Alex, es wird ernst in der MotoGP. Die Testfahrten sind vorbei und Maverick Vinales geht als der große Sieger hervor. Siehst du in ihm nun den Titelkandidaten Nummer eins?

Alex Hofmann: Dass Maverick Vinales dermaßen souverän und konstant vorne mitfährt, kommt schon überraschend. Aber Marc Marquez darf man nicht unterschätzen und ich halte es hier mit Valentino Rossi, der ja meinte, dass Marquez bislang noch nicht wirklich hundert Prozent seines Potenzials abgerufen hat. Zum Tag X kann der Weltmeister sicher noch nachlegen. Rossi hingegen war noch nie der Winterkönig, der braucht den Rennsonntag. In dem Alter kann ich verstehen, dass man nicht für irgendeine Testbestzeit um sein Leben fährt.

Was lässt sich denn aus den Rundenzeiten der Wintertests ablesen? Wie aussagekräftig waren die vergangenen Wochen?

Alex Hofmann: Die Testfahrten haben mittlerweile große Aussagekraft, weil sie zeitlich sehr limitiert sind. Mit nur neun Tagen vor Saisonstart müssen auch die großen Namen von Beginn an zeigen, was Sache ist. Man kann die bisherigen Ergebnisse sicher nicht eins zu eins auf das erste Rennwochenende umlegen, aber eine generelle Tendenz lässt sich ablesen. Für mich steht fest: Das wird die beste Saison aller Zeiten - zumindest was die Leistungsdichte betrifft. So viele gute Motorräder und Fahrer auf einem Haufen haben wir noch nie gesehen.

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Dennoch hatten wir im Winter einen Fahrer, der alles überstrahlt hat: Vinales. Was zeichnet ihn denn aktuell aus und macht ihn schneller als alle anderen?

Alex Hofmann: Er hat einen sehr sauberen Fahrstil und bewegt das Motorrad sehr elegant. Risiken kann er sehr gut abschätzen und seine Abgebrühtheit ist imposant. Man merkt: Er musste einen ganz anderen Weg gehen als etwa ein Marquez. Vinales wurde in seiner jungen Karriere nicht immer alles auf dem Silbertablett serviert und er musste schon früh den einen oder anderen Rückschlag verkraften. Er hat aber stets alle Hürden gemeistert und sich immer nach oben orientiert. Die innere Überzeugung, Großartiges leisten zu können, trägt er in sich. Schon im Vorjahr hat er in Silverstone einen Sieg für Suzuki mehr oder weniger angedroht und letztlich in perfekter Manier umgesetzt. Diese Einstellung hat sich auch wie ein roter Faden durch seine Wintertests gezogen: Er hat sich nie aus der Ruhe bringen lassen und einfach sein Ding durchgezogen.

Besitzt er auch schon die mentale Stärke, die man braucht, um sich mit Valentino Rossi eine Box zu teilen?

Alex Hofmann: Rossi bleibt der Großmeister der psychologischen Kriegsführung. Aber wenn ihm einer auf dieser Front die Stirn bieten kann, dann Vinales. In seinem ganzen Auftreten ist Maverick so extrem auf sich selbst fokussiert, dass er alle Störungen in seinem Umfeld ausschalten kann, sobald er auf sein Motorrad steigt. Wenn er diese Eigenschaft auch während der Saison aufrechterhalten kann, entwickelt er sicherlich eine gewisse Resistenz gegen seinen Teamkollegen. Dann könnte der Virus Rossi daran scheitern, sich in das System Vinales zu arbeiten. Rossi wird es aber zweifelsohne versuchen.

Jorge Lorenzo hielt Rossis Druck letztlich nicht stand und sucht nun bei Ducati sein Glück. Bislang hatte er aber einige Probleme. Hat sich Lorenzo mit diesem Wechsel verspekuliert?

Alex Hofmann: Dass dieser Wechsel ein Risiko ist, wusste er schon zum Zeitpunkt seiner Unterschrift. Was Lorenzo damals aber wohl nicht einkalkuliert hat, war der Wegfall der Winglets. Dieses Verbot traf Ducati am härtesten, weil deren Entwicklung in diesem Bereich am weitesten war. Dementsprechend muss die Truppe von Gigi Dall'Igna rasch reagieren, diesen Vorteil irgendwie zurück zu erobern.

In Katar zeigte Ducati zuletzt ja ein revolutionäres Konzept. Auch die meisten anderen Hersteller präsentierten im Laufe der Testfahrten verschiedene Konstruktionen mit Doppelverkleidungen und innen liegenden Winglets. Kann man dadurch den Effekt der großen Flügel aus dem Vorjahr kopieren?

Alex Hofmann: Das komplette Thema Flügel kann man nur beurteilen, wenn man selbst auf so einer Maschine sitzt. Leider durfte ist so etwas auf der Rennstrecke nie selbst testen, deshalb muss ich mich auf die Aussagen von Leuten vom Kaliber eines Casey Stoner verlassen. Der meinte, dass man mit den alten Flügeln bei der Ducati schon ab 60 km/h beim Rausrollen aus der Box einen deutlichen Unterschied gespürt hat. Ob man das nun auch mit den neuen Teilen hinbekommt, kann ich nicht abschätzen.

Wie sieht dein Fazit zur bisherigen Leistung von Jonas Folger aus?

Alex Hofmann: Das war alles sehr ordentlich. Für mich war aber immer klar, dass Jonas erst auf Motorrädern mit weit über 200 PS sein wahres Zuhause findet. Er ist ein Naturtalent und das kommt erst bei mehr Leistung und somit schwieriger zu kontrollierenden Bikes so richtig hervor. Allerdings darf man seine bisherige Leistung auch nicht überbewerten. Wenn kein Druck da ist und man einen kompletten Tag für eine schnelle Runde Zeit hat, kommt man leichter zu einer guten Performance. An den Rennwochenenden muss man aber auf den Punkt genau und in einem Fenster von wenigen Minuten seine Leistung abrufen. Wenn er mit den Füßen auf dem Boden bleibt und seine Mentalität aus den Tests beibehält, kann er sicher für Aha-Erlebnisse sorgen.