"Warum fahren die eigentlich alle gegen die Mauer? Ich weiß es nicht, eigentlich sollte man nicht dagegenfahren." Jene eher banalen und resignierenden, allerdings auch unbestritten sehr passenden Worte fand DTM-Experte Klaus Ludwig der Überlieferung nach in den ARD, während sich ein äußerst unfall- und scherbenreiches Rennen auf dem Norisring dem Ende zuneigte...

Der sechste Lauf auf dem Norisring war zweifellos einer der spektakulärsten der DTM-Geschichte. Mehr als 140.000 Zuschauern boten sich zahlreiche Zweikämpfe, die allerdings allzu oft in Karambolagen endeten - und so mit der Auslösung zweier Safety-Car-Phasen auch die taktische Komponente auf den Plan riefen. Dies machte sich insbesondere Gary Paffett, ohnehin einer der wenigen Piloten, die in Nürnberg einen kühlen Kopf behielten, zu Nutze.

Nachdem er und sein H.W.A.-Team während der ersten Safety-Car-Phase, ausgelöst durch "Friendly Fire" von Mercedes-Pilot Jamie Green an seinen Teamkollegen Mika Häkkinen, die Chance verpasst hatten, wie seine Konkurrenten mit einem ersten Boxenstopp unter gelben Flaggen Zeit zu sparen, wandelte H.W.A. den taktischen Fehler in eine taktische Glanzleistung um und verhalf Gary Paffett damit zum Sieg: "Das war wirklich ein unglaubliches Rennen. Mein Team holte mich während der zweiten Safety-Car-Phase direkt zum Boxenstopp. Schon in der ersten Kurve nach dem Stopp hörte ich über Funk, dass ich direkt zum zweiten Stopp kommen sollte. Die Strategie hat mich etwas überrascht, aber am Ende hat sie sich ausgezahlt. Die letzten 15 Runden habe ich nicht mehr alles gegeben, um meine Reifen und Bremsen zu schonen", bekundete der strahlende Sieger, der nach der zweiten Safety-Car-Phase zudem als Sieger aus dem direkten Duell gegen Titelkontrahent Ekström hervorgegangen war.

Für Mika Häkkinen war es ein kurzes Rennen., Foto: Sutton
Für Mika Häkkinen war es ein kurzes Rennen., Foto: Sutton

Auch Audi-Pilot Mattias Ekström, der während des Rennens jeweils unverschuldet in drei Kollisionen geraten und mit entsprechend havariertem Audi auf Platz drei war, zeigte sich beeindruckt vom Rennverlauf: "So ein Rennen erlebte ich noch nie. Selbst der Lauf am A1-Ring 2002 war nicht so dramatisch wie heute. Wir boten den vielen Zuschauern eine tolle Show." Zu jener tollen Show beitragen konnte auch Christian Abt, der im Audi-A4-Jahreswagen, im Vorfeld noch nicht einmal als automobiler Punkteanwärter im Gespräch, fehlerlos und unfallfrei den zweiten Platz belegte: "Es ist toll, nach so langer Zeit mal wieder auf dem Podium zu stehen. Gegen Ende des Rennens kam ich in einen Zwiespalt. Zum einen hatte ich die Chance, Paffett anzugreifen, zum anderen konnte ich meinem Teamkollegen helfen. Als ich merkte, dass Paffett zu schnell war, ließ ich Mattias in der letzten Runde eine Lücke, um mich zu überholen. In die ist dann Manuel Reuter reingefahren."

Dass Manuel Reuter jene Lücke zu nutzen versuchte, dabei jedoch mit Ekström kollidierte und so einen sicheren vierten Platz infolge einer 30-sekündigen Zeitstrafe in Rang neun ummünzte, passte zu einem für Opel enttäuschenden Rennen, während dessen viel Potenzial ungenutzt blieb: "Die Truppe hat gekämpft und unser Auto war heute definitiv siegfähig. Marcel Fässler war bis zu seinem Ausfall de facto der Führende im Rennen und hätte heute den ersten Sieg für uns einfahren können", bedauerte Opel-Sportchef Volker Strycek.

Wieder einmal kommt ein Fahrzeug den Leitplanken allzu nahe... , Foto: Sutton
Wieder einmal kommt ein Fahrzeug den Leitplanken allzu nahe... , Foto: Sutton

Nachdem jedoch Marcel Fässler mit reellen Siegchancen vor Augen in die Leitplanken gerutscht war und sich Reuter sowie Laurent Aiello jeweils Strafen der Rennleitung eingehandelt hatten, war es Heinz-Harald Frentzen, der für die Rüsselsheimer mit Rang sechs Schadensbegrenzung betrieb: "Nach einem unverschuldeten Dreher in der ersten Runde kämpfte ich mich von der letzten Position durch das Feld. Zu Beginn der zweiten Safety-Car-Phase wollte ich zu meinem Pflichtboxenstopp. Leider stand dort schon Marcel Fässler und ich konnte nicht abgefertigt werden. Schade, eigentlich hatten wir eine Top-Strategie."

Eine wirkliche Strategie war hingegen bei einigen Mercedes-Piloten und ihren Überholmanövern nicht zu erkennen; neben Jamie Green, der Mika Häkkinen mit ins Aus riss, und Bruno Spengler, der nach einer Kollision mit Bernd Schneider aufgeben musste, war es auch Bernd Schneider, der einige mühsam erkämpfte Positionen verlor, indem er die Leitplanke touchierte, bevor er Mercedes-Kollege Alexandros Margaritis umdrehte und somit eine Zeitstrafe erhielt. Kritische Worte seinem Fahrerkader gegenüber findet Norbert Haug dennoch nicht: "Es war ein äußerst turbulentes Rennen. Während der ersten Safety-Car-Phase waren wir gehandicapt, da wir schon an der Boxeneinfahrt vorbei waren und so die Autos nicht reinholen konnten. Gary Paffett hat einen guten Job gemacht. Meiner Meinung nach, war das die stärkste Leistung, die das Team je erbracht hat. Der Sieg war absolut beeindruckend."

Das Team Joest bejubelt die Leistung Christian Abts., Foto: Sutton
Das Team Joest bejubelt die Leistung Christian Abts., Foto: Sutton

Dennoch wirkte die Mannschaftsleistung der Audi-Fahrer überzeugender; mit Ausnahme Rinaldo Capellos, der sich mit einem Einschlag in die Leitplanken spektakulär des Hecks seines A4 entledigte, sowie Frank Stippler, der auf Grund eines Defekts ausschied, erreichten alle Audi-Piloten das Ziel und eroberten zu sechst die Punkteränge. Audi-Motorsportchef Dr. Wolfgang Ullrich zeigt sich zufrieden: "Mattias Ekström wurde drei Mal umgedreht und ist trotzdem noch Dritter geworden, das ist ein gutes Ergebnis. Der zweite Platz von Christian Abt mit dem Vorjahreswagen ist toll. Grundsätzlich haben aber auch die Safety-Car-Phasen das Rennen mitentschieden. So habe ich zwar ein weinendes Auge, da wir die Meisterschaftsführung verloren haben, aber auch ein lachendes, da wir nun die Markenwertung anführen."

Warum also alle gegen die Mauer, oder wahlweise auch gegen andere Fahrzeuge fuhren, obwohl man eigentlich nicht dagegenfahren sollte? Beantworten kann das wohl niemand. Das Monaco der DTM hat sich wie schon so oft als ganz eigenes Phänomen herausgestellt...