Sie benötigen 325.000 gute Gründe, warum der Motorsport - wenn auch gerne mal anders suggeriert - alles andere als tot ist? Dann empfehlen wir einen Blick zum 24-Stunden-Rennen von Le Mans, das am Wochenende seinen 100. Geburtstag gefeiert hat. Das einst und jetzt wieder wichtigste Autorennen der Welt, das in den vergangenen Jahren einiges an Glanz eingebüßt hatte, blüht wie das wahre Leben.

Ferrari, Porsche, Toyota, Peugeot, Cadillac - fünf weltberühmte Autobauer lieferten sich seit Samstagnachmittag eine unvergleichliche Schlacht um den prestigeträchtigen Gesamtsieg beim erstmals 1923 ausgetragenen Klassiker. Ein Triumph in Le Mans wie in diesem Fall durch Ferrari exakt 50 Jahre seit dem letzten Einsatz - mit allen PR-Geldern nicht zu bezahlen, hier schaut die ganze Welt hin. Die Podiumsszenen nach dem Triumph der Italiener brauchten sich vor denen beim Formel-1-Rennen in Monza sicherlich nicht zu verstecken.

Ferrari feiert seinen 10. Gesamtsieg in Le Mans, Foto: FocusPackMedia/Marius Hecker
Ferrari feiert seinen 10. Gesamtsieg in Le Mans, Foto: FocusPackMedia/Marius Hecker

325.000 Zuschauer in Le Mans: Rekord pulverisiert

Die mit riesengroßer Spannung erwartete Motorsport-Großveranstaltung erfüllte die extrem hohen Erwartungen und fühlte sich für sämtliche Beteiligte an wie die ersten und höchst unfallträchtigen Rennstunden: Man wusste nicht, wohin man zuerst schauen sollte. Ein PR-Termin jagte den nächsten in den Tagen vor dem Rennen!

Hier eine Weltpräsentation (Alpine-LMDh, Toyota-Wasserstoffrennauto, Bosch-Ligier-Wasserstoff-Sportwagen), dort ein Interview mit Legenden wie Tom Kristensen oder Jackie Ickx, obendrein ein Stelldichein der wichtigsten Motorsport- und Automobilvertreter. Der extreme Druck war quer durchs Fahrerlager zum Greifen spürbar.

Und egal, wo man hinsah: Menschen, Menschen, überall Menschen. Mit 325.000 verkauften Tickets meldete der Veranstalter ACO einen neuen Rekord, der die bisherige Bestmarke aus dem Jahr 2015 mit 263.500 Zuschauern locker übertraf. Kurz vor dem Rennen sollen sogar noch 30.000 bis 50.000 weitere Eintrittskarten in den Umlauf gebracht worden sein. Der Verbrenner-Motorsport ist dank Klimawandel, CO2-Debatten und bösem Image tot? Nicht in Le Mans. Und auch nicht am Nürburgring, wo Ferrari wenige Wochen zuvor vor 235.000 Zuschauern ebenfalls mit einem neuen Rennwagen triumphiert hatte...

Zuschauerrekord bei den 24h Le Mans 2023, Foto: FocusPackMedia/Gabi Tomescu
Zuschauerrekord bei den 24h Le Mans 2023, Foto: FocusPackMedia/Gabi Tomescu

Sündhaft teures Le Mans

Der Weg durchs riesige Fahrerlager und das Fan-Village des Circuit de la Sarthe entwickelte sich zu einem eigenen Endurance-Rennen, es gab kaum ein Durchkommen. Selbst an den vielzähligen Merchandise-Verkaufsstellen der Hersteller standen sich die Fans geduldig und teils bei über 32 Grad in den Bauch. Ein T-Shirt für 45 Euro? Für Le Mans zückt der Zuschauer doch gerne das Portemonnaie! Immerhin fiel der Preis für ein Bier mit 5 Euro moderat aus.

Ganz im Gegensatz zu den Hotels in Le Mans, die so sündhaft teuer waren, dass Otto(-motor)-Normal-Fan sich die um viele hunderte Prozente angehobenen Preise kaum leisten kann. Für Mittelklasse-Hotels wurden locker mittlere bis hohe dreistellige Beträge pro Nacht aufgerufen... Das Campen entlang der Strecke ist nicht nur eine romantische, sondern auch eine nüchtern ökonomische Entscheidung. Dass selbst einige der Nicht-Werksfahrer ordentlich zur Kasse gebeten wurden, um einen Platz für den Campingwagen an der Strecke zu ergattern, ist ein weiterer Beleg für den äußerst 'geschäftstüchtigen' ACO...

Kein Witz: Porsche-CEO Blume übernachtet AUF seinem 911er

VW- und Porsche-CEO Oliver Blume hätte sicherlich ein nettes Hotelzimmer bekommen, zog es aber vor, stilecht mit einem 911er anzureisen und zusammen mit den Mitarbeitern zu zelten. Und das - kein Witz - im Dachzelt direkt auf dem Porsche! Eine ebenso sympathische Geste wie von Stellantis-Boss Carlos Tavares, der spontan eine Zelt-ähnliche einer höchst luxuriösen Unterkunft vorzog. Oder von Peugeot-CEO Linda Jackson, die wir weit nach Rennende in der schon halb abgebauten Löwen-Hospitality beim Mitarbeiterplausch entdeckten. Auch am Rennplatz gehen die großen Bosse mit gutem Beispiel voran, Chapeau!

Dr. Wolfgang Porsche, Porsche-CEO Oliver Blume und Co. zu Gast in Le Mans, Foto: Porsche AG
Dr. Wolfgang Porsche, Porsche-CEO Oliver Blume und Co. zu Gast in Le Mans, Foto: Porsche AG

Unterdessen fuhren die Hersteller in Le Mans auf wie zu besten Zeiten: eine zweistöckige Hospitality hier (ein VIP-Wochenende schlug mit bis zu 5.000 Euro zu Buche), eine Champagner-Shuttle-Tour rund um die Rennstrecke dort. Der Wahnsinn in Zahlen: 8.000 bis 10.000 Menschen - darunter Motorsport-Magazin.com - hatten eines der heiß begehrten Grid-Tickets ergattert, das den Eintritt in die Startaufstellung gewährte. Der Massenauflauf wirkte auf den ersten Blick bedenklich mit Blick auf die Sicherheit, am Ende lief aber alles glatt. Nur an die Pole-Setter von Ferrari war angesichts des Massenandrangs kaum ein Rankommen - der italienische Autobauer fasziniert in Le Mans genauso wie in der Formel 1.

Noch ein Beispiel, um den Wahnsinn in Zahlen zu beschreiben: Reichten dem Le-Mans-Veranstalter ACO zuletzt 40.000 Quadratmeter an Ausstellungsfläche aus, wurden diesmal 80.000 Quadratmeter und damit doppelt so viel Platz benötigt. 980 Trucks lieferten die Rennwagen und das Equipment an die Strecke, während rund 2.000 Sicherheitskräfte für einen überraschend geregelten Ablauf sorgten.

Der Circuit de la Sarthe in Le Mans bei Nacht, Foto: Rolex/Adam Warner
Der Circuit de la Sarthe in Le Mans bei Nacht, Foto: Rolex/Adam Warner

Jetzt kommen noch BMW, Lamborghini und Alpine!

Und schon heute fragen wir uns: Wie soll das nur 2024 werden, wenn mit BMW, Lamborghini und Lokalmatador Alpine noch drei weitere Hypercar-Hersteller hinzustoßen? Schon jetzt konnte man das Gefühl bekommen, dass es von Allem ein bisschen zu viel war. "Dann wird Le Mans zum absoluten Motorsport-Mekka", sagte uns BMW-Motorsportchef Andreas Roos, der seinen Werksfahrer Valentino Rossi (noch) im Rahmenprogramm beim Siegen beobachtete und längst mit den Planungen für das BMW-Comeback beschäftigt ist.

Wasserstoff-Antrieb: Ein Weg in die Zukunft

Überhaupt war die - umweltverträgliche - Zukunft eines der großen Themen in Le Mans. Es wirkte ein wenig, als hätten sich die Autobauer und Zulieferergiganten abgesprochen und darauf geeinigt, dass Rennwagen mit Wasserstoff-Antrieb, wahlweise in Kombination mit einem Verbrennungsmotor oder einer Brennstoffzelle, das nächste große Ding sind. Bosch samt Bosch-Engineering-CEO Dr. Johannes-Jörg Rüger und Partner Ligier präsentierten im eigens errichteten H2-Village einen Wasserstoff-Rennwagen, während Toyota mit seinem 'GR H2 Racing Concept' ebenfalls eine Weltpremiere feierte.

Mit Leistungsdaten hielt sich der Autobauer aus Japan noch bedeckt, derartige Rennautos könnten ab 2026 in einer eigenen Klasse bei den 24 Stunden von Le Mans antreten. Toyota-Boss Akio Toyoda hielt sich bei der traditionellen ACO-Pressekonferenz indes weniger zurück. Bei einem der besten PR-Aufritte am Wochenende konnte sich der Konzernchef eine feine Spitze gegen die überraschend und kurzfristig vor Le Mans veränderte Balance of Performance, durch die Toyota wahnsinnige 37 Kilogramm zuladen musste, nicht verkneifen.

So sieht das Wasserstoff-Konzeptauto von Toyota für Le Mans aus, Foto: Toyota
So sieht das Wasserstoff-Konzeptauto von Toyota für Le Mans aus, Foto: Toyota

FIA-Maulkorb für Balance of Performance

"Einer der größten Vorteile von Wasserstoff-Rennwagen ist, wie leicht sie sind", sagte Toyoda mit Blick auf das eigene Konzeptfahrzeug, und fügte mit erhobenem Zeigefinger an: "Weniger BoP." Ein glasklarer Hinweis darauf, wie sehr es bei den wenig später entthronten Dauersiegern von Toyota gebrodelt haben muss.

Während Experten noch jetzt darüber diskutieren, ob die BoP am Ende den Ausschlag beim Ferrari-Sieg gegeben hat, wunderten sich sicherlich viele Fans, warum es wie sonst üblich keine eindeutigen Aussagen von Sportchefs oder Fahrern zur Causa BoP gab. Einfache Antwort, und ein ganz eigener Skandal: Laut Artikel 6.3.1 des Sportlichen Reglements der WEC ist es allen Teilnehmern verboten, "die Festlegung der BoP zu beeinflussen oder sich zu den Ergebnissen zu äußern, insbesondere durch öffentliche Aussagen, in den Medien und in sozialen Netzwerken".

Da nicht näher genannte Strafen durch die Sportkommissare bei Missachtung des durch die FIA auferlegten Maulkorbes drohen, hielten die Involvierten tatsächlich lieber die Klappe. "Da riskiere ich lieber nix", hörten wir hinter vorgehaltener Hand von mehreren Fahrern und Verantwortlichen.

Welche Rolle spielte die BoP beim Sieg von Ferrari?, Foto: Ferrari
Welche Rolle spielte die BoP beim Sieg von Ferrari?, Foto: Ferrari

LeBron James trifft Tom Brady

Nichts riskieren und für einen noch größeren Andrang als Ferrari sorgen, wollte wohl auch LeBron James, und verzichtete auf einen Gang durch die überfüllte Startaufstellung. Der viermalige NBA-Champion und MVP, der zu den größten Sportlern aller Zeiten zählt, machte stattdessen seinen Job als Rennstarter mit geschwenkter Flagge souverän und verlieh dem 24-Stunden-Rennen noch ein ganzes Stück mehr Weltklasse-Flair.

Ebenso der siebenfache Superbowl-Sieger Tom Brady, dessen Merchandising-Firma zu den Sponsoren des Porsche-Kundenteams JOTA zählt. Die lebende NFL-Legende wagte sich tatsächlich in die Startaufstellung und wurde seltener erkannt als früher mit dem Football in der Hand. Auf Instagram schrieb Brady während des Rennens: "Ich verstecke mich immer noch hinten in der Garage und werde versuchen, beim nächsten Boxenstopp ins Auto zu schlüpfen. Wenn ihr diese Schönheit auf dem Dach seht, wisst ihr, wer daran Schuld ist."

NBA-Star LeBron James hatte seinen Spaß in Le Mans, Foto: LAT Images
NBA-Star LeBron James hatte seinen Spaß in Le Mans, Foto: LAT Images

Sorge vor Ferraris Formel-1-Strategen

Ebenso von den Fans gefeiert wurden die Auftritte von Formel-1-Star Charles Leclerc, dessen Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur und Ferrari-CEO John Elkann. Beim Anblick des Franzosen dürfte dem einen oder anderen Fan der Scuderia Angst und Bange geworden sein: Nach Ferraris Doppel-Pole machten Memes im Internet die Runde, die kreativ beschrieben, dass Ferrari das 24-Stunden-Rennen eigentlich nur verlieren könne, wenn die Strategiemannschaft des Formel-1-Teams eingeflogen wird...

Was offensichtlich nicht passiert ist und am Ende so ziemlich alle - mit Ausnahme von Toyota - glücklich gewesen sein dürften, dass ein Sieg der Kultmarke aus Maranello die Zeitenwende bei den 24 Stunden von Le Mans eingeleitet hat.

24h Le Mans 2023: Zusammenfassung und Video-Highlights (10:01 Min.)

24h Le Mans 2023 Ergebnis: Top-5 aller Klassen

Hypercar

Pos.AutoFahrerRückstand
1#51 FerrariPier Guidi, Calado, Giovinazzi342 Runden
2#8 ToyotaBuemi, Hartley, Hirakawa1:21.793 Minuten
3#2 CadillacBamber, Lynn, Westbrook+1 Runde
4#3 CadillacBourdais, van der Zande, Dixon+2 Runden
5#50 FerrariFuoco, Molina, Nielsen+5 Runden

LMP2

Pos.AutoFahrerRückstand
1#34 Inter EuropolSmiechowski, Scherer, Costa328 Runden
2#41 WRTAndrade, Delétraz, Kubica+21,015 Sekunden
3#30 DuqueineBinder, Jani, Pino+1 Runde
4#36 AlpineVaxiviere, Milesi, Canal+1 Runde
5#31 WRTGelael, Habsburg, Frijns+1 Runde

LMGTE-Am

Pos.AutoFahrerRückstand
1#33 Corvette RacingKeating, Varrone, Catsburg313 Runden
2#25 TF Aston MartinAl Harthy, Dinan, Eastwood+1 Runde
3#86 GR Racing PorscheWainwright, Barker, Pera+1 Runde
4#85 Iron Dames PorscheBovy, Gatting, Frey+1 Runde
5#54 AF Corse FerrariFlohr, Castellacci, Rigon+1 Runde