Schlägt man in einem Wörterbuch den Begriff 'Maverick' nach, wird er im Deutschen für gewöhnlich mit 'Außenseiter' übersetzt. Eine Beschreibung, die auf den nach Tom Cruise in 'Top Gun' zumindest zweitbekanntesten Träger dieses Namens definitiv nicht mehr zutrifft. Maverick Vinales hat sich in den letzten Jahren den Status eines der absoluten Superstars in der Welt des Motorradsports erkämpft. Er steht im Fokus der MotoGP. Bereits jetzt, und in der kommenden Saison noch umso mehr, falls er an der Seite von Valentino Rossi bei Yamaha vielleicht erstmals in der Königsklasse sein volles Potenzial abrufen kann. Von all dem lässt sich der Moto3-Weltmeister von 2013 aber nicht beeindrucken. Trotz seiner erst 21 Jahre ist Vinales bereits richtig abgehärtet, hat in der Weltmeisterschaft schon viel erlebt.

Ein Jahr vor seinem Titelgewinn in der kleinsten Klasse kämpfte er bereits um die WM, obwohl er auf der gegenüber KTM völlig unterlegenen FTR-Honda saß. Im Saisonfinish hatte er davon genug, verzichtete einfach auf den Start in Sepang und krallte sich für das Folgejahr eine KTM. Prompt gelang der Titelgewinn und Vinales zeigte, dass seine Unzufriedenheit über schlechtes Material auch in pure Dankbarkeit umschlagen kann, wenn man ihm ein Siegermotorrad liefert. Das durfte KTM-Motorsportchef Pit Beirer erfahren, als ihm Vinales einfach so die Medaille für den Gewinn der Weltmeisterschaft schenkte. Eine ganz große Geste. Vinales ist ein Mann der Extreme, doch nicht nur emotional, nicht nur menschlich. Auch auf der Strecke schafft er es wie kaum ein anderer Pilot, das Beste aus zwei Welten zu vereinen.

Er kann seine Suzuki aggressiv in die Kurven werfen, wie es Marc Marquez macht, sie aber auch blitzsauber herumzirkeln, wie etwa Jorge Lorenzo. Kurz gesagt: Vinales ist einer der komplettesten Piloten der MotoGP. Und dabei unter der Weltelite der allerjüngste. Sein Können brachte Vinales in der laufenden Saison erstmals in der MotoGP auf das Podium, in Le Mans wurde er hinter den Yamaha-Stars Lorenzo und Rossi Dritter. Ein Sieg blieb ihm bislang aber noch verwehrt. Was es dazu noch braucht, welche Ziele er in Zukunft mit Yamaha erreichen will und welche Rolle Hund und Freundin dabei spielen, verriet er im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com am Sachsenring:

Maverick, du bist mit Suzuki schon sehr erfolgreich, dein erstes Rennen hast du in Silverstone auch gewonnen. Bist du mit deinen Leistungen in diesem Jahr vollkommen zufrieden?
Maverick Vinales: Wir sind ständig im Spitzenfeld unterwegs und haben unsere Ziele bisher wie gesagt erreicht. Daher sind wir natürlich sehr glücklich über den Verlauf der ersten Saisonhälfte. Wir wissen aber auch, dass wir noch eine Menge Luft nach oben haben. Dieses Potenzial wollen wir ausschöpfen. Um das zu schaffen, wird sehr viel Arbeit notwendig sein. Unser Level ist schon ziemlich hoch, aber wir müssen noch einen kleinen Schritt machen.

In welchen Bereichen musst du als Fahrer da den Hebel ansetzen?
Maverick Vinales: Da gibt es viele Faktoren. Ich muss meinen Fahrstil und meine Strategie im Rennen etwas anpassen. In den Trainings und Qualifyings bin ich ja schon sehr gut, nur in den Grands Prix fehlt dann immer noch ein Quäntchen. Da brauche ich einfach noch mehr Erfahrung in den Zweikämpfen gegen die absoluten Spitzenpiloten, um zu verstehen, wie der Hase hier läuft. Wenn mir das gelingt, kann ich sicher noch deutlich konkurrenzfähiger werden.

Und was könnt ihr am Motorrad noch tun?
Maverick Vinales: Auch hier sind es Kleinigkeiten. Mit dem neuen Rahmen, den wir im Laufe der ersten Saisonhälfte gebracht haben, habe ich etwa ein bisschen mehr Grip und kann das Motorrad leichter steuern. Somit muss ich die Reifen nicht so stark beanspruchen und kann am Ende des Rennens eine bessere Pace gehen. Auf eine Runde ist so ein Fortschritt oft kaum zu erkennen, über eine Renndistanz von 20, 25 oder 30 Runden kann es aber wahnsinnig viel ausmachen.

Auf Phillip Island warst du im Vorjahr unglaublich stark. Das würde sich doch anbieten.
Maverick Vinales: Ja, das könnte passen. Ich habe dort schon ein Kreuz auf die Landkarte gemacht. [lacht] Wir haben aber eigentlich auf jeder Strecke die besten Voraussetzungen, um einen Sieg zu holen, denn wir sind in den Rennen praktisch immer irgendwo zwischen Rang vier und sechs unterwegs. Das heißt: Wenn die Piloten an der Spitze patzen, dann haben wir eine sehr gute Chance. Und die werden wir nutzen.

Maverick Vinales beeindruckte auf der Suzuki, Foto: Tobias Linke
Maverick Vinales beeindruckte auf der Suzuki, Foto: Tobias Linke

Im Regenrennen von Assen hätte sich diese Chance geboten, da hat Jack Miller gewonnen. Du warst allerdings viel schwächer als in den trockenen Grands Prix dieser Saison.
Maverick Vinales: Ja, das stimmt. An unserer Performance im Regen müssen wir auf jeden Fall noch arbeiten. Wir brauchen ein besseres Setup. Im Training habe ich mich in Assen noch sehr wohl gefühlt und war ziemlich schnell, obwohl ich gar nicht wirklich gepusht habe. Als dann das Rennen begonnen hat, war mein Gefühl plötzlich weg. Das können wir uns aber sicherlich wieder zurückholen. Wenn wir es im Trockenen schaffen, schnell zu sein, muss das im Nassen auch gehen.

Ein schlechtes Rennen wie deines in Assen sorgt im Moment noch nicht für große Aufregung. Im kommenden Jahr fährst du aber für Yamaha und da sieht die Sache schon ganz anders aus, wie man bei Jorge Lorenzos Assen-Debakel gesehen hat. Macht dir so etwas Angst?
Maverick Vinales: Nein, gar nicht. Ich war schon immer ein Fahrer, der unter Druck sehr gut arbeiten kann. Mich motiviert das.

Dann müssten deine Ergebnisse ja schon alleine deshalb bei Yamaha noch besser werden.
Maverick Vinales: Wenn man den Hersteller wechselt, muss man ein klares Ziel vor Augen haben, das man bei seinem neuen Werk erreichen will. In meinem Fall ist das, bei Yamaha Rennen zu gewinnen und in möglichst allen Rennen auf dem Podium zu stehen. Das ist ganz klar.

Um zu siegen, musst du erst einmal Valentino Rossi schlagen. Der Teamkollege ist ja bekanntlich immer der erste Gegner. Stört es dich, dass du am Anfang wohl nur die Nummer zwei bei Yamaha bist?
Maverick Vinales: Ich denke nicht, dass es so etwas bei Yamaha wirklich gibt. Man kann sich vielleicht als Nummer zwei fühlen, aber im Endeffekt haben beide Piloten die gleichen Möglichkeiten. Wir sitzen ja auf demselben Motorrad und jeder hat seine Crew, die für ihn arbeitet. Man muss einfach nur gute Arbeit leisten, hart arbeiten und auf der Strecke zeigen, was man drauf hat. Wenn einem das gelingt, wird man Rennen gewinnen. Egal, ob man sowas wie die Nummer eins oder die Nummer zwei ist.

Valentino wird zumindest zu Beginn den Vorteil haben, dass er das Motorrad schon sehr gut kennt. In der Vergangenheit hast du dich auf neue Klassen oder Bikes aber immer sehr schnell eingestellt. Denkst du, dass dir das auch mit der Yamaha M1 gelingen wird?
Maverick Vinales: Ich glaube schon. Zumindest hoffe ich es. Wichtig wird aber auf jeden Fall sein, dass ich es ruhig angehe.

Das ist dir in dieser Saison ja ganz gut gelungen, auch wenn dich manche Leute nach den guten Wintertestfahrten schon als Anwärter auf den MotoGP-Titel 2016 gesehen haben.
Maverick Vinales: Die Testfahrten vor Saisonbeginn waren natürlich unglaublich. Ich habe dadurch auch jede Menge Selbstbewusstsein gewonnen und natürlich besteht die Gefahr, dass man sich auch selbst zu große Hoffnungen macht. Uns war aber immer klar, dass wir als Team nie unser großes Ziel aus den Augen verlieren dürfen. Das war und ist es, in den Top-6 der Weltmeisterschaft zu sein. Manchmal funktioniert das Bike besonders gut und wir schaffen es eben auf das Podium. Das ist dann eine Draufgabe.

Maverick Vinales und Valentino Rossi sind 2017 Teamkollegen, Foto: Yamaha
Maverick Vinales und Valentino Rossi sind 2017 Teamkollegen, Foto: Yamaha

Auch die vielen Gerüchte und Spekulationen um deine Person, bevor dein Wechsel zu Yamaha offiziell wurde, scheinen dich nicht beeindruckt zu haben. Ist dieser Eindruck richtig?
Maverick Vinales: Durchaus. Sobald ich den Helm aufsetze, kann ich alles um mich herum vergessen und mich einfach nur darauf konzentrieren, schnell Motorrad zu fahren. Die Situation wurde mir auch dadurch erleichtert, dass ich mit meinem Rennstall stets ein sehr gutes Verhältnis hatte. Wir haben immer ganz offen über alles gesprochen, wodurch im Team eine gewisse Ruhe geherrscht hat. So konnten wir uns auf die gemeinsamen Ziele konzentrieren.

Um erfolgreich zu sein, arbeitest du bei Suzuki auch intensiv mit deinem Teamkollegen Aleix Espargaro zusammen, was das Setup des Motorrads angeht. Möchtest du das auch bei Yamaha so weiterführen?
Maverick Vinales: Ja, denn ich mag das extrem gerne. Aleix und ich helfen uns so sehr. Wenn einer von uns in einem gewissen Bereich besser ist, kann der andere das kopieren. So können wir für uns beide das Maximum herausholen und die bestmöglichen Rennen fahren.

Neben deiner Crew und deinem Teamkollegen hast du noch eine fachkundige Person in deinem Umfeld, auf die du dich verlassen kannst. Deine Freundin Kiara ist ja auch professionelle Rennfahrerin und hat im Damen-Motocross bereits Weltmeistertitel gewonnen. Macht es dein Leben leichter, mit einer Rennfahrerin liiert zu sein?
Maverick Vinales: Kiara versteht sicherlich viele Dinge, die andere Mädchen nicht begreifen können. Sie weiß, mit welchem Druck man in dieser Branche konfrontiert ist und auch, welche großen Opfer man bringen muss, um so weit zu kommen. So gesehen ist es also sicher deutlich einfacher. Andererseits ist sie durch ihren Job aber natürlich so wie ich auch viel unterwegs, was es manchmal wieder etwas schwierig macht. Insgesamt ist es aber sicherlich gut, eine Person, die die Szene kennt, an seiner Seite zu haben, weil so viele Missverständnisse gar nicht erst aufkommen, die es vielleicht mit anderen Mädchen geben würde.

Bist du generell ein Familienmensch? Auf deinen Social-Media-Kanälen sieht man abseits der Rennwochenenden fast nur Bilder von dir mit Kiara und euren Hunden.
Maverick Vinales: Ich verbringe einfach wahnsinnig gerne Zeit mit meiner Freundin und unseren Tieren. Da kann ich mich am besten entspannen und den Druck der Rennwochenenden ablegen. Ich genieße das sehr, auch wenn wir nicht wirklich lange ruhen, sondern schnell wieder unter Strom stehen und mit dem Training beginnen.

3 Faktoren für Vinales' Erfolg

Für manche Beobachter ist der kometenhafte Aufstieg Vinales' schwer zu erklären. Suzuki-Teamchef Davide Brivio kennt die Stärken seines Schützlings aber genau. Motorsport-Magazin.com verriet er die drei Säulen des Erfolgsgeheimnisses.

1. Die Routine

"Maverick ist in diesem Jahr viel reifer geworden. Schon nach nur einer Saison in der MotoGP hat er einen unheimlich großen Erfahrungsschatz angehäuft. Natürlich hat sich auch das Bike verbessert, wovon er profitiert, aber er hat einen beträchtlichen Anteil daran, dass die Kombination aus Fahrer, Motorrad und Crew so gut funktioniert."

2. Die Rahmenbedingungen

"Maverick kommen seit dieser Saison auch einige Paramater der MotoGP entgegen. Das ist vor allem im Hinblick auf die Michelin-Reifen der Fall. Maverick hat einen etwas anderen Stil als viele seiner Konkurrenten und konnte sich mit diesem schneller auf die neuen Pneus einstellen. Bei Bridgestone waren die Vorderreifen sehr stark und die Hinterreifen etwas schwächer, mit Michelin ist es nun genau umgekehrt. Das liegt Maverick."

3. Die Mentalität

"Man muss in diesem Jahr durch die neuen Regeln und Bedingungen anders an die Sache herangehen, als das früher der Fall war. An dieser Umstellung hatten manche Fahrer sehr zu knabbern. Sie ist ihnen alles andere als leicht gefallen. Maverick ist extrem locker an diese Angelegenheit herangegangen und das hat super funktioniert. Da hat ihm seine jugendliche Unbekümmertheit wohl ziemlich geholfen."

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