Die Motorsportexperten von Michelin sehen sich am kommenden Wochenende mit einer ungewohnten Situation konfrontiert: Zum ersten Mal seit Mitte April steht weder in der Formel 1 noch in der Rallye-Weltmeisterschaft oder MotoGP ein Saisonlauf auf dem Programm. Michelin Motorsport-Direktor Pierre Dupasquier und seine Mannschaft wissen diese kurze Verschnaufpause zu schätzen – immerhin absolvierten die Reifenspezialisten aus Clermont-Ferrand in den vergangenen Wochen und Monaten einen wahren Veranstaltungsmarathon.

Der "verrückte Juni" markierte für Michelin auch in diesem Jahr wieder den Auftakt zu ebenso abwechslungsreichen wie kurzweiligen Wochen: Alljährlich schwärmen zur Jahresmitte alle verfügbaren Kräfte der Motorsport-Abteilung aus, um auf Renn- und Rallyepisten in aller Welt die Partner der französischen Reifenmarke mit konkurrenzfähigen Pneus zu versorgen. Der in praktisch jeder wichtigen Motorsportklasse weltweit engagierte Hersteller beschickte allein im Juni mehr als 20 Events auf WM-Niveau und stellte dabei nicht weniger als 25.000 Rennreifen zur Verfügung, mobilisierte fast 200 Motorsport-Mitarbeiter und legte mit 70 Lkw über 300.000 Kilometer durch 15 Länder zurück – was einer Strecke von mehr als sieben Weltumrundungen entspricht.

Michelin verfolgt die Philosophie, den Automobil- und Motorradherstellern überall dort zur Seite zu stehen, wo diese werksseitig Motorsport betreiben. Statt sich die sportlichen Rosinen herauszupicken, tritt der "Bib" als Partner der Werke in so verschiedenen Serien wie Formel 1, Rallye-WM, MotoGP, Cross Country-Weltcup, American Le Mans Series, FIA-GT, Motocross-WM, Enduro-WM, Supermoto-WM oder Trial-WM an – und gehört dabei stets zu den Favoriten. Allein zwischen Anfang Mai und Anfang August standen für Michelin unter anderem neun Formel 1-Grands Prix, sechs Rallye-WM-Läufe, acht MotoGP-Rennen, zwei Rallye Raids, je fünf Runden zur FIA-GT und Tourenwagen-Weltmeisterschaft sowie die 24-Stunden-Klassiker von Le Mans und auf dem Nürburgring auf dem Programm.

In diesem alljährlichen logistischen Kraftakt erwies sich bereits Ende Mai der Michelin Tross zur Marokko-Rallye als besonders eifriger Kilometerfresser: Ein eigens gemieteter 6x6-Service-Truck versorgte auf seiner 26.800 Kilometer langen Tour durch Frankreich, Spanien und Nordafrika die Werksteams auf zwei und vier Rädern mit Offroad-Pneus.

Kaum hatten die Raid-Teams ihren Cross Country-Lauf absolviert, da rollten im türkischen Kemer die Michelin-Piloten zur Rallye Türkei von der Startrampe. Acht Lkw-Züge – Reifentransporter, Werkstattmobil und Motorhomes sowie spezielle Kühlwagen für die "Mousse"-Einlagen der pannensicheren Michelin ATS-Reifen – hatten gleich vom vorangegangenen WM-Schauplatz Zypern übergesetzt. "In Antalya gesellte sich ein weiterer Truck hinzu mit 800 Einheiten der neuen Michelin BTO an Bord – jene erfolgreichen Schotter-Neukonstruktionen, mit denen Sébastien Loeb bereits in Neuseeland sowie auf Sardinien und Zypern siegreich geblieben war", erklärt Jean-Marc Becker, Logistikmanager für Rallye-WM und Raid-Weltcup.

MotoGP-Kalender mit sechs Rennen in acht Wochen

Währenddessen in Italien nahe Florenz: Zehn von 20 MotoGP-Bikes hämmern auf Michelin Pilot-Pneus mit mehr als 340 km/h die 1,1 Kilometer lange Gerade von Mugello hinunter. Sechs Trailerzüge mit 2000 der neuesten Entwicklungsreifen aus Clermont-Ferrand hatten sich am Montag vor dem Großen Preis von Italien auf den Weg gemacht, damit Valentino Rossi und Co. nicht mit blanken Felgen dastanden. "Die Decken müssen am Mittwochmittag vor dem Grand Prix im Fahrerlager sein", berichtet der bei Michelin für die MotoGP-Logistik verantwortliche Jean Valton. "Mit sechs Rennen binnen acht Wochen sind die Monate Juni und Juli eine echte Zerreißprobe." Der 13-malige MotoGP-Weltmeister Michelin entsendet zu jedem WM-Lauf der Königsklasse 22 Monteure und Techniker.

Le Mans stellte besondere logistische Herausforderung dar

So vollgepackt der Juni mit Renn-Events auch war – für ihr persönliches Saisonhighlight, die 24 Stunden von Le Mans, machten die Experten der französischen Marke gerne Überstunden. Dieser Termin stellt für den 13-fachen Sieger Michelin alljährlich den größten Aufwand dar, den ein technischer Partner in der gesamten Motorsportwelt zu leisten hat: Allein für das berühmte Langstrecken-Rennen brachte der Reifenspezialist Ende Juni 18 Lastzüge mit 5700 Pneus auf den Weg. 19 Michelin-Techniker waren direkt in die Rennteams integriert.

Was die Vorbereitung auf Le Mans besonders erschwerte: Die Entwicklung der Reifen – die auf dem wechselhaften Asphalt bis zu vier Tank-Turns durchhalten – begann bereits im November mit Tests in Monza. Die erste und einzige Gelegenheit jedoch, das Verhalten der Pneus auf dem "Circuit des 24 heures" auszuprobieren, ergab sich erst bei den offiziellen Vortests. Da diese ausnahmsweise Anfang Juni – und damit fünf Wochen später als üblich – stattfanden, blieb für die Produktion der tatsächlichen Rennreifen noch weniger Zeit. Dennoch flossen bis zur letzten Sekunde die neuesten Erkenntnisse in die Fertigung ein – teils so spät, dass in diesem Jahr die letzten Reifen erst am Freitag vor dem Start aus dem Backofen kamen.

Noch bevor die 18 Le Mans-Trucks die Stadtgrenze von Clermont-Ferrand in Richtung des Departments Sarthe passierten, hatte ein anderes Team bereits 14 Container von je 28 Tonnen Gewicht auf den Weg gebracht, die für die Großen Preise von Kanada und der USA bestimmt waren – wobei der Indianapolis-Grand Prix in diesem Jahr mit dem Langstrecken-Klassiker zusammenfiel. Der Lufttransport erfolgte mit den von Formel 1-Vermarkter FOM gecharterten Boeing 747. Nicht nur für die Übersee-Rennen ist der Aufwand beträchtlich: Zu jedem der 19 Grands Prix 2005 entsendet der französische Weltkonzern 35 Mitarbeiter – darunter einen Projektleiter, drei Entwicklungs- und jene sieben Renn-Ingenieure, die je einem Partnerteam zugeordnet sind.

Dass am dritten Juni-Wochenende auch noch die österreichische Runde zur Supermoto-WM stattfand, bei der Michelin den Titelverteidiger Thierry van den Bosch und andere Spitzenpiloten ausrüstet, fällt da kaum noch ins Gewicht. Im Gegenteil: Im Vergleich zum Vorjahr präsentierte sich dieser Zeitraum mit Le Mans, Formel 1, Supermoto, Trial-WM und der Motocross-WM MX3 geradezu entspannt – 2004 fielen auch noch die "24 Stunden Nürburgring" und ein MotoGP-Lauf auf diesen Termin...

Von Atempause konnte natürlich trotzdem keine Rede sein. Etwa zur selben Zeit, als die Maschine mit dem Formel 1-Material aus den USA zurückkehrte, wurden am Stammsitz sechs Lkw für den MotoGP-Lauf in Assen beladen, die am letzten Juni-Wochenende stattfindende "Dutch TT". Zur gleichen Zeit kämpften die weltbesten Rallye-Piloten bei der "Akropolis" in Griechenland um WM-Punkte. Parallel dazu standen im tschechischen Brünn und im mexikanischen Puebla die jeweils fünften Rennwochenenden der FIA-GT und der Tourenwagen-Weltmeisterschaft – die Michelin exklusiv ausrüstet – auf dem Programm.

Wohl verdiente Pause vor dem Saisonendspurt

In ähnlich rasantem Tempo ging es im Juli weiter. Allein die Formel 1 machte an vier der fünf Wochenenden des siebten Monats nacheinander in Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Ungarn Station. Als ähnlich fleißig erwiesen sich die MotoGP-Asse, die im selben Zeitraum dreimal – in Laguna Seca (USA), Donington (GB) und auf dem Sachsenring – antraten. Als geradezu harmlos erwies sich im Vergleich dazu das Arbeitspensum in der Rallye-WM: Nach dem Lauf in Argentinien Mitte Juli läutete die Rallye Finnland am vergangenen Wochenende die kurze Pause ein.

Die konnten Pierre Dupasquier und seine Mannschaft unter anderem dazu nutzen, den verdienten Lohn der Anstrengungen in aller Ruhe zu genießen: Zum Beispiel entschieden Michelin-Partner von den neun angesprochenen Formel 1-Grands Prix des heißen Sommers acht für sich. Bei den sechs WM-Rallyes desselben Zeitraums führte fünfmal kein Weg am amtierenden Weltmeister Sébastien Loeb und seinem Michelin-bereifen Citroën Xsara WRC vorbei. MotoGP-Star Valentino Rossi siegte bei sieben der acht zurückliegenden Läufen. Nicky Hayden sorgte mit seinem Erfolg in Laguna Seca dafür, dass Michelin in der Königsklasse des Motorradsports in dieser Saison weiterhin eine weiße Weste behält. Bei den 24 Stunden von Le Mans trugen die französischen Pneus maßgeblich dazu bei, dass sich der Däne Tom Kristensen mit seinem insgesamt siebten Sieg – diesmal an der Seite seiner Audi R8-Teamkollegen JJ Lehto und Marco Werner – als alleiniger Rekordhalter in die Geschichtsbücher des Langstrecken-Klassikers eintragen konnte. Für Michelin war es an der Sarthe bereits der achte Sieg in Folge. Und bei den mit ausgesprochen wechselhaften Wetterbedingungen aufwartenden "24 Stunden Nürburgring" wiederholten Michelin und das BMW-Werksteam ihren gemeinsam errungenen Vorjahressieg.

Bereits in gut einer Woche geht es wieder Schlag auf Schlag weiter: Dann beginnt mit dem Grand Prix der Türkei die zweite heiße Phase der Motorsportsaison 2005, die erst am 13. November mit der Zieldurchfahrt bei der Rallye Australien ihr Ende findet.