Das neue Jahr war gerade einmal 27 Tage alt, da bewarb sich Augusto Farfus schon für das Überholmanöver des Jahres. Daytona International Speedway, 24-Stunden-Rennen. 2 Runden vor dem finalen Rennabbruch. Schlimmster Regen, über 280 km/h auf dem Tacho, im 31-Grad-Banking. Zahlen für Helden-Geschichten.

Bei schwierigsten Streckenbedingungen und quasi im Blindflug leitete Farfus mit einem irrsinnigen Überholmanöver den späteren Sieg für das BMW Team RLL beim Langstreckenklassiker in Florida ein.

Der Brasilianer im BMW M8 GTE jagte den roten Risi-Ferrari mit James Calado am Steuer durch das steile Banking auf der Gegengeraden, sog sich im Windschatten an den 488 GTE heran, zog links vorbei, bremste auf der letzten Rille, kam ins Schlingern und bugsierte den BMW gerade so durch die Bus Stop-Schikane hin zur Führung.

"280 km/h bei quasi null Sicht und keinerlei Grip... Ich habe es gemacht... Ich habe das Überholmanöver durchgezogen und wir gewannen das Rennen. Wir haben die 24 Stunden von Daytona gewonnen", schrieb Farfus zu dem Onboard-Video, das er in seinen sozialen Netzwerken veröffentlichte.

Und den Zuschauern damit erstmals die Möglichkeit gab, die Szene aus zumindest einem Blickwinkel genießen zu können, nachdem sie in der Live-Übertragung während der hektischen Schlussphase in Daytona glatt untergegangen war. Dass Farfus mit dieser Aktion den so emotionalen Sieg für BMW perfektmachen sollte, ließ sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschätzen.

Zwei Runden später war alles vorbei, die Rennleitung brach das Rennen - möglicherweise zu spät - wegen der starken Regenfälle ab. Ein Szenario, mit dem alle Teams und Fahrer gerechnet hatten - und alles taten, um in den letzten Runden möglichst weit vorne zu fahren. So auch Farfus, für den sich das durchaus riskante Manöver gegen den #62 Ferrari von Risi Competizione auszahlte.

Extreme Wetterbedingungen beim Langstreckenklassiker in Florida, Foto: LAT Images
Extreme Wetterbedingungen beim Langstreckenklassiker in Florida, Foto: LAT Images

"Was Augusto in den letzten Stunden abgeliefert hat, war außergewöhnlich", sagte später Teamkollege Philipp Eng, der sich ebenfalls über den Klassensieg beim Rolex 24 At Daytona sowie eine der begehrten Luxusarmbanduhren freuen durfte. "Wie er den Ferrari überholt hat - so etwas habe ich noch nie gesehen."

Ausgerechnet Farfus. Der Farfus, der eigentlich gar nicht für das regnerische 24-Stunden-Rennen im Sunshine State vorgesehen war. Der eilig herbeigerufen wurde, weil BMW-Werksfahrer Tom Blomqvist wegen Visa-Problemen nicht antreten durfte.

Der Farfus, der nur zwei Tage vor dem Start ins Rennen schmerzlich hatte erfahren müssen, dass sein ehemaliger Schnitzer-Teamchef und guter Freund Charly Lamm plötzlich verstorben war. Jener Lamm, mit dem Farfus 2009 seinen ersten und 2018 seinen letzten Sieg beim prestigeträchtigen Macau Grand Prix gefeiert hatte. Dem letzten Rennen von Charly Lamm am Kommandostand von Schnitzer Motorsport, bevor er exakt 67 Tage später im Alter von nur 63 Jahren starb.

Alex Zanardi beglückwünscht Augusto Farfus zum Sieg in Daytona, Foto: BMW AG
Alex Zanardi beglückwünscht Augusto Farfus zum Sieg in Daytona, Foto: BMW AG

Wer Farfus kennt, der weiß, dass der Brasilianer nicht nur ein lebensfroher, sondern auch ein sensibler Mensch ist. Als er am Morgen des Rennbeginns in Daytona vor dem BMW M8 in der Garage posierte und mit dem Finger auf den Schriftzug 'Godspeed Charly' (Gute Reise, Charly) zeigte, war mit jeder Faser seines Körpers zu spüren: Er will das Rennen unbedingt gewinnen. Koste es, was es wolle. Für seinen Freund Charly.

Und so fuhr der frühere DTM-Pilot dann auch in den Schlussstunden von Daytona, einem der chaotischsten Rennen in der 57-jährigen Geschichte des US-Klassikers. "Zum Glück ist dein Schutzengel sehr besonders und beschützt dich für mich", schrieb später Farfus' Ehefrau Liri auf dessen Instagram-Seite.

Sie wusste genauso wie die anderen über 100.000 Zuschauer des Onboard-Videos, dass das Manöver nicht ohne war. Nur sorgte sich Frau Farfus mehr um die Gesundheit ihres Augusto statt in den Reigen der unzähligen Gratulanten einzustimmen, die ihm durchaus große Körperpartien in dieser brenzligen Situation attestierten.

BMW widmet Charly Lamm den Sieg in Daytona, Foto: BMW AG
BMW widmet Charly Lamm den Sieg in Daytona, Foto: BMW AG

"Wir hatten mit Charly einen speziellen Co-Piloten an Bord", sagte Farfus später sichtlich gerührt während der Sieger-Pressekonferenz. "Er war mehr als ein Freund für mich und heute saß er bei mir im Auto." Lamm hätte sicherlich gefallen, was sein ehemaliger Schützling (Farfus: "Ich habe so viel von ihm gelernt") unter extremsten Bedingungen im BMW M8 ablieferte.

Da war die Lobeshymne des Überholmanövers in Persona - Alex 'The Pass' Zanardi - schon fast zu viel des Guten. Der große Star in Daytona, der sich über den GTLM-Klassensieg des Schwester-BMW freute, erinnerte sich an ein Gespräch mit Farfus im Laufe des Wochenendes.

Am 18. November 2018 standen Farfus und Charly Lamm in Macau zusammen auf dem Podium, Foto: BMW Motorsport
Am 18. November 2018 standen Farfus und Charly Lamm in Macau zusammen auf dem Podium, Foto: BMW Motorsport

Zanardi: "Ich habe vor zwei Tagen mit Augusto über seinen Sieg in Macau gesprochen. In meinen Augen war das so groß, wie eine Formel-1-Weltmeisterschaft zu gewinnen. Das ist nur meine Sicht, aber ich fand das großartig. Und was ihm hier gelungen ist, war noch spezieller. Augusto ist wie Hölle mit dem Auto gefahren."

Und aus dem Himmel schaute Charly Lamm zu und drückte die Daumen, war Farfus fest überzeugt, bevor er sich auf den Weg nach Bathurst machte, zum berühmten 12-Stunden-Rennen in Australien, nur eine Woche nach Daytona. Im Einsatz für Schnitzer Motorsport.

Farfus ist inzwischen beim Schnitzer-Team in Bathurst angekommen, Foto: BMW AG
Farfus ist inzwischen beim Schnitzer-Team in Bathurst angekommen, Foto: BMW AG

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