Vom Schotter auf die Langstrecke und zurück: Der amtierende Rallye-Weltmeister Sébastien Loeb – der mit seinem Michelin-bereiften Citroën Xsara auch die aktuelle WM-Tabelle souverän anführt – startet am 18./19. Juni in einem Pescarolo-Judd bei den "24 Stunden von Le Mans".

Anlässlich seines Ausflugs auf die Rundstrecke vergleicht der französische Superstar beide Rennklassen. Sind sie wirklich Welten voneinander entfernt oder gibt es mehr Parallelen, als erwartet? Eines verrät der populäre Elsässer vorab: Da wie dort hängt der Erfolg maßgeblich vom richtigen Umgang mit den Reifen ab.

Stimmt es, das du dich tatsächlich an der Playstation auf den "Circuit des 24 Heurs" vorbereitet hast?

Sébastien Loeb: Das war tatsächlich so. Eric Hélary, mein Teamkollege bei Pescarolo, bestätigte, dass die Strecke und das Gefühl am Steuer im Videospiel sehr akkurat wiedergegeben werden. Das heißt aber nicht, dass ich wie am Bildschirm ab der ersten Runde Kurven im fünften Gang voll nehmen werde. Die Wirklichkeit ist immer noch etwas anderes.

Die Reifenwahl dürfte auf der echten Strecke auch etwas komplexer sein… Kannst du bei den Sportwagen dein Know-how und deine Erfahrung aus der Rallye einbringen?

Sébastien Loeb: In beiden Serien willst du vor allem eines haben: Grip – Grip in Kurven, Grip beim Bremsen, Grip beim Beschleunigen und für die Traktion. Im Rallye-Auto wünsche ich mir außerdem Reifen mit progressiver Charakteristik. Das bedeutet, dass die Pneus mich sozusagen warnen, bevor sie über dem Limit sind. Ich "lehne" mich oft regelrecht an die Hinterreifen an und möchte das Auto spüren. Außerdem mag ich es, wenn die Reifen im Grenzbereich noch eine exakte Rückmeldung geben. Deswegen wähle ich tendenziell eine härtere Laufflächenmischung, die mehr Präzision und Konstanz verspricht.

Stellst du an die Michelin-Reifen deines Pescarolo-Judd in Le Mans dieselben Ansprüche?

Sébastien Loeb: Im Langstrecken-Rennsport müssen die Pneus sogar noch präziser reagieren. Das Auto ist heikler zu fahren und schwieriger abzufangen, wenn etwas schief läuft. Du kannst es nicht herumwerfen wie ein World Rally Car. Im Rallye-Auto kannst du selbst in schnellen Kurven noch am Lenkrad korrigieren, wenn es eng wird oder du die Linie nicht exakt getroffen hast. Im Prototypen ist das unvorstellbar. Dort muss alles passen, was wiederum bedeutet, dass deine Reifen dir diese Präzision ermöglichen müssen. Ich glaube, dass es länger dauert, das Limit eines Langstreckenreifens zu finden als eines Rallye-Pneus. Vielleicht liegt es an meiner mangelnden Erfahrung auf der Rundstrecke, aber momentan fühle ich Auto und Reifen nicht im gleichen Maße "arbeiten" wie im Xsara WRC. Dort spüre ich, wie sich mein Auto bewegt. Ich ahne seine Reaktionen voraus und kann sogar mit ihnen spielen.

Wirken sich Parameter wie Laufflächenmischung oder Luftdruck in beiden Serien gleich aus?

Sébastien Loeb: Beim Rallyefahren kann ich ohne Weiteres zum Beispiel zwischen weichen und Medium-Mischungen unterscheiden. Das ist im Rennwagen noch nicht der Fall. Was Änderungen des Luftdrucks angeht, bin ich jedoch in beiden Fällen sehr feinfühlig. Wenn ich im Pescarolo-Judd spüre, dass der Grip an der Hinterachse nachlässt, weiß ich, dass ich meine Pneus zu hart rangenommen habe. Sie haben zu viel innere Hitze aufgebaut, wodurch der Luftdruck gestiegen ist. Das spürst du am Steuer sofort.

In Le Mans und im Sportwagen generell spielt der aerodynamische Abtrieb eine große Rolle. Auf der Mulsanne-Geraden generieren die Autos mehr als eine Tonne Abtrieb. Wie groß ist der Einfluss des Ground Effect?

Sébastien Loeb: Der Effekt der Downforce ist, vorsichtig ausgedrückt, äußerst eindrucksvoll. In schnellen Kurven bekommst du mehr Grip, je schneller du fährst. Davon kann im Rallye-Auto keine Rede sein. Beim Anbremsen erwischt dich die Aerodynamik aber schnell auf dem falschen Fuß, weil du mit der Verzögerung Abtrieb und Grip verlierst. Du musst erst sehr hart auf die Bremse steigen und dann den Druck verringern. Ansonsten blockierst du deine Reifen und riskierst Bremsplatten. Dieser Punkt ist für mich besonders schwierig, weil du diese Technik im Rallye-nicht brauchst. Dort trete ich einfach auf die Bremse, und die Differenziale sorgen dafür, dass kein Rad blockiert. Was die Sache im Sportwagen nicht erleichtert: Vom Cockpit siehst du blockierende Räder nicht – und wenn du Rauch aufsteigen siehst, ist es zu spät. Die Suche nach dem Limit ist wirklich nicht einfach.

Was hat dir bei der Umstellung auf den Le Mans-Sportwagen noch Probleme bereitet?

Sébastien Loeb: Außer beim Bremsen musst du auch beim Beschleunigen vorsichtig sein, damit die Räder nicht durchdrehen. Auch wenn du auf der Rundstrecke wegen verschiedener äußerer Einflüsse wie der Straßenbreite kaum Gespür für die Geschwindigkeit und die Kraft dieser Autos hast, musst du dir immer bewusst sein, dass diese Prototypen bei einem Gewicht von nur 900 Kilogramm über rund 600 PS verfügen. Um Wheelspin beim Beschleunigen aus langsamen Ecken heraus zu vermeiden, musst du mit deinem rechten Fuß sehr behutsam vorgehen – ansonsten verlierst du Zeit. Bei Asphalt-Rallyes ist es nicht unähnlich, aber dort helfen uns Traktionskontrolle und die elektronisch geregelten Differenziale. Auf Schotter benötigen wir dagegen ein bestimmtes Maß an Schlupf, zum Beispiel um das Auto richtig anzustellen.

Die Technik, um die Reifen auf Temperatur zu bringen, unterscheidet sich ebenfalls stark...

Sébastien Loeb: In beiden Klassen arbeiten wir mit vorgeheizten Pneus und Heizdecken. Auf einer Rallye halten wir die Reifen zwischen den Wertungsprüfungen auf den Verbindungsetappen auf Temperatur. Auf der Rundstrecke musst du nach einem Boxenstopp erst mal sehr vorsichtig zu Werke gehen. Um es noch komplizierter zu machen: Nach ein paar Kurven spürst du, wie sich Grip aufbaut und glaubst, du wärst schon im optimalen Temperaturfenster. Und dann erwischt es dich beim Bremsen und du blockierst ein Rad. Das ist mir im Rallye-Auto nie passiert.

Du hast erwähnt, dass die Umgebung einen großen Einfluss hat. Wie unterscheiden sich Rallye und Rundstrecke darin?

Sébastien Loeb: In einem Prototypen sitzt du sehr tief und siehst bei engen Kurven nicht den Ausgang. Das ist manchmal ziemlich beunruhigend. Aber wenn du den Sitz nur zwei Zentimeter höher einstellen lässt, wirft der Fahrtwind deinen Kopf hin und her und dein Nacken beginnt in kürzester Zeit zu schmerzen. Die ideale Sitzposition zu finden, dauert seine Zeit. Ich habe meinen Sitz mehrfach umarbeiten lassen. Ein großer Unterschied ist natürlich auch der Verkehr. Bei den Tests hat sich das Problem noch nicht oft ergeben, aber im Rennen ist es ein sehr wichtiger Faktor. Genauso wie das Fahren bei Nacht: Bei WM-Rallyes gibt es ja praktisch keine nächtlichen Etappen mehr, aber ich bin früher oft welche gefahren, etwa in der französischen Meisterschaft. Für mich ist das kein Problem, außer dass du dir erst ein paar Orientierungspunkte einprägen musst, obwohl du die Strecke eigentlich auswendig kennst.

Dafür fehlt dir dein Copilot Daniel Elena, der dir sonst vorliest, wo es hergeht...

Sébastien Loeb: Es stimmt schon: Obwohl wir die Prüfungen vor der Rallye zweimal in einem Serienwagen abfahren, ist es völlig ausgeschlossen, alle Kehren auswendig zu lernen. Die Pace-Notes der Beifahrer helfen enorm, aber es bleibt ein gewisser Anteil an Improvisation. Bei Rundstreckenrennen liegt die Herausforderung woanders: Du kennst die Strecke schnell, aber du musst für zwei Stunden konstant schnell sein. Rallye-Wertungsprüfungen dauern selten länger als eine halbe Stunde. In Le Mans wird Daniel auf der Tribüne beobachten, wie ich mich schlage.