"Begib dich sofort in die Box. Gehe nicht über Start & Ziel...", hatten wir im September vergangenen Jahres getitetelt. Ganz im Stile des Spieleklassikers Monopoly waren vermehrt diese oder ähnliche Anweisungen an die Fahrer gefunkt worden - nachdem die Rennleitung um Renndirektor Roland Bruynseraede wiederholt Durchfahrtsstrafen für aus ihrer Sicht allzu forsches Verhalten auf der Strecke vergeben hatte. Insbesondere Mercedes-Sportchef Norbert Haug sah den Wettbewerb durch die Entscheidungen der Rennleitung, die nach seinem Empfinden "immer nur uns" trafen, durcheinander gewürfelt. Immer häufiger war das ausführende Organ der Sporthoheit kritischer Beobachtung von Fans und DTM-Protagonisten ausgesetzt. Und musste sich gar den Vorwurf gefallen lassen, durch die häufige Bestrafung missglückter Zweikampfmanöver die zuweilen ohnehin beschränkte Anzahl an Überholvorgängen weiter zu minimieren.

Die Boxenausfahrt - Schauplatz zahlreicher DTM-Krimis..., Foto: DTM
Die Boxenausfahrt - Schauplatz zahlreicher DTM-Krimis..., Foto: DTM

"DMSB beschließt personelle Veränderungen für die DTM" - so lautete die Schlagzeile einer DMSB-Pressemeldung, die acht Monate später die Ruhe um die Rennleitung endgültig beendete. Verspätete Pace-Car-Phasen, falsche Schaltungen der Boxenausfahrtsampel, ein Safety-Car, das versehentlich den Dritt- statt des Erstplatzierten einfing und später vergeblich versuchte, während eines zweiten Einsatzes für klare Verhältnisse zu sorgen: Mit dem viel zitierten Chaos am Lausitzring hatte sich die alte Rennleitung das Vertrauen des DMSB verspielt - wenngleich sich Renndirektor Bruynseraede nach Jahren kompetenter Arbeit und unbestrittener Verdienste um die DTM als Bauernopfer sah. Nach dem Aus für den erfahrenen Belgier sollte Sven Stoppe, lange Jahre in gleicher Funktion in diversen Rahmenserien aktiv, als neuer Renndirektor Ruhe in die DTM bringen - mit ihm Dr. Gerd Ensser als oberster Sportkommissar sowie Christian Schacht als DMSB-Delegierter.

Es war kein leichtes Amt, das das neue Dreigestirn ab Brands Hatch antrat. Während die Kritiker der DTM nur auf die nächsten Fehler warteten, erwarteten auch die DTM-Protagonisten mehr Übersicht - und mehr Transparenz. "Das Problem bei der alten Rennleitung war, dass sie in ihren Entscheidungen nicht wirklich konsequent waren. Manchmal gaben sie wegen Fahrzeugkontakts bereits Durchfahrtsstrafen, manchmal nicht", erinnert sich Jamie Green gegenüber der adrivo Sportpresse, der sowohl in Oschersleben als auch in der Lausitz von einer Durchfahrtsstrafe durch die alte Rennleitung betroffen war - und forderte: "Es wäre sinnvoller, die Entscheidungen nach dem zu treffen. Dann könnte man mit den Fahrern sprechen, sich die Daten beider Fahrzeuge und die Aufzeichnungen detailliert ansehen und im Nachhinein Zeitstrafen nach einem festgelegten Raster vergeben."

Und tatsächlich lobt ein Großteil des Fahrerfeldes die Dialogbereitschaft der neuen Rennleitung. "Der neue Renndirektor steht den Vorschlägen der Fahrer offen gegenüber; wie auch in Mugello, wo die Boxenausfahrtslinie über Nacht noch geändert wurde", stellt Gary Paffett Sven Stoppe ein positives Zeugnis aus, "ich freue mich darüber, dass er den Fahrern zuhört und immer Dialogbereitschaft besteht." Mattias Ekström stimmt ein: "Zwischen der neuen Rennleitung und den Fahrer gibt es eine sehr gute Kommunikation." Eine Kommunikation mit den Fahrern, wie sie allerdings in der von Green genannten Situation nach dem Rennen selten nötig ist - steht die neue Rennleitung doch dafür, missglückte oder übermotivierte Manöver im Zweikampf eher gnädig zu bewerten.

"Am wichtigsten ist mir, dass eine Rennleitung eine klare Linie zeigt", betont Mike Rockenfeller; und die Forderung des Audi-Piloten wurde zweifelsohne erhört. Noch nie in ihrer bisher vier Rennen währenden Amtszeit vergab die neue Rennleitung eine Durchfahrtsstrafe für kritisches Zweikampfverhalten. In den Augen der Rennleitung sündigten zuletzt lediglich Christian Abt und Alexandros Margaritis mit allzu forschen Manövern in der Boxengasse von Zandvoort - und erhielten "nur" eine Geldstrafe. Renndirektor Sven Stoppe macht den Piloten mit nachsichtigen Urteilen Mut, wieder mehr Würze in die Zweikämpfe zu bringen - ganz im Sinne des Strebens nach mehr Überholmanövern. Eine neue Linie, die die DTM-Fans laut unserer jüngsten Umfrage ausdrücklich loben, allerdings auch erste Kritik einbringt:

Safety-Car-Phasen laufen unter der neuen Rennleitung fehlerlos ab - meistens jedenfalls..., Foto: Audi
Safety-Car-Phasen laufen unter der neuen Rennleitung fehlerlos ab - meistens jedenfalls..., Foto: Audi

"Die Rennleitung ist ihrer bisherigen Linie treu geblieben, muss jedoch künftig darauf achten, dass die Zweikämpfe nicht allzu hart werden, weil niemand mehr eine Durchfahrtsstrafe zu befürchten hat", bilanzierte motorsport-magazin.com DTM-Experte Manuel Reuter nach dem Zandvoort-Rennen, nachdem auch Timo Scheider trotz seines umstrittenen Zweikampfverhaltens im Duell mit Bruno Spengler straffrei ausgegangen war. Mit Drive-through-Penaltys bestraft wurden in Mugello hingegen unangepasste Sektorengeschwindigkeiten unter Gelb. "Wenn jemand in einem Sektor unter Gelb persönliche Bestzeit fährt, gehört er bestraft", kommentierte Reuter die Bestrafung dreier Jahreswagenpiloten, die sich nicht mehr hatten zu Schulden kommen lassen als so mancher Kollege, "das jedoch sollte für alle gelten - und nicht nur für die, die mit ihrer Bestzeit eine von der Rennleitung festgelegte Zeitgrenze von 32 Sekunden unterschreiten." Auch Mathias Lauda beobachtet: "Die Rennleitung verlangt, dass die Fahrer unter Gelb deutlich vom Gas gehen, und greift hier härter durch."

Nach nur vier Rennen befindet sich die neue Rennleitung zweifelsohne noch in der Einarbeitungsphase. "Ich finde es gut, dass es in der Rennleitung neue Gesichter gibt. In Brands Hatch hat die Rennleitung einen guten Einstand erlebt, wobei sie noch ihre Zeit braucht, um sich einzugewöhnen", glaubt auch Martin Tomczyk, nachdem das neue Dreigestirn auf dem Norisring kurzzeitig in die Schlagzeilen zu geraten drohte. Dass Bruno Spengler während der Safety-Car-Phase die Boxengasse Sekundenbruchteile nach Umspringen der Ampel auf Rot verließ und unbestraft bliebt, sorgte bei Audi zunächst für erhitzte Gemüter - wurde am Ende jedoch von den Ingolstädtern als faire Entscheidung akzeptiert. Konsequenz, und weitere Fortsetzung des Umbauprozesses in der Rennleitung, war die Einführung eines Spotters, der auf dem Racetower Boxengasse und Strecke überblickt - und die Schaltung der Boxenampeln übernimmt. Mika Häkkinen sah sich dennoch verwirrt:

"Ich habe nicht verstanden, wieso das Safety-Car in Nürnberg nicht von der Boxengasse aus das Feld eingefangen hat, sondern im Bereich der Schikane mitten von der Strecke aus", beschreibt der Finne ein Kuriosum, das ihn dazu brachte, wie schon in der Lausitz in Führung liegend am Safety-Car vorbeizurauschen. Rasch korrigierte Häkkinen die falsche Reihenfolge. Dass Mathias Lauda am Sicherheitsfahrzeug vorbeifuhr und so eine Runde gewann, sorgte zum Glück der Rennleitung nicht für unangenehme Fragen - kam der Österreicher doch ohnehin nicht in die Punkte. Mika Häkkinen vergleicht: "In der Formel 1 kommt das Safety-Car immer aus der Boxengasse - diese Regel sollte überall gelten." Die Formel 1 als Vorbild für die DTM? Ein Leitbild, das in dieser Saison nicht nur positive Auswirkungen hatte...

"Ich glaube, dass die neue Rennleitung unter den aktuellen Umständen eine sehr gute Arbeit leistet: Die vom FIA-Formel-1-Reglement übernommenen Regeln für Safety-Car-Phasen, zur Bestrafung bei falschem Verhalten in Gelbphasen", zählt Ekström in diesem Jahr eingeführte Änderungen auf, die sich in einem modifizierten Artikel S35 des Sportlichen Reglements äußerten und das Lausitz-Chaos begünstigten, "all das macht es nicht leicht, Renndirektor zu sein." So bricht der Schwede wie viele seiner Kollegen eine Lanze für die neue Rennleitung - die neue Großzügigkeit beruht auf Gegenseitigkeit...