Platz zwei am Samstag, Platz zwei am Sonntag, neuer DTM-Gesamtführender - und am Dienstag wieder im Büro. "Zum Glück ist Montag Feiertag!", atmete Tim Heinemann (Toksport-WRT-Porsche) nach seinem schier unglaublichen DTM-Debüt beim Saisonauftakt in Oschersleben auf. So hat der 25-jährige Industriekaufmann zumindest einen Tag lang Zeit, die Ereignisse in der Magdeburger Börde zu verarbeiten, bevor es mit der Büroarbeit - Heinemann: "Bin im Home Office!" - weitergeht.

Aus dem gefühlten Nichts bis an die Spitze der DTM-Meisterschaft, die am Wochenende vor 35.000 Zuschauern den Auftakt in ihre erste Saison unter der neuen Leitung des ADAC erlebte: Für Heinemann, der den Slogan 'From Sim to DTM' (Aus dem Sim-Racing in die DTM) plakativ auf seinem weißen Rennoverall trägt, ein mehr als realer Traum. Wer kann schon von sich behaupten, in seinem erst fünften Jahr im Automobilsport bereits an der Spitze der weltweit bekannten DTM zu stehen?

Vom Simulator in die DTM? Oder eher nach dem Gewinn von zwei Meisterschaften in der eingestellten GT4-Serie 'DTM Trophy' in die DTM? Geschichten auf seinem Weg nach oben hätte Heinemann genügend zu erzählen. "Die Titelgewinne in der DTM Trophy 2020 und 2022 waren sicherlich Meilensteine", sagt der Fichtenberger. "Aber der Simulator hat mich dorthin gebracht, wo ich jetzt bin."

Simulator kostet 6.000 Euro - Kartsport 200.000

Es ist vermutlich der wahrgewordene Traum eines jeden eSportlers, den Sprung ins reale Cockpit zu schaffen und direkt beachtliche Erfolge zu feiern. In Heinemanns Fall war dieser Schritt eher aus der Not heraus geboren. Wie so oft haperte es am lieben Geld, und so war das Abenteuer Motorsport nach nur wenigen Jahren im immer teurer werdenden Kartsport mangels Budget schnell wieder beendet. Mit dem Sim-Racing, das zu Corona-Zeiten einen wahren Hype erlebte, konnte Heinemann seiner Leidenschaft immerhin virtuell und vor allem kostengünstiger nachgehen.

Ein Weg, auf den er offenbar auch gut hätte verzichten können, wenngleich Heinemann 2015 die Virtuelle DTM-Meisterschaft, 2017 die AMG eRacing Competition und 2020 die Deutsche RaceRoom-Meisterschaft gewann. Heinemann rechnet vor: "Ein Simulator kostet 6.000 Euro. Eine Saison in der Deutschen Kart-Meisterschaft rund 200.000 Euro. 90 Prozent der aktuellen Rennfahrer kommen aus dem Kartsport, aber nur 10 Prozent sind über das Sim-Racing aufgestiegen. Das sagt eigentlich alles."

Tim Heinemann startet für Toksport-WRT-Porsche, Foto: LAT Images
Tim Heinemann startet für Toksport-WRT-Porsche, Foto: LAT Images

Heinemann: "Sonst wollte mich ja niemand haben..."

Motorsport-Experten wunderten sich seit längerer Zeit, dass Heinemann nach zwei DTM-Trophy-Meisterschaften der Sprung in die GT3-Welt - DTM oder ADAC GT Masters - verwehrt blieb. Doch die Hersteller-Zeiten mit reinen Werks-Engagements in der DTM sind Geschichte, seit dem Wechsel zum GT3-Kundensport-Reglement 2021 regiert auch in der deutschen Traditionsserie das Geld. Es ist Fakt: Wer heute genug Kohle auftreiben und halbwegs am Lenkrad schrauben kann, kann sich theoretisch ein DTM-Cockpit kaufen.

Beim DTM-Neueinsteiger und eher aus dem Rallye-Sport bekannten Team Toksport WRT erhielt Heinemann schließlich die Chance, sich dauerhaft im GT3-Auto zu beweisen. "Es kam zusammen, was zusammenkommen sollte", bedankt sich Heinemann beim Team und seinen Sponsoren für die Unterstützung. "In den letzten Jahren wollte mich ja sonst offenbar niemand in der DTM haben..."

Screenshots von der DTM-Tabelle

Nach dem bombastischen Auftritt in Oschersleben, wo der Porsche 911 GT3 R der Konkurrenz sicherlich überlegen war, wie der Vierfach-Sieg der Marke am Sonntag bewies, dürfte sich das eine oder andere Team ärgern, Heinemann nicht schon früher eine Chance gegeben zu haben. "Am Samstagabend habe ich auf dem Handy einen Screenshot von der DTM-Tabelle gemacht, weil ich dachte, dass ich vielleicht nie wieder führen würde", sagte Heinemann mit einem breiten Grinsen nach seinem zweiten Podesterfolg am Sonntag, mit dem er die Gesamtführung sogar ausbauen konnte.

Jetzt kann Heinemann, der erst vor zwei Jahren sein erstes GT3-Rennen fuhr, noch einen Screenshot machen... "Fucking awesome", prustete er in der englisch geführten Sieger-Pressekonferenz am Sonntag nach dem zweiten Rennen heraus. "Das hatte ich als Rookie nicht erwartet. Das Podium am Samstag war schon ein Traum, der nächste Podestplatz jetzt ist unglaublich."

Zwei Podestplätze in Oschersleben: Toksport-Pilot Tim Heinemann, Foto: ADAC Motorsport
Zwei Podestplätze in Oschersleben: Toksport-Pilot Tim Heinemann, Foto: ADAC Motorsport

Heinemann ohne Druck zur DTM-Führung

Den DTM-Fans wären weitere Erfolge des Porsche-Durchstarters zu wünschen: Heinemann kommt mit seiner lockeren und offenen Art prächtig an. Das scheint ihm auch im Cockpit nicht zu schaden, wo der Druck höher ist, als ihn sich Rennfahrer anmerken lassen würden. Und der ist absolut berechtigt, wie allein ein Blick auf die Qualifyings in Oschersleben zeigt: Am Samstag lagen die Top-24 innerhalb von sieben Zehntelsekunden, am Sonntag die Top-25 innerhalb neun Zehnteln.

"Ich bin mit einem klaren Kopf und fokussiert hier angekommen", sagte Heinemann. "Es bringt auch nichts, wenn man sich selbst zu sehr unter Druck setzt." Als Meisterschaftsführender in der DTM dürften Druck und Erwartungshaltung von außen ohnehin groß genug sein, wenn die Serie in vier Wochen zum zweiten Rennwochenende im niederländischen Zandvoort gastiert.