Unerwartet dominant ist der neue Audi A4 DTM in die Saison gestartet. War dafür der außergewöhnlich frühe Entwicklungsbeginn Ausschlag gebend?
Dr. Wolfgang Ullrich: In den beiden Vorjahren haben wir jeweils auf der Basis des Vorgängers weiterentwickelt, womit der Entwicklungsaufwand entsprechend geringer war. Diesmal war der Entwicklungsbeginn ähnlich früh angelegt wie sonst auch, wenn wir ein komplett neues Auto entwickeln. Die Entwicklungsphase für den aktuellen A4 DTM war trotz des frühen Beginns extrem anstrengend und intensiv - aber wie wir sehen, sind wir mit dem Zeitpensum zurechtgekommen.

In den vergangenen Jahren schien sich die Charakteristik der DTM-Boliden anzugleichen. Nun lässt der neue A4 DTM wieder seine alte aerodynamische Stärke aufleben, während die Mercedes C-Klasse mit Traktion und Topspeed auffällt. Ein Sinneswandel?
Dr. Wolfgang Ullrich: Wir haben im letzten Jahr mit dem R13 begonnen, bei der Luftführung eine neue Idee zu verfolgen. Während der letzten Saison konnten wir auch angesichts des Titelgewinns sehen, dass sie funktioniert - trotz der starken Konkurrenz durch Mercedes mit der neuen C-Klasse. Für die Entwicklung des neuen R14 haben wir diese Idee ganz konsequent weiterverfolgt. Damit haben wir offenbar eine gute Basis geschaffen.

Nachteil der neuen Aerodynamik scheint allerdings vor allem am Heck die Anfälligkeit bei Berührungen zu sein.
Dr. Wolfgang Ullrich: Bei allen DTM-Autos ist es so, dass die aerodynamischen Teile am Heck bei einem Crash leicht abbrechen. Allerdings ist die Aerodynamik des neuen A4 sicherlich nicht empfindlicher als die der älteren Autos. Darauf haben wir bei der Entwicklung geachtet.

Das Aero-Konzept des Vorgängers war laut Ullrich Basis der aktuellen Erfolge, Foto: Audi
Das Aero-Konzept des Vorgängers war laut Ullrich Basis der aktuellen Erfolge, Foto: Audi

Glauben Sie, dass sich mit wachsender Erfahrung innerhalb des Boxenstoppfensters noch neue strategische Möglichkeiten ergeben können?
Dr. Wolfgang Ullrich: Das hängt immer von der Position ab, in der man sich gerade befindet. Bei den ersten Saisonrennen bot es sich an, so schnell wie möglich ein erstes Mal zu stoppen und mit einigen Fahrzeugen nur einen kurzen zweiten Stint zu fahren. Künftig werden wir aber sicher mehr Flexibilität bei den Strategien sehen als bisher.

Der Spannungsfaktor Strategie kommt also aus Ihrer Sicht zurück?
Dr. Wolfgang Ullrich: Er ist sicherlich auch jetzt da. Aber während der ersten Rennen war er auf Grund der Kräfteverhältnisse nicht so deutlich in Erscheinung getreten.

Macht sich das Stallorderverbot bereits in der Rennpraxis bemerkbar, wenn beispielsweise ein Neuwagenpilot hinter einem Jahreswagenkollegen im Mittelfeld liegt?
Dr. Wolfgang Ullrich: Wenn man Stallorder in der Vergangenheit angewendet hat, dann nur in Extremfällen. Erst wenn man sich in der zweiten Saisonhälfte in die entsprechende Meisterschaftsposition gebracht hatte, hat man überhaupt erst an Stallorder gedacht. Das ist nun auf allgemeinen Wunsch hin nicht mehr möglich, denn für den Zuschauer ist es wichtig, dass es auch markenintern zu Zweikämpfen kommt. Wenn Sie sich die letzten Rennen anschauen, hat es die auch in fairer und sauberer Form gegeben. Somit ist auch das fahrerische Niveau der DTM ein weiteres Mal gestiegen.

Hat sich die Stimmung zwischen Audi und Mercedes im Verlauf der Winterpause wieder nachhaltig entspannt?
Dr. Wolfgang Ullrich: Die Stimmung war schon beim Saisonfinale letzten Jahres wieder auf einem annehmbaren Niveau, nachdem es zuvor ein paar Probleme gegeben hatte. Wir haben das Beste gegeben, die Konflikte zu beenden.

Bemerken Sie mit Blick auf Timo Scheider Unterschiede zu dem Timo Scheider, der vor zwei Jahren zu Audi gestoßen ist?
Dr. Wolfgang Ullrich: Selbstverständlich, denn Timo hat sich konsequent verbessert. Er fühlt sich in der Audi Sport-Familie wohl und gut aufgehoben. Er hat Vertrauen in uns und Menschen um sich herum, die ihm vertrauen. Das hat ihn mental so stabil und stark gemacht, dass er nun die Leistungen bringt, die wir ihm eigentlich schon immer zugetraut haben. Sonst hätten wir ihn schließlich nicht zu Audi geholt.

Glauben Sie, dass er seinen Teamkollegen auch im weiteren Saisonverlauf immer ein Stückchen voraus sein wird?
Dr. Wolfgang Ullrich: Ich möchte nichts beschreien. Ich freue mich, dass es derzeit so gut für ihn läuft - und wenn er es schafft, diese Performance und diese Konzentration aufrechtzuerhalten, kann das für uns nur positiv sein.