"Guten Morgen." "Morgen." "Geiles Rennen gestern oder? War wieder spannend bis zum Schluss!" "Ja, war schön anzuschauen..." "Und ein klasse Sieg von Eki..." "Naja... der Eki... Du weißt aber schon, dass der nicht gewonnen hat, oder...?" "Wie bitte? Erzähl mir nichts... ich war ja sogar da am Norisring und hab' mit eigenen Augen gesehen, wer als Erster über die Ziellinie ist..." DTM, Norisring 2013 - der Tag danach: So in etwa dürfte heute Vormittag wohl im ein oder anderen fränkischen Betrieb die Begrüßung unter den Arbeitskollegen ausgefallen sein, hatte das Stadtrennen in Nürnberg am Ende eines heißen Tages doch eine bittere Pointe in Form einer Wasserflasche, im wahrsten Sinne des Wortes, in der Tasche. Blicke ich zurück, muss ich feststellen, dass auch für mich der moderne Watergate-Skandal mit einem zunächst noch unschuldigen Hinweis meines Kollegen an der Strecke losging. Beim Blick auf die Bilder vom Podium fragte er: 'Warum ist denn der Ekström da so nass?'

Es war die Kontroverse der Saison: Der Wasserflaschen-Skandal am Norisring, Foto: DTM
Es war die Kontroverse der Saison: Der Wasserflaschen-Skandal am Norisring, Foto: DTM

Sonntag, 14. Juli, kurz nach Rennende: In der Tat... bis auf einen kleinen hellen Fleck ist fast das ganze Hosenbein des Schweden beim Entgegennehmen des Pokals dunkler als der Rest seines Rennanzuges. 'Naja, der wird sich abgekühlt haben', so ein erster Gedanke. Auch dass Ekstöm beim Podiumsinterview mit den Kollegen von DTM-TV unüblicherweise sitzt - ausgelaugt und mit hoch rotem Kopf - spricht für einen ziemlich fertigen und abgekämpften, aber nicht minder glücklichen Sieger. Dass man sich da gleich mal einen Schluck Wasser, Schampus oder sonst etwas gönnt, um die in der Hitze des Cockpits losgewordene Flüssigkeit wieder aufzunehmen... irgendwie logisch. Und trotzdem: Das Wasserflaschen-Thema ist am Norisring am Sonntag sofort präsent, wird bereits in der offiziellen Pressekonferenz angesprochen, von allen Beteiligten jedoch eher müde belächelt. Für uns Journalisten an der Strecke geht anschließend erst einmal der Alltag am Rennsonntag weiter, sprich mit den Fahrern sprechen, Stimmen sammeln, eben Bericht erstatten.

Lange Wartezeit

Während ich bei Mercedes lange auf Gary Paffett warte - der Mann, von dem wir zu diesem Zeitpunkt alle noch glauben, dass er nach den Kollisionen mit Edoardo Mortara das große kontroverse Thema des Tages ist, sickert erstmals die Info durch: Die Ekström-Anhörung dauert ungewöhnlich lange für eine vermeintliche Lappalie dieser Art... auch sind TV-Zeitlupen aufgetaucht, die eine recht ungünstige Sprache sprechen. Richtig vorstellen kann man sich weitreichende Sanktionen an der Strecke aber niemand. Vielleicht ein bisschen Fingerklopfen, eine Geldstrafe oder so etwas...? Bei BMW spreche ich später ein paar Fahrer auf den Fall an. Am besten trifft es Timo Glock, der in seinen F1-Zeiten scheinbar gut geschult wurde, die Dinge auf den Punkt zu bringen. "Wenn man nicht aufpasst, fängt die DTM an, sich lächerlich zu machen", sagt er zu mir und schüttelt in Bezug auf die Wasserflaschen-Untersuchung den Kopf. Markenkollege Dirk Werner scherzt: "Was passiert denn, wenn mir als Sieger aus der Menge ein Blumenstrauß zugeworfen wird... darf ich den dann auch nicht fangen?"

Während ich Werner verspreche, ihm höchstpersönlich Blumen mitzubringen, sollte er demnächst seinen ersten DTM-Sieg einfahren, findet der Deutsche aber auch mahnende Worte. "Man muss sich halt fragen: Warum schüttet ihm jemand Wasser drüber... Absicht oder nicht? Theoretisch macht man den Fahrer somit schwerer und es gibt diese Regel - also ist es ein Regelverstoß. Wenn Audi also dafür bestraft wird, dürfen sie vielleicht nicht überrascht sein", so Werner, der lachend anfügt: "Ach... was für ein Glück, dass ich das nicht entscheiden muss." Zurück im Media-Center merkt man sofort eine angespannte Stimmung bei allen Kollegen. Die meisten haben ihre Geschichte für den ein oder anderen nahenden Redaktionsschluss schon fertig... jetzt so ein Urteil, noch dazu solchen Ausmaßes und alles wird wieder umgeworfen.

Eine Entscheidung abseits der Strecke wünscht sich niemand... so etwas ist nie gut für den Sport, bitter für die bereits gefeierten Sieger - und auch dem potenziellen Nachrrücker Robert Wickens würde man so einen ganz komischen ersten Sieg bescheren, den er nie richtige feiern durfte, Punkte hin oder her. Während die meisten diskutieren, sich derlei Gedankenspielen hingeben, dauert die Entscheidungsfindung immer länger an. "Sollen wir hier bis Moskau sitzen?", scherzt der ein oder andere - die Ungeduld wächst. Auch, weil viele bereits ahnen, dass das letzte Wort hier noch lange nicht gesprochen ist. Warum vier Stunden wegen einer Wasserflasche tagen? Die Bilder sind klar, genauso wie die Situation - nur muss man sich eben überlegen, wie man damit umgeht. Erneut fragen wir bei offizieller Stelle an, ob es schon Neuigkeiten gibt, werden erneut vertröstet.

Audi bemüht sich um Transparenz

Allerdings bekomme ich aus verlässlicher Quelle die Information zugespielt, dass man gerade dabei ist, ein Bild von der Aktion im Parc fermé auf die offizielle Seite der DTM hochzuladen. Sofort beschleicht mich ein ungutes Gefühl bei der Sache: Warum lädt man ein Bild hoch, um dann zu sagen: 'Es war nichts!?' Doch trotzdem dauert es anschließend gut weitere 40 Minuten... Dann endlich Klarheit: Im Pressezentrum gibt es eine Durchsage, wir erfahren es zuerst: 'Mattias Ekström wird nach einem Bruch der Regeln im Parc fermé disqualifiziert und von der Veranstaltung ausgeschlossen.' Ein Raunen geht durch die Reihen. Sofort rennen alle zu ihren Laptops und Handys, geben die Neuigkeit weiter. Ich mache mich schnurstracks auf den Weg zu Audi - dort angekommen bemerke ich: Hier weiß scheinbar noch niemand vom Urteil. Das ändert sich Sekunden später, denn parallel mit mir trifft ein Bote der Rennleitung ein, überbringt den Zettel mit der Hiobsbotschaft für die Ingolstädter.

Mit Ekströms Wasserspielen war in Nürnberg Vorsicht geboten, Foto: RACE-PRESS
Mit Ekströms Wasserspielen war in Nürnberg Vorsicht geboten, Foto: RACE-PRESS

Während der Überbringer sich den Erhalt quittieren lässt, stürzen sich die Verantwortlichen auf das unheilvolle Schriftstück. Die fragenden Blicke weichen schnell und werden zu hängenden Gesichtern. In der Hospitality des Teams wird danach schnell eine Art Krisenstab gebildet. Alle, die etwas zu sagen haben, stehen an einem Tisch um das Schriftstück herum. Wir Journalisten warten etwas entfernt, beraten uns genauso - wie geht man in so einer heiklen Situation vor? Die Herrschaften bei Audi haben aktuell sicher andere Probleme als bohrende Nachfragen von uns - nichts desto trotz brauchen auch wir am Ende des Tages Informationen. Von Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich ist direkt im Anschluss an ein erstes Lesen der Entscheidung zu vernehmen: "Wir legen Einspruch ein." Bis das auch offiziell bestätigt wird, dauert es aber wieder eine halbe Stunde - Audi muss erst einmal mit dem DMSB kommunizieren.

Nachdem der formelle Teil jedoch abgehandelt worden ist, bemüht man sich auch der schreibenden Zunft gegenüber, im Rahmen der Möglichkeiten alles transparent zu halten und geht in die Offensive. Kurzerhand wird eine kleine Runde für die Medienvertreter anberaumt. Sportchef Ullrich, Audis DTM-Leiter Dieter Gass und Pressesprecher Jürgen Pippig geben kurz aber deutlich Auskunft über den Stand der Dinge. "Die Entscheidung ist erst einmal klar: Mattias ist wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Parc-fermé-Bedingungen ausgeschlossen worden. Wir sind damit natürlich nicht einverstanden und das Team Abt Sportsline legt gegen diese Entscheidung Berufung ein", verkündet Gass. Anschließend werden die weiteren Schritte erläutert - für eine schriftliche Begründung hat man nun vier Tage Zeit, da man um eine Verlängerung dieser eigentlich zwei Tage dauernden Frist geboten hatte. "Um sich besser vorbereiten zu können", erklärt Gass die Hintergründe für diesen Schritt.

Ein bitteres Geburtstagsgeschenk

Welchen Finger Ekström Sonntagabend gerne gezeigt hätte ist nicht überliefert..., Foto: RACE-PRESS
Welchen Finger Ekström Sonntagabend gerne gezeigt hätte ist nicht überliefert..., Foto: RACE-PRESS

Da es sich um ein schwebendes Verfahren handelt, wird gebeten, von weiterem Nachbohren abzusehen. Besonders in Bezug auf Mattias Ekström selbst, der sich zwar bis zur Urteilsverkündung an der Strecke aufhalten musste, jedoch noch mit niemandem gesprochen hat. Dass sich daran so schnell auch nichts ändern wird, macht Sportchef Ullrich klar: "Mattias wird sich dazu genauso wenig dazu äußern, weil ich ihm das nicht erlauben werden", scherzt der Österreicher unter dem Gelächter der Anwesenden und lockert somit etwas die angespannte Stimmung auf. Den Stolz, dass man sportlich und auf der Strecke den lang ersehnten Norisring-Sieg eingefahren hat, will man sich bei Audi sichtlich nicht kaputtmachen lassen, denn Ekströms Auto war einwandfrei - nur eben die Kontroverse Aktion nach der Zielankunft nicht und diese könnte einen nun die hart erarbeiteten Punkte kosten.

Wie man diese nicht gegebene Verhätnismäßigkeit allerdings der breiten Öffentlichkeit erklären will, bleibt weiter rätselhaft. Die Zuschauer wollen keine Rennen sehen, deren Ergebnis sie ein paar Stunden später am Fernseher oder im Internet viermal gegenchecken müssen, weil sich die Hälfte der Reihenfolge geändert hat - erst recht nicht wegen einer Wasserflasche im Hochsommer. Regeln sind Regeln - aber gesunder Menschenverstand ist gesunder Menschenverstand, weshalb die praktische Umsetzbarkeit des ein oder anderen Passus einmal hinterfragt werden sollte. Der Fakt, dass Ekström in puncto Gesamtgewicht mehrere Kilo im grünen Bereich lag, wirft die Frage nach der Härte und dem Sinn der Bestrafung auf. Durch einen halben Liter Wasser, von dem der Großteil am Bein entlang und auf den Boden läuft, ernsthaft einen Gewichtsvorteil erwirken zu wollen, scheint weit hergeholt. Wäre es nur darum gegangen, hätte Ekström vor dem Rennstart auch ein Stück Geburtstagstorte mehr essen können.

Dass ihm sein 35. Geburtstag nun so in Erinnerung bleiben wird, macht die Angelegenheit für den Schweden doppelt bitter - erst recht für seinen Vater, der die Wasserflasche auf seinen Filius entleerte und in dessen Haut man nun nicht stecken möchte. Die menschliche Komponente wurde bei der Farce von Nürnberg leider gänzlich außer Acht gelassen. Fingerspitzengefühl: Fehlanzeige. Für mich steht daher fest: Mit dieser Entscheidung hat sich die DTM keinen Gefallen getan. Am Sonntag zeigte ihr Regeldschungel einmal mehr sein hässliches Gesicht und bot damit selbstredend Anlass für viel Verwirrung, Frust und Spott bei den Zuschauern. So forderten nicht wenige, man solle in Zukunft vielleicht auch eine Extraprozedur und Zeitregelung für Regenrennen einführen. Wer zu lange beim Jubeln mit dem Team im Nassen steht, erschwert nachweislich das Gewicht seines dann vollgesogenen Rennoveralls. Vielleicht haben die Piloten also bald einen Regenschirm mit an Bord...? Oder wie Timo Glock bereits so schön feststellte: Die DTM macht sich lächerlich.