Am Donnerstag platzte im MotoGP-Paddock in Spielberg eine Bombe. Um 12.00 Uhr ließ Yamaha per Presseaussendung ausrichten, dass man Maverick Vinales mit sofortiger Wirkung suspendiert und den Österreich-GP im Werksteam mit nur einem Motorrad bestreiten wird. Seither kocht die Gerüchteküche der Motorrad-WM hoch und hinterlässt bei den Fans viele Fragezeichen. Motorsport-Magazin.com bringt Licht ins Dunkel.

Was warf Yamaha Vinales vor?

Der japanische Hersteller formulierte es am Donnerstag als "unerklärte irreguläre Handlung", die zu "signifikantem Schaden am Motor" führen hätte können. Eine Datenauswertung hatte ergeben, dass Maverick Vinales im verpatzten MotoGP-Rennen am vergangenen Sonntag seine M1 mehrfach mutwillig in den Drehzahlbegrenzer getrieben hatte. Ein Umstand, den ein von der Dorna veröffentlichtes Onboard-Video mit Ton klar untermauerte.

Yamaha verbannte daraufhin die Motorräder sowie einen Großteil der Arbeitsmaterialen aus der Box und öffnete seinen Teil der Garage zum 1. Training am Freitag besenrein. Vinales selbst zeigte sich während dieser Session auf der Innenseite von Kurve 3, wo er das Geschehen auf der Strecke seelenruhig verfolgte und damit für kuriose Szenen sorgte.

Yamaha lässt Maverick Vinales nicht starten: Die Hintergründe (11:09 Min.)

Was sagen Vinales und Yamaha dazu?

Erst am Samstag trat Maverick Vinales kurz vor dem MotoGP-Qualifying zunächst in einer Live-Sendung bei "Sky Italia" auf und gab anschließend für die offiziellen TV-Kameras der Dorna ein Statement ab. Er entschuldigte sich dabei für sein Verhalten, was quasi einem Schuldeingeständnis gleichkam.

Wenig später trat Yamaha-Teammanager Massimo Meregalli kurz im offiziellen MotoGP-Livestream auf und vermeldete: "Die Entschuldigung ist natürlich willkommen. An der Situation ändert sich vorerst aber nichts." Es sollte das bislang einzige Statement eines Yamaha-Teammitgliedes bleiben, das an diesem Wochenende in dieser Causa getätigt wurde.

Wird Vinales je wieder eine Yamaha fahren?

Dass sich Yamaha-Motorsportchef Lin Jarvis bislang völlig abschottete, legt den Schluss nahe, dass der Vinales-Eklat intern zur Chefsache erklärt wurde und sämtliche Entscheidungen ab sofort im Vorstand in Japan getroffen werden. Die Verantwortlichen des Werksteams, Jarvis und Meregalli, dürften in dieser Causa nur noch Befehlsempfänger sein.

Yamaha kommt nicht zur Ruhe: Petronas weg, Vinales suspendiert (10:41 Min.)

Gerade in der respektvollen japanischen Kultur gilt ein mutwillig schlechter Umgang mit dem Material als riesengroßer Affront - nicht nur gegen das eigene Team, sondern gegen den ganzen Konzern. Stefan Bradl meinte etwa während der Live-Übertragungen von ServusTV, dass ein derartiges Verhalten bei seinem Arbeitgeber Honda eine sofortige Entlassung nach sich gezogen hätte.

Yamaha ließ sich bereits in der Presseaussendung weitere Schritte gegen Vinales offen: "Entscheidungen bezüglich zukünftiger Rennen werden nach einer detaillierten Analyse der Situation und weiterführenden Gesprächen zwischen Yamaha und dem Fahrer getroffen."

Wie geht es in dieser Causa nun weiter?

Von einer raschen Versöhnung geht im MotoGP-Paddock aktuell niemand mehr aus. Dass Vinales bereits in Silverstone wieder auf seiner Yamaha M1 sitzen wird, ist nahezu ausgeschlossen. Yamaha hat somit nur zwei Optionen: Entweder Vinales mit sofortiger Wirkung zu entlassen und den restlichen Anteil seines Jahresgehalts einzubehalten oder ihn für den Rest der Saison zu suspendieren. Vinales könnte für seinen möglichen neuen Arbeitgeber dann erst 2022 antreten und dürfte rund ein halbes Jahr kein MotoGP-Bike pilotieren. Für seine Konkurrenzfähigkeit wäre das ein schwerer Rückschlag.

Ein Bild aus besseren Zeiten: 2018 hielt Yamaha noch große Stücke auf Maverick Vinales, Foto: Yamaha
Ein Bild aus besseren Zeiten: 2018 hielt Yamaha noch große Stücke auf Maverick Vinales, Foto: Yamaha

Was bedeutet das für Vinales' möglichen Aprilia-Wechsel?

Obwohl die Gerüchte über einen Deal für 2022 bereits in Assen die Runde machten, kam bis heute von Aprilia noch keine offizielle Bestätigung, dass man Maverick Vinales für die kommende Saison verpflichtet. Somit darf bezweifelt werden, dass der Vertrag tatsächlich schon unterzeichnet ist. Aprilia muss sich nun fragen, ob man einen Fahrer im Team haben will, der seine Emotionen nicht im Griff hat. Zumal ärgerliche Dinge wie Defekte bei den Italienern nach wie vor an der Tagesordnung stehen.

Mangels Optionen dürfte Vinales trotz des Vorfalls bei Aprilia aber noch immer hoch im Kurs stehen. Die Causa könnte sogar zum Glücksfall werden, falls Yamaha den Katalanen mit sofortiger Wirkung entlassen sollte und er somit noch im Laufe der Saison bei den Italienern anheuern könnte. Im 1. Training soll Vinales vor allem bei Aleix Espargaro aufmerksam auf die Piste geschaut haben.

Wer könnte Vinales für den Rest der Saison ersetzen?

Sollte Yamaha Vinales mit sofortiger Wirkung kündigen bzw. bis zum Ende seines Vertrages suspendieren, so muss man für den Rest der MotoGP-Saison einen Ersatz finden. Nach aktuellem Stand stehen für diesen Fahrer noch acht Rennen auf dem Programm. Die naheliegendste Variante wäre, dass man Testfahrer Cal Crutchlow an die Seite von Fabio Quartararo stellt.

Begeistert ist der Brite von dieser Möglichkeit aber nicht, wie er in Spielberg klarstellte: "Ich habe als Testfahrer angeheuert, weil ich nur noch testen und keine Rennen mehr fahren wollte. Ich habe zwar einen Passus in meinem Vertrag, der vorsieht, dass ich als Ersatzmann einspringen kann. Aber da steht nichts davon, eine halbe MotoGP-Saison zu bestreiten. Noch hat niemand mit mir darüber gesprochen und ich müsste das zuerst mit meiner Familie besprechen."

Sollte sich Crutchlow erfolgreich gegen ein Vollzeit-Engagement wehren, so könnte Vinales' Motorrad unter Umständen zum Wanderpokal für die Superbike-Fahrer des japanischen Herstellers werden. Garrett Gerloff kam auf Initiative von Yamaha bereits in Assen als Ersatzmann des verletzten Franco Morbidelli zum Einsatz. Toprak Razgatlioglu wurde gemeinsam mit seinem Manager Kenan Sofuoglu im Fahrerlager in Spielberg gesichtet.

Möglich, dass Yamaha seinen WSBK-Piloten die Chance auf vereinzelte Einsätze gibt. Gegen ein Vollzeit-Engagement der Superbike-Asse sprechen drei Kalender-Kollisionen (Misano, Austin und Valencia) sowie der Umstand, dass sich Razgatlioglu mitten im Kampf um den Titel gegen Langzeit-Weltmeister Jonathan Rea befindet. Für diese Rennen könnte freilich Crutchlow einspringen.

Warum befördert Yamaha nicht einfach Morbidelli?

Viele MotoGP-Fans würden am liebsten eine Beförderung von Franco Morbidelli sehen, der 2022 Gerüchten zufolge ohnehin ins Werksteam aufrücken soll. Das ist aber auf drei Ebenen schwierig: Erstens ist der Italiener verletzt und kommt frühestens in Aragon zurück, insofern die Reha wie erhofft verläuft und es zu keinen Komplikationen kommt. Zweitens steht Morbidelli direkt beim Petronas-Team unter Vertrag, weshalb sich das schwer gebeutelte Team (Sponsor Petronas verkündete am Samstag seinen Rückzug) erst mit Yamaha auf eine Ablöse einigen müsste.

Und drittens wurde für Morbidelli für die laufende Saison bereits ein Motorrad homologiert, das mehr oder weniger dem Entwicklungsstand von 2019 entspricht. Der Italiener müsste dieses alte Bike laut Reglement ins Werksteam mitnehmen und könnte keinesfalls die Full-Factory-Maschine von Vinales übernehmen. Ein Aufstieg von Morbidelli ins Werksteam macht daher für niemanden Sinn.

Wie sieht das Lineup für Silverstone aus?

Eigentlich sollte Cal Crutchlow beim Großbritannien-GP statt des verletzten Franco Morbidelli im Petronas-Team fahren. Sollte es nicht doch noch zur Versöhnung zwischen Yamaha und Maverick Vinales kommen, wird der Testfahrer wohl ins Werksteam abgezogen. Petronas bräuchte somit einen Ersatz und soll mit einem Einsatz von Jake Dixon liebäugeln. Der Brite fährt für die Malaysier in der Moto2 und steht ohnehin auf der Liste der potenziellen Kandidaten für 2022.