Das ist Wahnsinn: Die beim Samstagsrennen der DTM auf dem Norisring entstandenen Schäden liegen in Millionenhöhe! 16 der 27 Autos fielen vorzeitig aus, selbst die wenigen GT3-Boliden im Ziel waren durch zahlreiche Kampfspuren gezeichnet.

Wie teuer das Demolition-Derby auf dem Nürnberger Stadtkurs alle Teams zu stehen kam, kann nicht genau beziffert werden. Betroffene Teamchefs nannten im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com unterschiedliche Summen, die sich zwischen mehr als einer und bis zu vier Millionen Euro bewegten.

Muths BMW fällt für Sonntag aus

Das chaotische Rennen hatte nicht nur finanzielle Folgen, sondern auch welche mit Auswirkungen auf den Sonntag: Wie BMW-Motorsportchef Andreas Roos gegenüber Motorsport-Magazin.com bestätigte, muss Walkenhorst-Pilot Esteban Muth das zweite Rennen auf dem berühmten Stadtkurs auslassen. Das Chassis seines BMW M4 GT3 wurde beim Unfall mit Alessio Deledda (GRT-Lamborghini, 5 Strafplätze am Sonntag) zu stark beschädigt und war kurzzeitig nicht reparabel. Der Schaden am rechten Heck war beträchtlich und deutlich stärker als man nach Ansicht der TV-Bilder vermuten würde.

Muths Teamkollege und Lokalmatador Marco Wittmann fiel ebenfalls unverschuldet vorzeitig aus - ein Debakel für den Rennstall aus Melle. "Hier fahren so viele Profis, und dann passieren so viele Fehler", ärgerte sich Teammanager Niclas Königbauer auf unsere Nachfrage. "Das kann man nicht gutheißen. Wenn am Ende nur elf Autos ins Ziel kommen, dann stimmt irgendetwas nicht. Wir sind hier, um Rennen zu fahren. Und nicht, um solch ein Spektakel zu fabrizieren."

DTM Norisring Rennen 1: Highlights und Zusammenfassung (05:15 Min.)

Norisring-Chaos: Drei Safety Cars und eine Full Course Yellow

Überhart ging es vor allem bei den vier Re-Starts in Folge der drei Safety-Car-Phasen sowie einer Full Course Yellow zu. In den dichten Zweierreihen flogen wahlweise Teile oder direkt Autos in die Streckenbegrenzung. Den meisten Teams stehen nicht nur enorme Kosten für Ersatzteile - sofern vorhanden - sondern auch eine lange Nacht für die Mechaniker bevor...

"Die Frage ist, wofür die DTM steht", sagte der frühere Mercedes-DTM-Teamchef und heutige HRT-Geschäftsführer Uli Fritz zu Motorsport-Magazin.com. "Wenn sie für professionellen Sport steht, war das keine gute Werbung. Wenn die DTM für Autoscooter steht, dann war das sicherlich das richtige Event dafür. Aber Autoscooter wären nicht so furchtbar teuer für die Teams. Dem gehört ganz dringend ein Riegel vorgeschoben. Das können sich nicht so viele Teams leisten."

Noris-Rumms! Ausfälle am laufenden Band, Foto: DTM
Noris-Rumms! Ausfälle am laufenden Band, Foto: DTM

"Einige Paydriver müssen sich offensichtlich keine Sorgen machen"

Ob der Temperaturwechsel - am Freitag regnete es in Nürnberg, am Samstag stieg das Thermostat auf knapp 30 Grad bei purem Sonnenschein an - dem einen oder anderen Fahrer nicht gutgetan hat? Oder das Wissen um die Schwierigkeit von Überholmanövern auf dem nur 2,162 Kilometer langen Stadtkurs mit nur vier Kurven? Statt Push-to-Pass oder DRS-Flügelklappe war die Brechstange diesmal ein beliebtes Werkzeug an Bord... Die enorme Aggressivität war so ziemlich allen Teamchefs ein Dorn im Auge. Viele hofften auf harte Strafen für die diversen Aktionen, um Wiederholungen vorzubeugen.

"Drei unserer vier Autos sind fast rundum beschädigt, die #19 (Ineichen-Ersatz Perera) sogar zu 90 Prozent", sagte GRT-Teamchef Gottfried Grasser zu Motorsport-Magazin.com. "In der Vergangenheit wurden Kollisionen von Rennleitung und Sportkommissaren vielleicht nicht hart genug bestraft. Als Teamchef wünsche ich mir solch eine Aggressivität wie wir sie heute gesehen haben, sicher nicht. Einige Paydriver müssen sich offensichtlich keine Sorgen machen."

Drei der vier Grasser-Lamborghini-Piloten fielen vorzeitig aus: Alessio Deledda nach dem heftigen Zusammenstoß mit Esteban Muth, der auch noch GRT-Debütant Franck Perera abräumte. Dazu der Meisterschaftszweite Mirko Bortolotti, der sich zunächst nach einer Kollision mit Maro Engel (GruppeM-Mercedes) eine 15-Sekunden-Zeitstrafe einhandelte und nach einem weiteren Crash mit Kelvin van der Linde ebenfalls frühzeitig die Segel streichen musste.

Teamchef Grasser: "Für die Zuschauer sind solche Zwischenfälle sicher ein Riesenspektakel, für die jeweils betroffenen Teams bedeuten die Schäden aber einige hunderttausend Euro. Unsere beziffere ich auf rund 350.000 Euro."

AF-Corse-Ferrari wieder "erfolgreich abgeschossen"

Von mehreren hunderttausenden Euro sprach übrigens auch AF-Corse-Teammanager Ron Reichert, der den sechsten vorzeitigen Ausfall von Felipe Fraga verdauen und obendrein den von Debütant Ayhancan Güven (3 Strafplätze am Sonntag) - auf Anhieb Dritter im Qualifying - mitansehen musste. Reichert zu Motorsport-Magazin.com: "Es ist relativ sichtbar, dass wir wieder eines der Teams waren, das erfolgreich abgeschossen wurde. Die Statistik spricht für sich, dass nach dem Restart relativ häufig bei uns jemand im Auto steckt. Wir werden die Autos reparieren, aber es wird eine lange Nacht."

"Fahrer müssten die Hälfte aus eigener Tasche bezahlen"

Schubert-BMW-Teamchef Torsten Schubert, der den Ausfall seines Meisterschaftsführenden Sheldon van der Linde miterleben musste, sagte mit einem Augenzwinkern zu Motorsport-Magazin.com: "Jeder Fahrer, der eine der zahlreichen Kollisionen verschuldet hat, müsste die Hälfte der Kosten aus eigener Tasche bezahlen."

Laut dem erfahrenen Schubert, selbst aktiver Rennfahrer, sei die Ursache allen Übels der sogenannte Indy-Restart in engen Zweierreihen, "der meiner Sicht keine gute Entscheidung ist. Wir haben heute gesehen, welche Auswirkungen das hat. Dagegen ist ein Safety-Car-Start zwar nicht so spannend für die Fans, aber einzeln und hintereinanderfahrend, entzerrt sich das Teilnehmerfeld eben viel besser".

Nur 11 von 27 Autos sahen am Samstag die Zielflagge, Foto: DTM
Nur 11 von 27 Autos sahen am Samstag die Zielflagge, Foto: DTM

Erhöhtes Crash-Potenzial bei Restarts

Die Action bei den ultra-engen, fliegenden Starts und sogar in Folge einer Full Course Yellow ist tatsächlich von der DTM gewollt, um noch mehr Würze reinzubringen. Dabei flogen schon in der vergangenen Saison häufig Teile, doch dieses Jahr rummst es noch deutlich mehr. Womöglich wegen einer weiteren Regelneuheit: Seit dieser Saison gibt der Rennleiter - und nicht mehr der Führende - vor, wann das Rennen wieder freigegeben ist.

Springen die Ampeln auf grün, bricht wenig später schon das Chaos aus. "Das Crash-Potenzial ist sehr hoch", bestätigte Walkenhorst-Mann Königbauer. "Das ist vielleicht ein Mords-Spektakel. Im Sinne der Teams ist es aber auch ein sehr hohes Risiko, Budget zu vernichten."

Ob es am Sonntag und nach einer möglichen Ansprache der Rennleitung gemäßigter zugehen wird? Zweifel sind angebracht, schließlich wartet im Anschluss eine achtwöchige Pause, um die Autos gegebenenfalls in Ruhe zu reparieren. "Das wissen auch die Fahrer und halten dann gerne mal voll rein", sagte ein Teamchef mit einigen Sorgenfalten auf der Stirn...