Es ist bereits mehr als ein Jahrzehnt her, seit in der Motorrad-Weltmeisterschaft erstmals ein Schwungarm aus Carbon zu sehen war. Der war damals bei den Testfahrten zur Saison 2007 an den 250ccm-Maschinen von Aprilia verbaut. Zwei Jahre später zog in der MotoGP Ducati nach, wo man bis heute am Konzept der Carbonschwinge festhält. Alle anderen Hersteller haben dieses bislang konsequent ignoriert.

Nun scheint in der MotoGP aber diesbezüglich ein Paradigmenwechsel stattzufinden. Honda experimentiert seit dem vergangenen Herbst mit Carbonschwingen und setzte diese auch am ersten Rennwochenende der Saison 2018 in Katar ein. Aprilia zieht in dieser Woche bei einem Privattest in Jerez mit Matteo Baiocco nach.

Es wirkt auf den ersten Blick verwunderlich, dass eine Neuentwicklung eines Herstellers, wie sie Aprilia 2007 beziehungsweise dann Ducati 2009 in der MotoGP gelungen ist, so lange keine Nachahmer findet. Im Normalfall dauert es ja oft nur wenige Rennen, ehe ein neues Teil oder eine neue Idee von den Gegnern kopiert werden.

Theoretisch sollte eine Carbonschwinge besser funktionieren als ein aus Aluminium gefertigtes Teil. Doch bei der Verwendung von Carbon liegt der Teufel im Detail. Eine Übersicht über die Vor- und Nachteile eines Schwungarms aus Carbon:

Vorteile

1.: Carbon eignet sich grundsätzlich für die Herstellung von großen Flächen, was im Fall eines Schwungarms zutrifft.

2.: Bei der Herstellung einer Schwinge geht es, wie beim gesamten Chassis, nicht darum, maximale Steifigkeit zu erzielen. Vielmehr ist es das Ziel, die richtige Mischung aus Flexibilität und Steifigkeit zu finden und so maximalen Grip zu generieren. Ein Schwungarms etwa soll sich bei Schräglage in Längsrichtung biegen, aber nicht um die Längsachse verdrehen. Ein Kompromiss, der mit Aluminium kaum zu erzielen ist, mit Carbon hingegen schon. Hier kann dies nämlich durch unterschiedliche Anzahlen an verwendeten Lagen oder wechselnde Ausrichtungen der Kohlefaser erreicht werden. Die Ingenieure haben bei der Verwendung von Carbon also mehr Spielraum.

Bei Ducati vertraut man seit 2008 auf Schwungarme aus Carbon, Foto: Ducati
Bei Ducati vertraut man seit 2008 auf Schwungarme aus Carbon, Foto: Ducati

3.: Carbon ist leichter als Aluminium. Bei einem MotoGP-Schwungarm schätzt man die Gewichtsersparnis auf etwa 0,5 Kilogramm. Mehr als ein Kilogramm weniger Gewicht als bei Aluminium werden nur schwer zu erreichen sein.

Nachteile

1.: Ein wesentliches Argument gegen Carbonteile sind die damit verbundenen Kosten. Ein vergleichbares Teil aus Carbon ist grundsätzlich schon teurer als ein solches aus Aluminium. Hinzu kommt aber, dass Carbonelemente schwerer auf ihren einwandfreien Zustand zu überprüfen sind als Aluminiumteile. Denn während sich etwa Risse bei Aluminium klar optisch abzeichnen, sind die bei Carbon oft nur durch eine Röntgenuntersuchung des jeweiligen Teils erkennbar. Diese können aber an einem Rennwochenende nicht direkt an der Strecke durchgeführt werden. Daher müssen mehr Ersatzteile produziert und zu den 19 Grands Prix gebracht werden.

2.: Carbonteile sind im Design und auch der Fertigung komplexer als Elemente aus Aluminium. Um eine vergleichbar gute oder sogar bessere Carbonschwinge zu bauen, ist also eine Menge Know-How möglich. Im Vergleich zu ihren Pendants im Automobilbereich verfügen die Motorradhersteller in diesem Segment über relativ überschaubares Wissen. Ducati, wo man die Carbonschwinge eben seit 2009 einsetzt, ist hier der Branchenprimus. Schon 2008 konstruierten die Ingenieure in Borgo Panigale ein Chassis, das vollkommen aus Carbon bestand, im Gegensatz zu den bis heute verwendeten Rahmen aus Aluminium oder im Fall von KTM Stahl. Zwar kam man bei Ducati 2011 wieder vom Carbonchassis ab, die damit gewonnene Erfahrung kann dem italienischen Hersteller aber freilich niemand mehr nehmen.

Machen Carbonschwingen 2018 den entscheidenden Unterschied aus?, Foto: Ducati
Machen Carbonschwingen 2018 den entscheidenden Unterschied aus?, Foto: Ducati

3.: Die in der MotoGP aktuell verwendeten Motorräder sind mit Ausnahme der Ducati alle auf den Einsatz mit Aluminiumschwingen ausgelegt. Carbon verfügt über ganz andere Dämpfungseigenschaften und wie bereits erwähnt auch über geringeres Gewicht. Deshalb kann es leicht passieren, dass bei einem Umstieg auf eine Carbonschwinge plötzlich Chattering - also hochfrequente und für den Fahrer extrem unangenehme Vibrationen - am Motorrad auftritt. Durch die Lage der Schwinge weit vom Schwerpunkt der Maschine entfernt ist dieses Phänomen besonders wahrscheinlich. Ein Umstieg von Aluminium auf Carbon gestaltet sich also oft alles andere als reibungslos.

Fazit

Auf dem Papier bietet ein Schwungarm aus Carbon klare Vorteile gegenüber der Verwendung von Aluminium. Allerdings ist viel Arbeit, Zeit und technisches Know-How nötig, um einen mit Performance-Gewinn verbundenen Umstieg zu schaffen. Es wird daher interessant zu beobachten sein, welche Hersteller sich in Zukunft an dieses Projekt heranwagen und welche es auch erfolgreich umsetzen können.