Was für ein Auftakt in die dritte Saison der NEO Endurance Series (NES)! 50 Teams mit über 220 Fahrern boten sechs Stunden packenden und hochklassigen Rennsport mit einem Finale, welches an Dramatik kaum übertroffen werden konnte. Gleich in allen drei Klassen überschlugen sich in den letzten dreißig Rennminuten die Ereignisse und würfelten das scheinbar gesetzte Rennklassement nochmals gehörig durcheinander.

Toyota-Feeling für Honda: Drama pur in der Prototypenklasse

Vermutlich jeder Motorsportfan erinnert sich mit Schrecken an das Finale des diesjährigen 24-Stunden-Rennens in Le Mans: Drei Minuten vor Ablauf der 24 Stunden rollte der souverän in Führung liegende Toyota TS050 von Gazoo Racing aus und verlor den sicher geglaubten Gesamtsieg in tragischer Weise an die zuffenhausener Konkurrenz. Fast genauso dramatisch endete der erste Saisonlauf der NES für das Pure Racing Team (PRT) am vergangenen Sonntag: Mit einer Fabelzeit von 1:45,908 Minuten markierte die #11 mit Benecke/Uzel die Bestzeit im samstäglichen Qualifying, 16 Hundertstel vor VRS Coanda Simsport. Überhaupt ging es in der Qualifikation der Prototypenklasse eng her: Rang vier bis acht lagen innerhalb von nur einer Zehntelsekunde!

Genauso eng, wie es die Qualifikation bereits andeutete, entwickelte sich dann auch das Renngeschehen. Vom Start weg setzten sich PRT, Coanda und CoRe Simracing vom Rest des Feldes ab. Die ersten Überrundungen nach circa 15 Rennminuten sprengten dann auch das Führungstrio. Von da an dominierte PRT von der Spitze das Renngeschehen. Zwar konnten sie Coanda Simsport mit Martin Krönke nie so richtig distanzieren, ein Polster von 20 bis 40 Sekunden auf den Rennstall des frisch gekürten Weltmeisters war jedoch verhältnismäßig komfortabel.

Coanda fällt zurück, Chimera übernimmt Rang 2

Unter Druck: Weltmeister Martin Krönke wird von Jack Keithley gejagt, Foto: Team Chimera
Unter Druck: Weltmeister Martin Krönke wird von Jack Keithley gejagt, Foto: Team Chimera

Zwischen Coanda und Chimera bahnte sich im Laufe des zweiten Stints ein enger Zweikampf an. Von Platz 8 gestartet konnte sich Jack Keithley schnell vom Mittelfeld absetzen und fand sich nach gut einer Rennstunde am Heck des Coanda-Piloten wieder. Doch eine Lücke zu schließen kann noch so leicht sein, Martin Krönke zu überholen bringt einige neue Schwierigkeiten mit sich. Das Team von Coanda Simsport wählte im Gegensatz zum Großteil des Prototypenfeldes ein Grundsetup mit möglichst wenig Downforce, was in hohen Topspeedwerten auf den Geraden resultierte, aber natürlich in den Kurven langsamer war. Man erhoffte sich im Überrundungsverkehr einen Vorteil zu haben und war selbstverständlich sehr schwierig zu überholen. Jack Keithley hätte spürbar etwas schneller fahren können, aber selbst wenn er mit Überschuss aus den Kurven heraus bis an das Heck von Martin Krönke fuhr, zog der Coanda Pilot auf der folgenden Gerade wieder davon.

Ein weiterer Vorteil des flachen Heckflügels bei Coanda war, dass man weniger Sprit verbrauchte und somit eine Runde länger als die Konkurrenz fahren konnte. Genau dieser Vorteil sollte ihnen aber am Ende des Stints zum Verhängnis werden, wodurch Chimera einen erfolgreichen Undercut an der Box durchführen konnte und sich den zweiten Platz sicherte. Fortan konnte man sich deutlich von Coanda absetzen, die wiederum ebenfalls Boden auf CoRe Simracing verloren, wodurch hier ein neues Duell entstand. Hier kam es leider früh zu einer Kollision in der ersten Haarnadel, wodurch Coanda das Heck und somit auch die Position verlor. Die Rennleitung war mit der Aktion von Frederik Rasmussen nicht zufrieden, CoRe Simracing wurde folgerichtig eine Stopp & Hold-Strafe von 15 Sekunden auferlegt.

Des einen Freud, des anderen Leid

Profiteur dieser Szenen: Pure Racing Team. Das zweite Team von PRT LMP Black wusste die Fehler der Konkurrenten zu nutzen und war gegen Rennhälfte vor CoRe Simracing und in Schlagdistanz zu Coanda. Ebenso profitierte auch das Team LMP White von PRT dadurch, dass der Vorsprung immer stärker anwuchs.

Angesichts der fehlerfreien Fahrt war ihnen der Sieg wohl kaum mehr zu nehmen bis, ja bis rund 15 Minuten vor dem Rennende: Direkt vor dem Führenden drehte sich ein zu überrundendes GT-Fahrzeug und ließ PRT-Fahrer Mert Uzel keine Chance für ein Ausweichmanöver.

Das siegreiche Team: Im letzten Moment sicherte sich Chimera den Rennsieg, Foto: Team Chimera
Das siegreiche Team: Im letzten Moment sicherte sich Chimera den Rennsieg, Foto: Team Chimera

Der Schaden, den der Prototyp durch die resultierende Kollision davontrug, schlug sich spürbar in der Pace nieder. Uzel schleppte den HPD ARX-01c weidwund dem Ziel entgegen, während Team Chimera mit Jack Keithley am Steuer nun mit vollem Risiko durch das Feld pflügte um die Führenden noch einzufangen: Mit Erfolg! Rund fünf Minuten vor dem Rennende übernahm die #24 gegen die wehrlose PRT-Mannschaft die Gesamtführung und sicherte sich den Gesamtsieg! Die ehemals Führenden fielen gar noch ganz aus den Podiumsrängen heraus und landeten nur auf dem undankbaren vierten Rang, hinter ihrem Schwesterauto mit der #12 auf Rang zwei und der #22 von CoRe Simracing auf dem dritten Rang. Insgesamt trennten die ersten drei Plätze nach ganzen sechs Rennstunden keine fünf Sekunden. Welche Dramatik die letzten Minuten entwickelten lässt sich daher unschwer erahnen.

Hamilton-Gate bei den GTs: Siegeshoffnung geht in Rauch auf

Die GT-Klasse, bestehend aus Aston Martins des Modells DBR9 GT1 und der Corvette CR.6, erlebte ebenfalls eine spannende Qualifikation am Tag vor dem Rennen.

Zwar drückte das SimRC.de Iris Team mit Sven Deml, die Vorjahressieger in der GT2-Klasse, dem zweitplatzierten Team knappe drei Zehntelsekunden auf, allerdings waren auch die Zweitplatzierten hochzufrieden, denn das SimRC.de Crimson Team bescherte dem deutschen Rennstall damit die reine erste Startreihe in der GT-Klasse. Dahinter ging es knapp zu: Von Platz 2 bis zur elften Startposition lag gerade einmal eine halbe Sekunde, womit sich viele Teams für den Rennsonntag noch Podiumsplätze ausrechneten.

Doppelführung: Der Start lief für die beiden SimRC.de Teams zunächst voll nach Plan., Foto: Team Chimera
Doppelführung: Der Start lief für die beiden SimRC.de Teams zunächst voll nach Plan., Foto: Team Chimera

Das Rennen hätte für SimRC.de nicht besser starten können. Die zwei gelben Boliden konnten die erste gelbe Reihe zunächst verteidigen und Sven Deml mit der #34 konnte sich um einige Sekunden absetzen, ehe der erste Überrundungsverkehr das Feld vor den Pitstops wieder etwas zusammenstauchte und CORE-, sowie Torrent Motorsports das SimRC.de Crimson Team zwischenzeitlich auf Platz 4 verdrängten. Im zweiten Stint blieben die vorderen Positionen zunächst unangetastet ehe die Fahrerwechsel nach etwa zwei Stunden des Rennens wieder etwas Bewegung in das GT-Feld brachten. So konnte Jürgen Frank, der das Fahrzeug von Dustin Hickmann auf Platz 4 liegend übernommen hatte, die verloren gegangen Position im Laufe seines Stints wieder zurückgewinnen und ziemlich genau zur Hälfte des Rennens hatte SimRC.de die Doppelführung in der GT-Klasse wieder inne. Der Titelverteidiger der GT-Klasse Thrustmaster Mivano hatte sich ebenfalls nach vorne gearbeitet und befand sich nun auf Platz 3 vor CORE Motorsports.

Teil 1: Platz 2 löst sich in Rauch auf., Foto: Dustin Hickmann
Teil 1: Platz 2 löst sich in Rauch auf., Foto: Dustin Hickmann

Doch von nun an sollte das Glück nicht mit den Tüchtigen sein und das Lager der Aston Martins hatte binnen weniger Minuten zwei Motorschäden zu beklagen.

Erstes Opfer: Das SimRC.de Crimson Team wurde bei der Aufholjagd zu ihrem Schwesterteam gnadenlos gestoppt, als ihnen der Motor in der letzten Kurve ohne Feindkontakt um die Ohren flog. Der Schub wurde sofort unterbrochen und man konnte nur noch bis vor die Boxengasse rollen, um von dort das Fahrzeug bergen zu lassen. Die nächste halbe Stunde gehörte daraufhin den Mechanikern.

Teil 2: Platz 2 löst sich in Rauch auf., Foto: Dustin Hickmann
Teil 2: Platz 2 löst sich in Rauch auf., Foto: Dustin Hickmann

Zweites Opfer: Thrustmaster Mivano, die soeben die Position des Crimson Teams beerbt hatten, verloren kurzzeitig die Kontrolle über ihren Aston Martin am Ausgang von Kurve 5, wodurch die Corvette von Racing Lions keine Möglichkeiten mehr hatte auszuweichen und es zu einer leichten, aber frontalen Kollision kam. Für den empfindlichen britischen Motor war das zu viel und große Rauchschwaden begleiteten das Team von Mivano auf dem Weg zurück in die Box.

So waren es CORE Motorsports, die gefolgt von Torrent Motorsports, welche relativ kampflos die Plätze zwei und drei auf dem Podium beerbten. Daran sollte sich in der zweiten Rennhälfte auch nichts mehr ändern und das SimRC.de Iris Team fuhr souverän den ersten GT-Sieg für das Team ein.

Die Zwei-Klassen-Gesellschaft: Audi demontiert Mercedes

Nicht nur im Fussball ist Ingolstadt derzeit eine Klasse über den Schwaben aus Stuttgart, auch in Sebring dominierte Audi die Mercedes-Teams nach Belieben: Bereits im samstäglichen Qualifying zeigte sich deutlich, dass der mittelmotorgetriebene R8 LMS deutlich besser mit dem welligen und technisch höchst anspruchsvollen Kurs in Florida zurechtkam. Alle zehn gemeldeten Audi landeten vor den Mercedes AMG der Konkurrenz. Dem besten AMG fehlte auf den besten Audi etwas mehr als eine Sekunde pro Runde; in einem so engen Fahrerfeld sind das Welten.

Ein entscheidender Faktor: Der Überrundungsverkehr der schnelleren Klassen, Foto: Team Chimera
Ein entscheidender Faktor: Der Überrundungsverkehr der schnelleren Klassen, Foto: Team Chimera

Dafür ging es unter den Audi selbst besonders eng zu. Die ersten drei lagen innerhalb von winzigen sieben Tausendsteln; die ersten acht innerhalb von nur vier Zehnteln. Von der Poleposition der GTS-Klasse ging CoRe Simracing ins Rennen, die sich hauchdünn vor Shinya Michimi SimRacing und Thrustmaster Mivano durchsetzen. Den Start konnte CoRe noch für sich entscheiden, musste aber bereits nach zehn Minuten die Führung an Vincenzo Amico von Shinya Michimi abtreten. Die hohe Leistungsdichte war zu diesem Zeitpunkt auch optisch sichtbar: Wie an einer Perlenkette zog Amico das Feld hinter sich auf. Einzig die Mercedes mussten allmählich den Kontakt abreißen lassen und lieferten sich fortan ihr eigenes Rennen.

Packende Szenen boten sich den Zuschauern der Liveübertragung nach circa fünfzehn Rennminuten, als die Prototypenklasse erstmals durch das GTS-Feld manövrierte. Überhaupt forderten die ständigen Überrundungsmanöver allen Fahrern im Feld sechs Stunden lang die höchste Konzentration ab. Shinya Michimi wechselte sich in den ersten zwei Rennstunden dann munter mit Thrustmaster Mivano und PRT an der Spitze ab. Etwa ab der Rennhälfte gelang es dann PRT durch Unkonzentriertheiten bei der Konkurrenz und konstante Topzeiten trotz Verkehrs einen Vorsprung auf die Verfolger herauszufahren. Doch Thrustmaster Mivano konnte wieder heran- und vorbeifahren und lag rund zweieinhalb Stunden vor dem Ende seinerseits in Führung. Das Duell fand seine Entscheidung als Mivano nach einem Fahrfehler und dem daraus folgenden Schaden schrittweise zurückfiel.

An der Spitze: Gegen Mitte des Rennens war der Audi von PRT da, wo er sein wollte und konnte das Rennen kontrollieren, Foto: Team Chimera
An der Spitze: Gegen Mitte des Rennens war der Audi von PRT da, wo er sein wollte und konnte das Rennen kontrollieren, Foto: Team Chimera

In der AMG-Klasse bildete sich zu diesem Zeitpunkt ein attraktives Dreiergespann aus Hellenic Racing, DFTBA und dem Motorsport-Magazin.com-Mercedes von Rennsport Online (RSO). Durch ein Missverständnis während eines Überrundungsmanövers kollidierte der Hellenic Racing-AMG dann zunächst mit einem GT-Fahrzeug und riss zu allem Übel auch den bis dato besten AMG von DFTBA mit von der Strecke. RSO hielt von da an die Mercedes-Fahnen hoch. Die konstant schnellsten AMG-Zeiten und Unfälle der Konkurrenz spülten die #97 bis auf Klassenrang acht vor, mit komfortablem Vorsprung auf die folgenden Ränge. Ein Unfall mit einem sich drehenden Aston Martin etwa eine halbe Stunde vor Rennende beendete jedoch auch ihre sehr gute Vorstellung. An der Spitze der GTS-Klasse ließ PRT sich die Butter nicht mehr vom Brot nehmen und sicherte sich einen überlegenen Klassensieg. Rang zwei ging an Odox Motorsport Samsung während sich Thrustmaster Mivano den letzten Podiumsplatz sicherte.

Make America great again: Die NES bleibt für den zweiten Lauf in den USA

Die Rennstrecke in Austin, Texas wird die Teams und Fahrer auf eine ganz neue Probe stelle, Foto: iRacing
Die Rennstrecke in Austin, Texas wird die Teams und Fahrer auf eine ganz neue Probe stelle, Foto: iRacing

Der NES-Tross setzt seine Reise auf dem amerikanischen Kontinent fort und schlägt seine Zelte in rund vier Wochen im texanischen Austin auf. Auf dem vom deutschen Streckenarchitekten Hermann Tilke entworfenen Circuit of the Americas findet am 12. und 13. November das zweite Rennwochenende der NES statt. Die Teams werden auch dort sechs Stunden lang um die Klassensiege kämpfen. Angesichts der tragischen Geschichten, die der Saisonauftakt geschrieben hat, gibt es mit Sicherheit einige Teams, die nach Wiedergutmachung streben, während die Gewinner des erstens Laufs, diesen sehr guten Eindruck sicher bestätigen wollen.

Dabei wird es in der GT-Klasse besonders spannend werden zu beobachten, ob sich das Kräfteverhältnis zwischen Corvette und Aston Martin umkehren wird und ob letztere ihre Motorenproblematik in den Griff bekommen haben. Auch die Wettbewerbsfähigkeit der Mercedes AMG steht auf dem 5,5 Kilometer langen und fahrerisch höchst anspruchsvollen Kurs auf dem Prüfstand. In jedem Fall dürfen sich Fans, Interessierte sowie die Teams und Fahrer selbst auf ein sicherlich ebenso attraktives und spannendes Rennen freuen, wie es der Saisonauftakt versprochen hat.