Vier Bestzeiten hatte Lotus nach den Wintertestfahrten in Jerez und Barcelona zu Buche stehen - und auch wenn die Rundenzeiten nur wenig aussagekräftig sind, so scheint Lotus mit dem E20 zumindest eine Verbesserung zum Vorgängermodell gelungen zu sein. Rückschläge blieben dabei nicht aus.

Nach einer goldenen Woche in Jerez folgte der schwarze Dienstag in Barcelona, als Lotus den Testtag nach wenigen Runden abbrechen musste, weil das Chassis im Bereich der Vorderachse zu weich war. Das Team besserte das Chassis in der Fabrik nach und schlug mit Bestzeiten beim zweiten Test in Barcelona zurück. Die Konkurrenz spekuliert jedoch, dass Lotus mit wenig Sprit unterwegs war. Sollten sie sich irren, müssen sich die Top-Teams diese Saison warm anziehen.

Der E20 löst den R31 ab, Foto: Sutton
Der E20 löst den R31 ab, Foto: Sutton
Das Team:

Nachdem der Namensstreit mit Tony Fernandes beigelegt war, wurde aus Lotus Renault GP schlicht das Lotus F1 Team. Unter dem neuen Namen versucht die Truppe von Teamchef Eric Boullier die verkorkste Saison 2011 vergessen zu machen, als man mit Podestplätzen in Australien und Malaysia stark begann und am Ende des Jahres mit nur knappem Vorsprung auf Force India auf Gesamtrang fünf abschloss.

Der Rauswurf von Nick Heidfeld und die Verpflichtung von Bruno Senna mitten in der Saison stiftete zudem Unruhe. Wenn das Team aus seinen Fehlern gelernt hat, kann es dieses Jahr möglicherweise mit Mercedes ein Duell auf Augenhöhe führen und den Top-Teams gefährlich werden. Teamchef Eric Boullier hält Kimi Räikkönen ab den Europa-Rennen sogar für siegfähig.

Die Fahrer:

Mit Räikkönen und Romain Grosjean hat Lotus gleich zwei Formel-1-Rückkehrer verpflichtet, die beide seit Ende 2009 kein Rennen mehr in der Königsklasse bestritten haben. Sowohl der Finne als auch der Schweizer mit französischer Rennlizenz zeigten jedoch bei den Testfahrten, dass sie keinesfalls eingerostet sind.

Kimi Räikkönen überstrahlt Alles bei Lotus, Foto: Lotus
Kimi Räikkönen überstrahlt Alles bei Lotus, Foto: Lotus

Allerdings wirkt Grosjean neben dem Weltmeister von 2007 und 18-fachen Grand-Prix-Sieger farblos und unscheinbar. Dass der Fokus auf Räikkönen liegt, könnte dem 25-Jährigen jedoch dabei helfen, sein "zweites Debüt" in der Königsklasse erfolgreicher zu meistern als 2009 an der Seite von Fernando Alonso.

Das Auto:

Lotus folgte bei der Bezeichnung seines 2012er Boliden nicht der Tradition, denn der Nachfolger des R31 firmiert unter dem Kürzel E20. Das E steht für die Fabrik in Enstone und es ist das 20. Auto, das diese Hallen verlässt. Die neuen Auspuffregeln kamen dem Team gerade Recht, da der nach vorne gerichtete Auspuff des R31 nach anfänglichen Erfolgen zum Problem wurde. Peinliche TV-Bilder von brennenden Boliden möchte Lotus diese Saison tunlichst vermeiden.

Knick in der Nase: der E20, Foto: Sutton
Knick in der Nase: der E20, Foto: Sutton

Der E20 kommt im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten mit einem dezenten, fließenden Knick in der Nase aus. Das innovative Fahrhöhen-System, dass das Team in jahrelanger Arbeit entwickelt hatte, wurde trotz vorheriger Genehmigung letztendlich doch von der FIA für illegal erklärt. Mit Hilfe der Konstruktion wäre es möglich gewesen, den Abstand des Autos zum Boden selbst beim Bremsen stabil zu halten und so die Aerodynamik zu verbessern.

Saisonziel: Eiskalt angreifen und nicht nachlassen

Pro: Mit Bestzeiten von Kimi Räikkönen und Romain Grosjean ließ Lotus bei den Wintertestfahrten aufhorchen. Zwar halten sich die Gerüchte, dass der Rennstall im Gegensatz zur Konkurrenz sehr sparsam mit dem Sprit umgegangen ist, dennoch scheint Lotus mit dem E20 durchaus eine Verbesserung zum Vorgängermodell gelungen zu sein. Auch Grosjean und Räikkönen äußerten sich positiv über ihren Dienstwagen - und gerade Räikkönen ist keiner, der auf Geheiß des Teams Lob heuchelt, um den schönen Schein zu wahren. Sicherlich darf man die Bestzeiten nicht überbewerten - Lotus wird 2012 wohl kaum aus eigener Kraft um Siege mitkämpfen können, aber konstante Punkteankünfte sollten drin sein. Kerstin Hasenbichler

Contra: Ein Drittel aller Testbestzeiten dieses Winters ging auf das Konto von Lotus, brav verteilt auf beide Fahrer - und das obwohl Lotus den ersten Barcelona-Test ausließ! Dürfen die Sektkorken also schon knallen? Wohl eher nicht. Auch letztes Jahr fuhr Lotus Renault gute Testzeiten und errang zu Saisonbeginn sogar zwei Podestplätze, doch danach flachte die Formkurve ab, das Team versank im bedeutungslosen Mittelfeld. Das muss sich 2012 nicht wiederholen, doch Testbestzeiten sind bekanntlich mit Vorsicht und einer gehörigen Portion Ersatzsprit zu genießen. Die Wahrheit zeigt sich erst in Melbourne, es bleibt jedoch zu bezweifeln, dass in dieser Saison ein Drittel aller Poles und Siege nach Enstone gehen werden. Kimi Räikkönen würde es jedoch freuen, denn was mit seiner Motivation passiert, wenn er nur um die Plätze acht bis zehn fahren sollte, dürfte höchstens die Eisverkäufer an den Strecken freuen... Stephan Heublein