Auch wenn es nicht ganz seinem Natrurell entspricht - Bruno Senna hat die Langstrecken-Anforderungen schon ziemlich verinnerlicht. Gereizt hätte es ihn mit Sicherheit, im Qualifying in Le Mans mal wirklich ans Limit zu gehen, die Vorgaben des Teams für den Brasilianer, der erst in der zweiten Session im Dunklen zum ersten Mal wirklich zum Fahren kam, sahen aber anders aus. Sehr gelassen ging er an seine Aufgabe heran - so wie ihm auch bei aller Faszination von Le Mans der hier oft gestrickte Heldenmythos persönlich nicht behagt.

Das erste Mal, dass Du hier wirklich zum Fahren kamst, bei vernünftigen Verhältnissen, wie wars?
Bruno Senna: Ich habe einen ganz guten Rhythmus gefunden, auch im Verkehr. Die 3:33 von Stephane wäre  ich auch gefahren, wenn ich in der Runde nicht drei Sekunden hinter einem Porsche verloren hätte. Aber was solls, das wichtigste ist, dass es keine Probleme gab. Ich denke, 3:31 wäre mit dem Auto im Moment drin, wenn wir ans Limit gehen würden, mehr derzeit allerdings nicht. Allerding ist es immer so, dass wir mit unserem Auto im Vergleihc zu den anderen schneller werden, wenn die Strecke mehr Grip bekommt, da kommen wir dann besser zurecht. Sollte es also trocken bleiben, ist da im Rennen schon noch etwas mehr möglich.

Noch nicht am Limit

Du sagst, "wenn wir ans Limit gehen würden" - ihr tut das also auch im Qualifying hier nicht?
Senna: Für uns war von Anfang an klar,  Anfang an klar, dass nicht allzuviel riskiert werden soll, dass man jeglichen Gefahren vor allem in Form anderer Autos aus dem Weg geht. Das bringt ja auch nicht viel, wenn man sich hier vielleicht auf Platz 13 statt 15 qualifiziert und dafür irgendwelche Risiken eingeht. Wir können hier sowieso nur über Gleichmäßigkeit und Zuverlässigkeit Erfolg haben. In Sachen Performance fehlt uns schon noch ein bisschen was, natürlich vor allem auf die Diesel-Autos, wohl aber auch auf die schnellsten Benziner. Deshalb müsste es halt schon optimal laufen, ohne alle Probleme, wenn wir zumindest in der Benzinerwertung ganz vorne liegen wollen. Und darauf müssen wir die ganze Zeit hinarbeiten und alles darauf ausrichten. So wird auch Stephane Ortelli diesmal den Start fahren, weil er einfach die meiste Erfahrung hat. Das ist mir auch nur recht, dieses Gewühl ganz am Anfang ist sowieso nicht unbedingt meine Sache, da kommt er schon noch besser damit zurecht.

Dein erster Kontakt gestern mit der Strecke war ein bisschen schwierig...
Senna: Ja, das Wetter am Mittwoch abend war natürlich nicht ideal, um eine neue Strecke kennenzulernen - ich glaube, das war eher die schlechtestmögliche. Wie ich das erste Mal rausgefahren bin, war die Strecke halb nass und halb trocken, unglaublich rutschig an einigen Stellen. Da war es es wirklich nicht wert, irgendwas zu riskieren. Wegen so was dann gleich am Anfang rauszufliegen, in einer Kurve, die man noch nicht kennt, das wäre wirklich das Dümmste, was man tun kann. Da hatte ich wirklich ein bisschen Angst, was kaputt zu machen, deshalb war ich sehr vorsichtig, habe nur das gemacht, was absolut nötig war, um die Qualifikation für das Rennen zu schaffen und das Auto auf jeden Fall für heute ganz zu lassen.

Warst Du da mit Slicks unterwegs?
Senna: Ich bin mit alle drei Reifentypen gefahren, zuerst mit Intermediates, habe dann nach zwei Runden auf weiche Slicks gewechselt, die haben gut funktioniert, auch wenn die Strecke eben noch sehr schlecht und rutschig war, was man ja auch an den Zeiten der Top-Teams gesehen hat. Aber ich habe einen ganz guten Eindruck davon bekommen, wie die Strecke ist. Später bin ich dann im Dunklen noch mal im richtigen Regen gefahren - ich hatte also alle möglichen Wetterbedingungen, bis auf Nebel vielleicht...

Du hast ja vorher zu Hause viel auf der Playstation geübt – wie nahe kam das nun wirklich der Realität?
An sich ist die Simulation auf der Playstation tatsächlich wirklich sehr exakt, aber was man da natürlich nicht mitbekommt, sind die ganzen Bodenwellen, auch die Belagwechsel, die Winkel, in denen die Kurven zum Teil hängen. Aber ansonsten war es schon eine gute Möglichkeit, die Grundzüge zu lernen.

Bruno Senna im Oreca, Foto: Sutton
Bruno Senna im Oreca, Foto: Sutton

Als besonderes Problem gerade für Neulinge gilt ja hier immer das Überholen in der Nacht. Hast Du da auch schon Deine Erfahrungen gemacht?
Senna (lacht): Ich hätte gedacht, dass die Unterschiede größer sind - aber zumindest gestern war ich so langsam unterwegs, dass eher ich überholt worden bin, also kein Problem...  Ich glaube auch nicht, dass wir so schnell sein werden, dass wir viele andere LMP1-Autos überholen müssen. Aber bei denen aus den kleineren Klassen nuss man natürlich schon ein bisschen aufpassen.

Wie kamst Du mit dem Fahren im Dunkeln zurecht?
Senna: Es ist schon etwas schwieriger als am Tag, einige Kurven sind auch total blind, es ist auch schwieriger, Distanzen abzuschätzen, wir müssen da auch noch ein bisschen an der Einstellung der Scheinwerfer basteln, das war noch nicht optimal, aber insgesamt habe ich damit keine Probleme.

Auf der Suche nach Magie

Du hast mal gesagt, im Dunklen fährt man mehr mit dem Kopf als mit den Augen. Wie meinst Du das?
Senna: Man muss noch genauer wissen, an welchem Punkt man sich gerade befindet, wo wann wie genau die nächste Kurve kommt, wo man innerhalb einer Kurve ist, als nur auf seine Augen zu vertrauen. Denn die Scheinwerfer erreichen die Grenzen der Strecke erst sehr spät. Wobei es hier in Le Mans nicht ganz so extrem zu sein scheint wie bei unseren Tests in Paul Ricard und Magny Cours, weil die Strecke hier viel besser ausgeleuchtet ist. Es kommt auch sehr viel Licht von außen herein, dann auch durch die vielen Autos, die unterwegs sind. Aber dort, bei Testen, da musste man die Strecke wirklich unglaublich detailliert im Kopf haben. Was sehr lehrreich ist, ich fand das sehr interessant, mal so genau an ein Streckenstudium heranzugehen, man hat dann auch am Tag eine andere Perspektive.

Hast Du bis jetzt schon viel von dieser berühmten Magie von Le Mans gepürt?
Senna: Bis jetzt noch nicht wirklich, es sind halt auch noch nicht so viele Leute da, aber es ist auf jeden Fall eine sehr interessante Stimmung, ich habe das Gefühl, die Leute kommen hier mehr wegen des Rennen an sich, wegen des Mythos des "Heroischen", das ihm anhaftet, weniger wegen der einzelnen Fahrer an sich, wie in der Formel 1. Wobei ich persönlich da eine ganz andere Einstellung habe - aber die Leute sehen es halt so...

In welcher Beziehung denkst du da anders?
Senna: Für mich existiert im heutigen Rennsport kein Heldentum mehr. Für mich ist das, was ich hier tue, ein Sport mit kalkuliertem Risiko. Wenn man mal ein bisschen mehr Risiko eingeht, dass deshlb, weil man sich sicher ist, dass man damit umgehen kann, nicht, weil man ein Held sein will.

Was geben Dir als eigentlichem "Sprinter" Langstreckenrennen?
Senna: Was für mich generell bei den Langstreckenrennen etwas Neues ist, ist die Zusammenarbeit mit Teamkollegen in dieser Form, dieser Teamgeist,  dass es nicht darum geht, den Teamkollegen unbedingt zu schlagen. Da musste ich mich erstmal drauf einstellen, aber das ist jetzt eine sehr schöne Sache und wir haben bei Oreca ja auch ein tolles Team zusammen.

Irgendwie glaubt man doch, da immer ein kleines "aber" herauszuhören...
Senna: Na ja, das reine Fahren an sich, das macht halt ehrlich gesagt nicht ganz so viel Spaß wie in einem Formelauto, bei Sprintrennen. Das Auto gibt nicht ganz so direkte Rückmeldungen, man kann auch durch die Charakteristik der Rennen fast nie wirklich am Limit sein. Das ist einfach nicht dasselbe, als wenn man ständig um jede Hundertstel kämpft. Aber ich kann sicher insgesamt hier sehr viel lernen, die Zusammenarbeit mit einem großen Team, auch das Reifenschonen und Spritsparen könnte mir nächstes Jahr, wo in der Formel 1 das Nachtanken ja verboten ist, sicher helfen. Ich hoffe, durch dieses Jahr jetzt dann als kompletterer und noch vielseitigerer und flexiblerer Fahrer dahin zu kommen...