"Es war unheimlich schwer, die Beine oder Arme anzuheben. Als ob ich große Magnete an den Armen und Beinen hätte", berichtet Jens Klingmann noch etwas bleich von seiner Fahrt in der Zentrifuge des DLR. 3G - also die dreifache Erdbeschleunigung - wirkte ein Minute auf seinen Körper ein. "Am Anfang hat man das Gefühl, als wenn man mit einem Flugzeug senkrecht in die Luft steigt und dieses Flugzeug nicht aufhört zu beschleunigen und zu steigen", empfand René Rast die Fahrt, "oder wie wenn man auf der Nordschleife in eine Senke fährt und in den Sitz gepresst wird." Um im Motorsportumfeld zu bleiben. Marco Wittmann ergänzt: "Ja das war unheimlich schwer, die Beine und Arme anzugeben, da diese durch die Fliehkräfte brutal nach unten gedrückt wurden."

Ausgedacht hat sich dieses Training der Diplom-Sportwissenschaftler Gernot Emberger, der jedes Jahr die Fitness des Academy Nachwuchs testet. In der Zentrifuge können die in schnellen und langen Kurven einwirkenden Beschleunigungskräfte simuliert und erfahren werden. Inzwischen geht auch die Fahrt von Maro Engel zu Ende. "Ich habe das Gefühl nach vorne überzukippen", krächzt es aus dem Lautsprecher unter dem Überwachungsmonitor im Steuerraum. Die Zentrifuge steht längst, da meint Maro immer noch: "Ich komme mir immer noch vor als ob ich falle und falle." Christian Vietoris nickt und sagt: "Ja, ein sehr komisches Gefühl, als ob man ins Leere fällt oder sich überschlägt." Auch Steffi Halm sagt: "Ich bin nur noch gefallen."

Nun hatten also alle Kandidaten die Zentrifugenfahrt hinter sich. Dabei wollte von der zweiten Gruppe um Steffi Halm, Maro Engel und Jens Klingmann keiner so recht den Anfang machen. Und das, obwohl sich nach der fliegerärztlichen Untersuchung am Morgen noch alle auf die Zentrifugenfahrt in der Astronautenschule gefreut hatten. Was war passiert? Von ganz schlimmen Erfahrungen, Black Outs und vom Übergeben berichteten Marco Wittmann, Christian Vietoris und René Rast. Was natürlich nicht stimmte. Die drei hatten ihre Rennfahrer-Kollegen nur mal kräftig aufs Glatteis geführt.

Vom Cockpit in die Zentrifuge., Foto: Speed Academy
Vom Cockpit in die Zentrifuge., Foto: Speed Academy

Zum Gruppenfoto vor der hellblauen DLR-Zentrifuge war die Welt für alle dann wieder in Ordnung: "Klar hat die Fahrt Spaß gemacht", beginnt Marco. "Das Gefühl in der Zentrifuge war einmalig", meint auch Maro. Für Steffi Halm war es "sehr beeindruckend" und für den lachenden René war die Fahrt vor allem "viel zu kurz". Doch das Programm des dreitägigen Fitnesstest des Speed Academy-Kaders im DLR war noch nicht zu Ende. Als nächstes ging es auf den so genannten Drehstuhl. Darauf kann das Gleichgewichtssystem getestet werden. "Nach kurzer Zeit mit geschlossenen Augen auf dem Drehstuhl, habe ich nicht mehr gemerkt, dass sich der Stuhl weiter dreht", berichtet René Rast. Dann wird der Stuhl blitzartig angehalten. Da das Gleichgewichtsorgan im Gehirn in der Nähe der Augenregion ausgewertet wird, kommt es zu einem heftigen Augenflattern. "Meine Augen flimmerten so schnell, dass ich nur noch die Umkreise der Personen sah und mir schlecht wurde", waren Marcos Erfahrungen. Er hatte den empfindlichsten Gleichgewichtssinn der Kandidaten.

Was ein Drehstuhl mit Rennfahren zu tun hat? Eine ganze Menge, denn der oft zitierte "sensible Hintern" basiert auf dem Gleichgewichtssystem. Für Sportcoach Emberger ein spannendes Thema. "Eventuell lässt sich mit dem Drehstuhl eine spezielle Leistungsdiagnostik für das Gleichgewichtssystem entwickeln. Und daraus vielleicht auch eine Art neurologisches Gleichgewichtstraining. Das kann im Rennwagen eventuell Vorteile bringen." Für Emberger ist diese These Grund genug zur Anregung eines weiteren Forschungsprojekts in Zusammenarbeit mit dem DLR.

Nicht die erste Kooperation des angehenden Sportmediziners mit der Astronautenschmiede. Emberger und der Leiter des Instituts für Luft- und Raumfahrt der DLR Professor Dr. med. Rupert Gerzer tauschen seit einiger Zeit ihre Erfahrungen aus dem Motorsport und der Luft- und Raumfahrtmedizin aus. Für beide sind die Belastungen von Rennfahrern vergleichbar mit denen von Kampfjetpiloten. "Gleichzeitig sind andere Bereiche wie die Telemedizin oder die im DLR entwickelte Rhythmusbetreuung zur Erforschung des Jet-Lag für eine hochwertige Betreuung von Rennfahrer sehr interessant", so Emberger.

Fit for winning., Foto: Speed Academy
Fit for winning., Foto: Speed Academy

Letzter Programmpunkt im DLR war der Hypoxietest. Damit kann Sauerstoffmangel erzeugt werden. Über einen Lungenautomaten atmen die Kandidaten dazu ein CO2-Helium-Gemisch ein. Gleichzeitung sollen sie einfache Rechenaufgaben erledigen. Je weniger Sauerstoff sich im Blut befindet, desto schwerer fällt den Jungs das Rechnen. Maro Engel kann am Ende nicht mal mehr seinen Namen schreiben. Professor Gerzer bricht den Versuch ab. Praxisfremd? Nein. Emberger liegen Untersuchungen zu gefährlichen CO2-Konzentrationen unter dem Rennfahrerhelm vor. Mit seinen unkonventionellen Methoden kann er den Nachwuchs so auf jede erdenkliche gefährliche Rennsituation vorbereiten.

"Nun weiß ich wie mein Körper in einer solchen Extremsituation reagiert und ich denke das kann im Ernstfall wirklich hilfreich sein", so das Fazit von René Rast. "Mir hat der Ausflug ins DLR sehr gut gefallen", freut sich Marco, "das war etwas ganz Neues und Besonderes, zu trainieren wie ein Astronaut". Das sieht auch Steffi so "das DLR war definitiv eine Reise wert." Und Maro Engel schwärmt: "Also für mich war es das absolute Highlight des gesamten Fitnesstestes, denn ich wollte schon immer mal so ein Teil des Raumfahrertrainings mitmachen." Und für Jens Klingmann war die Zentrifugenfahrt der "persönliche Tageshöhepunkt."

Am Tag davor durfte das Sextett nach dem Ausdauertest zur Laktat-Bestimmung und den klassischen Tests zur statischen und dynamischen Kraftausdauerfähigkeit sowie den Messung zum statischen und dynamischen Gleichgewicht einen Fahrradausflug der besonderen Art unternehmen: Unter Anleitung des querschnittgelähmten ehemaligen Leistungssportlers Errol Marklein ging es mit den ihm entwickelten und produzierten Sopur-Handbikes rund um die Regattastrecke in Köln. Marklein bestritt 111 Marathons und war mehrfacher Weltmeister und ist Europameister im Handbike-Einzelzeitfahren. Im Schwimmen holte er sechs Goldmedaillen bei Paralympics. Für Gernot Emberger ist das Handbike "ein hervorragendes Gerät zum Kraftausdauertraining für einen Grossteil der Muskulatur, die im Rennwagen aktiv bewegt wird".

Erschwerte Bedingungen für René Rast., Foto: Speed Academy
Erschwerte Bedingungen für René Rast., Foto: Speed Academy

Natürlich fehlte beim Fitnesstest auch die Theorie nicht. Im Fitness-Seminar lernte der Rennnachwuchs alles zu Belastungen, denen ein Rennfahrer ausgesetzt ist. Dazu zählen die physikalischen Beschleunigungskräfte, Vibrationskräfte und Muskelbelastung ebenso wie physiologische Reaktion des Herz-Kreislaufsystems oder Stress. "Rennsport ist eine Mischung zwischen mentaler und körperlicher Beanspruchung", so Emberger: "Beides verursacht Ausschüttung von Stresshormonen und damit teilweise extreme Herz-Kreislaufbeanspruchung. Und diese Beanspruchung steckt der Fahrer umso besser weg, je besser er in Sachen Ausdauer trainiert ist." Und wie diese aufgebaut werden kann, das erfahren die Kandidaten aus Embergers individuellen Trainingsplänen, die ihnen in den nächsten Tagen zugehen.