Dem neuen Audi R10 sieht man auf den ersten Blick an, dass in ihm die Gene des überaus erfolgreichen R8 stecken. Dennoch ist auch das Chassis des neuen LM P1-Sportwagens eine Neukonstruktion, bei der Audi Sport viele neue Wege beschritt. "Der R8 stammt aus dem Jahr 1999, seitdem haben wir eine Menge an Know-how gesammelt", sagt Wolfgang Appel, Leiter Fahrzeugtechnik bei Audi Sport. "All diese Erfahrung ist in den neuen R10 eingeflossen."

Ziel von Audi war es, bei den Sport-Prototypen – der technologisch gegenwärtig interessantesten Motorsport-Kategorie der Welt – erneut den Maßstab zu setzen und damit den Firmenslogan "Vorsprung durch Technik" zu unterstreichen. Im Audi R10 kommen zahlreiche innovative Details und neuartige Konstruktionsprinzipien zum Einsatz.

Einer der signifikantesten Unterschiede zum Vorgängermodell R8 ist der Verbund von Monocoque und Karosserie. Verfügte der R8 noch über ein klassisches Chassis mit Kunststoffverkleidung, sind die meisten Kohlefaserteile des R10-Monocoques nun direkt dem Luftstrom ausgesetzt und kommen somit ohne zusätzliche Verkleidung aus.

Dies führte zu einer deutlichen Gewichtsersparnis gegenüber dem R8, die besonders wichtig ist, weil der 5,5 Liter große V12 TDI-Motor des R10 aufgrund seiner Dimensionen länger und schwerer ist als das 3,6-Liter-V8-Triebwerk des R8. Der neue R10 hat deshalb auch einen wesentlich längeren Radstand als sein Vorgänger, vergleichbar übrigens mit dem des neuen Performance-SUV Audi Q7.

Im Grundprinzip beibehalten, jedoch weiter verfeinert, wurden die vom R8 bekannte Modulbauweise und die Wartungsfreundlichkeit. Nicht nur die gesamte Heckpartie des R10 lässt sich mit wenigen Handgriffen entfernen, auch die Frontpartie ist – inklusive Crashstruktur – abnehmbar und erleichtert den Mechanikern die Arbeit an der Vorderradaufhängung. Der Wechsel des Getriebes und seiner Innereien ist innerhalb kürzester Zeit möglich.

Die Aerodynamik des R10 ist noch ausgefeilter als die des R8. Obwohl das neue LM P1-Reglement des ACO (Automobile Club de l´Ouest) eine rund 15-prozentige Reduktion des Abtriebs zum Ziel hatte, gelang es den Technikern von Audi Sport durch intensive Arbeit im Windkanal, einen Großteil der dadurch verlorenen aerodynamischen Effizienz wieder wettzumachen. Der R10 ist fünf Zentimeter flacher als sein Vorgänger und hat eine wesentlich spitzere Nase.

Reglement-bedingt sind die Stufe im Frontsplitter, der größere Abstand von den Seitenkästen zur Fahrbahn sowie die zusätzliche Überrollstruktur auf der Beifahrerseite, die den R10 in der Ansicht von vorne deutlich von seinem Vorgänger unterscheiden lassen.

Die meisten Maßnahmen wurden von den Gesetzgebern getroffen, um die leistungsstarken Sport-Prototypen noch sicherer zu machen. Dazu zählt auch der Einsatz des aus der Formel 1 bekannten HANS-Systems (Head and Neck Support), das die Halswirbelsäule des Fahrers im Falle eines Unfalls schützt.

Obwohl das Kohlefaser-Monocoque des R10 taillierter ist als beim R8, können die Piloten im Cockpit bequem sitzen – gerade bei einem 24-Stunden-Rennen wie in Le Mans ein nicht zu unterschätzender Faktor. Für Fahrkomfort sorgt auch die Servolenkung, die nicht mehr hydraulisch funktioniert, sondern elektrisch.

Im Bereich der Elektrik und Elektronik wurde ein ähnlicher Weg eingeschlagen wie in der Serie. Die Zahl der Steuergeräte stieg gegenüber dem R8 deutlich. Durch den gesamten R10 zieht sich ein Netzwerk-System (CAN-Bus), alle wichtigen Funktionen werden zentral von Computern gesteuert. Selbst der Blinker oder das Fernlicht werden nicht mehr vom Fahrer direkt betätigt. Der Pilot gibt nur noch einen Impuls – alles weitere übernimmt die Elektronik.

Gemeinsam mit Elektronik-Partner Bosch wurde für den R10 ein neues Fahrzeug-Daten-Erfassungs-System (FDE) entwickelt. Sämtliche Daten werden per Telemetrie an die Box übertragen und im Cockpit – ähnlich wie beim MMI-System in den Audi Serienmodellen – zentral auf einem Display am Lenkrad dargestellt. Die wichtigsten Funktionen werden über Knöpfe am Lenkrad gesteuert, das selbst über einen eingebauten Mikroprozessor verfügt und gemeinsam mit der Firma Megaline konzipiert wurde.

Die Spezialisten von Megaline waren beim R8 bereits in die Entwicklung der elektro-pneumatischen Schaltung involviert, die auch beim R10 über zwei Schaltwippen am Lenkrad betätigt wird. Das Getriebe selbst stammt von X-trac und ist trotz der enormen Drehmoment-Kräfte des TDI-Motors leichter als jenes des R8.

Aufgrund der Charakteristik des Turbodiesel-Motors reduziert sich die Anzahl der Schaltvorgänge während des 24-Stunden-Rennens erheblich – ein wesentlicher Faktor hinsichtlich der Haltbarkeit, da in Le Mans gerade die Kraftübertragung besonders hohen Belastungen ausgesetzt ist.

Die Kräfte, die auf den Antriebsstrang des R10 wirken, sind aufgrund der hohen Drehmoment-Werte des V12 TDI sogar größer als bei einem Formel 1-Rennwagen. Das Getriebe musste darauf genauso ausgerichtet werden wie die Antriebswellen, die dicker sind als beim R8. Gleiches gilt für die gemeinsam mit ZF Sachs entwickelte neuartige Keramik-Kupplung.

Diesel-spezifisch sind auch die größere Abwärme und der daraus resultierende erhöhte Kühlbedarf. Die Folge sind höhere Seitenkästen, in denen die größeren Kühler untergebracht sind. Völlig neu für die LM P1-Klasse sind die breiteren Vorderräder, die bei Reifenpartner Michelin in Auftrag gegeben wurden. Sie sollen die Sport-Prototypen ureigene Tendenz zum Untersteuern reduzieren, die durch die enorme Schubkraft des TDI-Motors theoretisch sogar noch verstärkt wird. Die zu erwartende hohe Belastung der Hinterreifen durch das Drehmoment mindert der Einsatz einer Traktionskontrolle (ASR), die dem Fahrer vor allem auf nasser Strecke bei der Dosierung der Kraftentfaltung des V12 TDI-Motors unterstützt, welche selbst für Routiniers eine neue Dimension darstellt. "Es ist beeindruckend, wie der Motor selbst in den hohen Gängen noch anschiebt", staunte der dreimalige Le Mans-Sieger Frank Biela, der Ende November beim Roll-out am Steuer des R10 saß.

Gemeinsam mit der Firma Stäubli neu entwickelt wurde das Betankungssystem, das einen schnellen und nahezu tropffreien Tankvorgang ermöglicht. Anders als Benzin verflüchtigt sich verschütteter Dieselkraftstoff nämlich nicht von selbst. Über den Füllstand von Diesel, Motoröl und Wasser informieren wie beim R8 verschiedenfarbige Leuchtdioden in der Nähe des Tankeinfüllstutzens. Sie dienen den Mechanikern als visuelle Erstinformation während eines Boxenstopps.

Glühende Bremsscheiben werden die Fans in Le Mans beim Audi R10 nicht mehr zu sehen bekommen: Ähnlich wie beim Audi A4 DTM sind die Kohlefaser-Bremsscheiben voll verkleidet, was den Luft-Fluss und damit die Kühlung der Bremsen optimiert. Wie bei einem Formel 1-Fahrzeug werden die Bremsscheiben nicht mehr über Schläuche mit Kühlluft versorgt, sondern über Kohlefaser-Luftkanäle direkt an den Rädern. Die roten Bremssättel des R10 schaffen Assoziationen und die Verbindung zu den RS-Modellen von Audi.

Aus der Serie übernommen wurde auch das Tagesfahrlicht, das vorne aus einer Reihe weißer Leuchtdioden besteht, die leicht bläulich schimmern. Die Rücklichter des R10 bestehen komplett aus sehr hellen und leichten Leuchtdioden.