Noch vor einem Jahr reisten Timo Scheider und Paul di Resta als Nebendarsteller nach Hockenheim. Während der Abt-Audi-Pilot nach einer Saison ohne auch nur einen Podestplatz um nicht weniger als sein Cockpit kämpfte, hatte di Resta zwar längst als Debütant des Jahres auf sich aufmerksam gemacht. Im 2005er-Mercedes redete er dennoch nicht um den Titel mit. Ein Jahr später sind sie zu den Protagonisten des Titelkampfs aufgestiegen. Das Kampftrio des vergangenen Jahres, Mattias Ekström, Bruno Spengler und Martin Tomczyk, haben sie sukzessive abgehängt. Zwei Tage vor der Entscheidung könnten ihre Voraussetzungen kaum ähnlicher sein. So kommt es insbesondere auf Nervenstärke an...

Die mysteriöse Bestzeit

Um mehr als drei Zehntelsekunden distanzierte Paul di Resta zum Ende der zweiten Trainingssession die Abt-Audi-Piloten - um fast eine Sekunde seine eigenen Teamkollegen. Wie viel Substanz steckt hinter diesem auf den ersten Blick für Audi beängstigenden Statement? Di Resta selbst gibt sich zugeknöpft. "Man kann in diesen Tag nicht viel hineindeuten. Wir haben einfach versucht, so viele Daten wie möglich zu sammeln", verrät der Schotte. "Auf dem Papier sieht alles sehr gut aus. Dennoch kann sich morgen wieder alles ändern. Wir sollten nicht zu optimistisch sein."

Eine allzu große Zuversicht rät auch Timo Scheider der Konkurrenz nicht. Er, der weite Teile des zweiten Tests dominiert hatte, nimmt di Restas Fabelrunde nur bedingt ernst. "Nach 15 Uhr schien Mercedes mit neueren Reifen zu fahren als wir, nach dem, was wir von ihnen strategisch schon in Le Mans und Barcelona gesehen haben. Mit den neuen Reifen schienen sie anfangs noch nicht die Performance zu haben. 45 Minuten nach mir hat Paul aber noch einmal die schnellste Zeit gefahren", erläuterte Scheider gegenüber dem adrivo Motorsport-Magazin.

Er verweist auf günstigere Rahmenbedingungen als bei seiner eigenen persönlichen Bestzeit: "Die Zeit ist sehr gut, beunruhigt mich aber überhaupt nicht, denn eine Dreiviertelstunde nach meiner Runde hatte sich die Strecke auf jeden Fall noch einmal verbessert. Wir sind unseren Standardfreitag gefahren und haben dies wie immer seriös und ohne Spielchen gemacht. Es gibt einen Unterschied von neun Zehnteln zwischen dem ersten und zweiten Mercedes - der muss seinen Grund haben."

Anspannung im Rampenlicht

Paul di Resta sah Barcelona als den Wendepunkt, Foto: DTM
Paul di Resta sah Barcelona als den Wendepunkt, Foto: DTM

Schon in Le Mans hatte sich der Titelkampf allein auf Scheider und di Resta zugespitzt - die Stunde der Entscheidung naht aber erst jetzt. 48 Stunden vor der Titelvergabe bemühen sich beide Titelkontrahenten, Coolness zu demonstrieren. Dem ohnehin nicht zu Emotionsausbrüchen neigenden Schotten gelingt dies durchaus glaubwürdig. "Ich bin sehr zuversichtlich. Ich werde mein Bestes geben, aber es ist kein Weltuntergang, wenn ich den Titel nicht gewinne. Wenn ich gut genug bin, werde ich Champion, wenn nicht, dann nicht", bedient sich di Resta des bekannten Räikkönen-Vokabulars - um immerhin zu gestehen: "Jeder von uns kann Fehler machen, und natürlich gibt es auch Druck."

Für Paul di Resta ist die DTM - so sein Plan - nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die Formel 1. Timo Scheider hingegen ist seit Beginn der neuen DTM fester Teil der Serie - und hat auf Erfolge lange warten müssen. "Die eigenen Erwartungen und der Druck von außen sind da. Heute geht es mir noch sehr gut, morgen wird es beim ersten Kräftemessen im Qualifying ernst. Dort kommt es darauf an, wer die besseren Nerven hat", weiß Scheider. Ohne Zweifel: Auch mental geht es für Scheider um mehr als für di Resta. Noch zu Saisonbeginn kämpfte der Audi-Pilot mit nicht immer optimalen Starts. So könnte der nervliche Vorteil - bei allen Glanzleistungen Scheiders - noch immer tendenziell bei Paul di Resta liegen.

Konzentration und Ablenkung

Seit Monaten lässt Timo Scheider keine rennfahrerische Ablenkung vom Titelkampf in der DTM zu. Auf eine ursprünglich angedachte Teilnahme am 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring verzichtete er, um keine Verletzungsrisiken einzugehen - und sich voll auf die DTM zu fokussieren. Mit Tests im GP2- und McLaren-Formel-1-Boliden hat sich Paul di Resta in den letzten Wochen hingegen die Umstellung zwischen drei grundverschiedenen Fahrzeugentypen zugemutet. Ein Nachteil für den Schotten? "Der Formel-1-Test war etwas komplett anderes, etwas sehr Spezielles. Die Möglichkeit, das beste Rennauto der Welt zu fahren, war unglaublich", gesteht der 22-Jährige.

Dennoch streitet er Schwierigkeiten bei der Umstellung zurück auf den DTM-Mercedes ab: "Letztlich fokussiere ich mich auf die DTM. Es war sehr einfach für mich, mich zurück auf den DTM-Wagen umzustellen. Ich habe hier mein gewohntes Programm ohne Probleme abgespult, es lief sehr entspannt und ich konnte schnell Feedback zum Auto abgeben." Das Ziel des raschen Aufstiegs in die Formel 1 hat di Resta dennoch fest vor Augen. Eine Ablenkung, die dem einstigen Mercedes-Talent Christijan Albers im Titelkampf 2004 nur bedingt zu Gute kam.

Routine vs. Unbeschwertheit

14 Jahre war di Resta alt, als Timo Scheider schon im DTM-Opel saß..., Foto: Sutton
14 Jahre war di Resta alt, als Timo Scheider schon im DTM-Opel saß..., Foto: Sutton

Mehr als 65 DTM-Rennen hat der 29-jährige Scheider Paul di Resta voraus - und dennoch kann auch der HWA-Pilot einen Erfahrungsvorsprung vorweisen. Für Scheider liegt der letzte vergleichbare Titelkampf fast zehn Jahre zurück. Zwar befand sich der Lahnsteiner zuletzt 2005 im Meisterschaftskampf der FIA-GT-Serie und wurde am Ende Vizemeister. Da sich in der Sportwagenserie jedoch traditionell die Last auf die Schultern zweier Piloten verteilt, sieht Scheider diese Erfahrung nicht als Hilfe an.

Paul di Resta befand sich zuletzt 2006 im Titelkampf der Formel 3 Euroserie - und siegte souverän. "Kein Meisterschaftskampf ist einfach. Ich weiß, wie man Meisterschaften gewinnt, aber die DTM ist eine Stufe höher", will di Resta allzu großen Erwartungen vorbeugen. Mit zwei Punkten Rückstand auf Scheider befindet sich der Schotte in der komfortableren Jägerposition. Mit dem Hockenheimring verbindet jedoch gerade der Audi-Pilot positive Erinnerungen: Hier fuhr er vor einem Jahr nach 75 DTM-Rennen den erlösenden ersten Podestplatz ein. Hier brachte er sich mit Platz zwei zum Saisonauftakt von Beginn an in eine konkurrenzfähige Position - während Paul di Resta ein missglückter Boxenstopp zum Verhängnis wurde...