2020 wird als Jahr der Corona-Krise in die Geschichtsbücher und damit auch in die Historie der Motorrad-Weltmeisterschaft eingehen. Wie die Saison schlussendlich genau aussehen wird, lässt sich aufgrund der sich so rasant ändernden weltweiten Lage aktuell unmöglich vorhersagen. Je nachdem, wie sich die Situation in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln wird, könnten unterschiedliche Pläne zum Tragen kommen. Motorsport-Magazin.com zeigt die Optionen:

Option 1: MotoGP 2020 mit 19 Rennen

Der Katar-GP musste für die Königsklasse abgesagt werden. Die kleineren Klassen befanden sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Einreiseverbote Anfang März bereits im Land, konnten somit ihren Saisonauftakt bestreiten. Theoretisch wären also immer noch 19 Saisonrennen für die MotoGP beziehungsweise 20 für Moto2 und Moto3 möglich. Das ist auch der Wunsch von Promoter Dorna, wie CEO Carmelo Ezpeleta nicht müde wird zu betonen.

Dass wir tatsächlich eine vollständige beziehungsweise fast vollständige Saison 2020 sehen werden, erscheint aber von Tag zu Tag unwahrscheinlicher. Die Rennen in Thailand, Argentinien und den USA wurden bereits in den Herbst verschoben, Jerez auf unbestimme Zeit. Schon so würde in der zweiten Jahreshälfte ein echtes Monster-Programm auf die Motorrad-Weltmeisterschaft warten. Weitere Absagen beziehungsweise Verschiebungen, etwa die der Mai-Termine in Le Mans und Mugello, scheinen unausweichlich. Früher oder später wird der MotoGP schlicht und ergreifend die Zeit davonlaufen. Vor allem auf der Nordhalbkugel macht das Wetter spätestens im November Rennen auf den meisten Strecken unmöglich.

Fazit: Sehr unwahrscheinlich

Option 2: Verkürzte MotoGP-Saison 2020

Promoter Dorna und Weltverband FIM werden sich demnächst darauf einstellen müssen, Rennen aus dem Kalender zu streichen. Der Pool an geplanten Veranstaltungen ist derzeit noch groß genug. 19 Grands Prix hat man aktuell zur Verfügung, von denen man mindestens 13 für eine gewertete Saison austragen muss. Die große Frage, die sich für die Verantwortlichen stellt, ist aber folgende: Welche Rennen streicht man, welche lässt man im Kalender?

Hier gibt es unterschiedliche Beweggründe, nach denen ein Ausleseverfahren durchgeführt werden könnte. Natürlich spielt die finanzielle Komponente eine Rolle. Manche Veranstaltungen spülen deutlich mehr Geld in die Kassen der MotoGP als andere. Finanziell weniger interessante Rennen sind aber oft Traditionsveranstaltungen, teilweise auch in den historischen Kernländern des Motorradsports beheimatet. Eine Absage dieser Rennwochenenden würde also wieder einen großen Imageschaden für die Motorrad-Weltmeisterschaft bedeuten. Das Schwingen des Rotstifts würde für Carmelo Ezpeleta & Co. also einer echten Gratwanderung gleichen, könnte aber die einzige Möglichkeit zur Rettung der MotoGP-Saison 2020 werden.

Fazit: Sehr wahrscheinlich

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Option 3: Alternativer MotoGP-Kalender 2020

FIM-Präsident Jorge Viegas erklärte bereits Mitte März, dass eine Verlängerung der MotoGP-Saison 2020 bis in den Januar des Folgejahres durchaus möglich sei. Wie bereits erwähnt sind Rennwochenenden an den geplanten Veranstaltungsorten in Europa zu diesem Zeitpunkt aufgrund der klimatischen Gegebenheiten aber praktisch unmöglich - mit einer eventuellen Ausnahme für Jerez. Auch der Japan-GP in Motegi könnte nicht über die Bühne gehen, ein Event im texanischen Austin wäre zumindest grenzwertig. Events dort müssten also, wenn überhaupt, noch im Sommer oder Herbst stattfinden. In wärmeren Gefilden wie Thailand, Argentinien, Malaysia und Australien könnte man auch im Dezember oder Januar fahren.

Dennoch bleibt mehr als fraglich, ob man so auf eine ausreichende Anzahl an Rennen kommt. Eine mögliche Lösung wäre das Ausweichen auf alternative Rennstrecken. Das Problem: Für die MotoGP geeignete Rennstrecken sind Mangelware. Portimao in Südportugal wäre eine Möglichkeit, eventuell auch Formel-1-Kurse wie Bahrain. Ansonsten herrscht Flaute. Strecken auf denen die Motorrad-WM in der Vergangenheit bereits zu Gast war, etwa Welkom in Südafrika oder Sentul in Indonesien, genügen den hohen Standards längst nicht mehr. Kurse wie in Mexico-City oder Abu Dhabi scheinen aufgrund teils nicht vorhandener Auslaufzonen deutlich zu gefährlich.

Fazit: Nur begrenzt umsetzbar

Option 4: Zwei Rennen pro Wochenende

Sollten der MotoGP tatsächlich die Rennstrecken beziehungsweise die Termine ausgehen, könnte es zu einem Novum in der über 70-jährigen Geschichte der Motorrad-Weltmeisterschaft kommen. Zwei Rennen pro Klasse könnten stattfinden um somit auf die nötige Anzahl an Grands Prix zu kommen. Bevor derartige Rennwochenenden über die Bühne gehen können, muss zweifelsohne viel Vorarbeit im Bereich des Reglements geleistet werden, um für alle erdenklichen Szenarien im Hinblick auf Zeitpläne etc. gerüstet zu sein. Zumindest kann man bei Promoter Dorna und Weltverband FIM schon auf Erfahrungswerte zurückgreifen. In der Superbike-WM wird ja seit jeher das Format mit zwei Rennen pro Wochenende gepflegt. Direkt auf die MotoGP ummünzen lassen sich aber freilich nicht alle Regelungen der WSBK. Fest steht: Die Verantwortlichen denken ernsthaft über die Lösung nach, auch von einzelnen Fahrern gab es diesbezüglich bereits positive Signale.

Fazit: Durchaus möglich

Nimmt sich die MotoGP die Superbike-WM zum Vorbild?, Foto: WorldSBK
Nimmt sich die MotoGP die Superbike-WM zum Vorbild?, Foto: WorldSBK

Option 5: MotoGP vor leeren Rängen

Aktuell sind weite Teile unseres Planeten mit Ausgangsbeschränkungen belegt. Wie lange diese halten, lässt sich schwer abschätzen. Man kann aber davon ausgehen, dass sie in den nächsten Wochen oder Monaten gelockert werden und das soziale Leben wieder anläuft - zumindest in geringem Maße. Denkbar ist also, dass gewisse Läden wieder geöffnet oder kleinere Veranstaltungen erlaubt werden. Ein MotoGP-Event ist aber eben keine kleine Veranstaltung. Im Vorjahr knackten 16 der 19 Rennwochenenden die Marke von 100.000 Zusehern. In Frankreich, Deutschland und Thailand wurden sogar über 200.000 Fans gezählt.

Es scheint deshalb nur schwer vorstellbar, dass derartige Großveranstaltungen in absehbarer Zeit zugelassen werden. Virologen und Epidemie-Forscher gehen davon aus, dass wir 2020 in Europa keine Fußballspiele mehr vor vollen Rängen sehen werden. Es wäre nur logisch, wenn das auch für den Motorsport gelten würde. Rennwochenenden unter Ausschluss der Öffentlichkeit werden somit immer wahrscheinlicher. Das Problem: Die Veranstaltung eines MotoGP-Events bringt große Ausgaben mit sich, viele Strecken sind daher auf die Einnahmen aus dem Ticketverkauf angewiesen. Diese Lücke könnte wohl nur durch einen Nachlass der zu bezahlenden Startgebühr an die Dorna einigermaßen geschlossen werden, wobei natürlich auch der MotoGP-Promoter nicht über endlose finanzielle Kapazitäten verfügt. Vor allem, weil die Dorna derzeit auch über einen Rettungsschirm für kleinere Teams nachdenkt, die durch die Corona-Krise in finanzielle Probleme geraten.

Fazit: Denkbar, aber durchaus problematisch

Option 6: Keine MotoGP-Saison 2020

Ein Szenario, an das niemand im MotoGP-Paddock denken möchte, mit dem man sich aber auseinandersetzen muss. Denn die Motorrad-Weltmeisterschaft ist stärker von der Corona-Krise betroffen als andere Rennserien. Selbst wenn ausreichend Veranstaltungsorte zur Durchführung von Rennen gefunden werden, gibt es ein anderes großes Problem: Ca. 3.000 Menschen arbeiten im MotoGP-Paddock, sehr viele von ihnen kommen aus Italien und Spanien. Ein Großteil der Fahrer und Teams stammt aus diesen Ländern beziehungsweise ist dort beheimatet. Und ausgerechnet diese beiden Staaten zählen aktuell zu den am stärksten vom Coronavirus betroffenen. Das bedeutet: Bleiben Reisebeschränkungen für diese beiden Länder aufrecht, wird die MotoGP 2020 nicht fahren können. Andere große Rennserien wie die Formel 1 oder Formel E, die vor allem britisch beziehungsweise deutsch geprägt sind, haben es da etwas leichter.

Fazit: Dramatisch, aber nicht ausgeschlossen