall in Runde 20 nach Meinung der Rennkommissare zu wenig Platz zugestanden hatte. Pastor Maldonado kassierte als alleiniger Verursacher des Crashs mit Hamilton ebenfalls eine Durchfahrtsstrafe, die nach Beendigung eines Rennens automatisch in eine 20-Sekunden-Zeitstrafe umgewandelt wird. Die Jury sah es als erwiesen an, dass der Draufgänger aus Maracay bei seinem Überholversuch zu viel riskiert hatte und nach seinem unfreiwilligen Sprung über den Randstein in seinen britischen Widersacher hineingefahren war. Durch die nachträgliche Addition der 20 Strafsekunden fiel Maldonado noch von P10 auf P12 zurück.

Aber auch Kobayashi geriet noch ins Visier der Rennleitung. Wenige Augenblicke nach dem Restart rammte der Sauber-Pilot Felipe Massa - über die Schuldfrage bestand in diesem Fall nicht der geringste Zweifel. In Silverstone wird Kobayashi in der Startaufstellung fünf Plätze nach hinten versetzt. Die dickste Strafe bekam allerdings Vergne aufgebrummt. Der Toro-Rosso-Rookie verliert wegen seines Unfalls mit Kovalainen beim England-Grand-Prix zehn Startplätze und muss zusätzlich noch ein Bußgeld von 25.000 Euro zahlen. Dem würde wohl auch Vettel zustimmen, denn die an den Crash anschließende Safety-Car-Phase war für den Red-Bull-Star der Anfang vom Ende.

4. Warum gab es so viel Wirbel um das Safety Car?

Kurz nach Halbzeit des Rennens touchierte Toro-Rosso-Pilot Vergne den Caterham von Kovalainen. Da beide Reifen- und Karbonteile auf der Strecke verteilten, schickte die Rennleitung das Safety Car auf die Strecke. Sebastian Vettels satter Vorsprung auf die Konkurrenz wurde dadurch pulverisiert. Bei Red Bull vermutete man aufgrund der geringen Gefahr, die von den kleinen Teilen ausging, einen anderen Grund, warum Vettel sich rundenlang das Heck des SLS AMG von Bernd Mayländer ansehen musste.

War das Safety Car wirklich nötig?, Foto: Sutton
War das Safety Car wirklich nötig?, Foto: Sutton

"Ich denke, das kam nur, um das Feld zusammenzuschieben", warf der Weltmeister der Rennleitung vor, Red-Bull-Berater Marko pflichtete dem Deutschen bei. "Vettel war zu weit vorne, man wollte das Feld wieder näher zusammenbringen, wie man das im amerikanischen Rennsport oft macht", behauptete er.

Ob die Rennleitung aus diesem Grund ins Renngeschehen eingriff, ist schwer zu beurteilen. Zu denken gibt allerdings, dass kurz nach dem Restart Streckenposten das havarierte Auto von Vettel von der Strecke bewegten, während das Feld in vollem Renntempo an ihnen vorbeisauste. Zum Schutz von Menschenleben wäre ein Safety-Car-Einsatz hier verständlich gewesen, doch er erfolgte nicht. Also bleibt die Frage, was die Rennleitung bewog, Bernd Mayländer in einer deutlich ungefährlicheren Situation auf die Strecke zu schicken, im anderen Fall aber darauf zu verzichten.

5. Warum war Räikkönen mit Platz zwei nicht zufrieden?

"Der Lotus fährt Longruns, das ist sagenhaft", hatte TV-Experte Christian Danner nach den Freien Trainings bei Motorsport-Magazin.com festgestellt und damit die Erwartungen auf einen Lotus-Sieg nach oben geschraubt. Am Sonntag kam dann aber alles anders. "Ich hatte nicht den Speed, um um den Sieg mitzukämpfen", erklärte Räikkönen nach dem Rennen.

Nicht einmal der zweite Platz beim Großen Preis von Europa sorgte bei ihm für Genugtuung, denn für den Finnen zählen nur Siege - verständlich für einen Weltmeister, der bei seinem Comeback nicht nur mitschwimmen will. "Wir sind nicht glücklich, bis wir gewonnen haben, und so lange ist der zweite Platz eben nur der zweite Platz", stellte Räikkönen klar.

An den äußeren Bedingungen kann es kaum gelegen haben, dass es mit dem Sieg nicht klappte, denn in Valencia herrschte "Lotus-Wetter". Das Problem dürfte eher der Verkehr gewesen sein, in dem beide Piloten zwischenzeitlich feststeckten. Nicht gerade hilfreich war zudem, dass Grosjean, der besser platzierte Lotus-Fahrer, mit einem Defekt ausschied. "Am Ende ist ein zweiter Platz toll, aber nicht das, was wir wollten", konnte Räikkönen deshalb nur konstatieren.

6. Wieso hat Vettel in der ersten Rennhälfte so dominiert?

Vettel fuhr in der ersten Runde des Europa GP sage und schreibe vier Sekunden auf Lewis Hamilton heraus und ließ damit die Dominanz der vergangenen beiden Jahre wieder aufleben. Bis zu den ersten Boxenstopps fuhr der Deutsche einen Vorsprung von knapp 20 Sekunden heraus. Er profitierte zwar davon, dass Hamilton das Verfolgerfeld zunächst aufhielt, aber als Romain Grosjean sich an Positionen zwei setzte, konnte er nicht nennenswert Boden auf Vettel gutmachen.

Bis zur Safety Car Phase dominierte Sebastian Vettel nach Belieben, Foto: Sutton
Bis zur Safety Car Phase dominierte Sebastian Vettel nach Belieben, Foto: Sutton

Abgesehen von der freien Fahrt, von den Ingenieuren auch "clean air" genannt, und dem eingebremsten Verfolgerfeld, ist die Überlegenheit wohl einem erneuten Geniestreich von Red-Bull-Chefdesigner Adrian Newey geschuldet. Der RB8 wurde nach dem Verbot des Lochs im Unterboden mit einem doppelten Unterboden ausgestattet, in dem sich Kanäle befinden, die die Luftströme unter dem Boliden auf den Diffusor leiten. Durch die gezielte Luftführung steigt der Abtrieb, das Auto rutscht weniger und ist dadurch in den Kurven schneller.

7. Was war bei McLaren schon wieder an der Box los?

Nach mehreren Boxenstopp-Pannen in den bisherigen Rennen der Saison 2012 hatte McLaren Besserung gelobt. Doch auch in Valencia ging etwas schief, der Stopp von Lewis Hamilton während der Safety-Car-Phase dauerte zu lange. Doch nicht menschliches Versagen, sondern ein Defekt führte nach Angaben von Teamchef Martin Whitmarsh zu der erneuten Panne. "Es war ein Materialfehler. Der vordere Wagenheber versagte und ließ das Auto wieder herunter, also mussten wir ihn austauschen."