Manchmal braucht es nur ein paar gute Argumente, um eine Änderung einzuleiten. Wie wäre es mit 1.900 PS, einem Topspeed von 400 km/h und einer Beschleunigung von 0 auf 100 in unter 2 Sekunden? Zahlen, die Nick Heidfeld überzeugt haben. Nach mehr als 20 Jahren im Profi-Motorsport widmet sich 'Quick Nick' einem gänzlich neuen Projekt. Das trägt den relativ klanglosen Interimsnamen PF0 und stammt aus der Feder von Automobili Pininfarina. Nicht weniger als der Bau des stärksten italienischen Sportwagens in der Geschichte lautet der Anspruch.

Bei diesem ambitionierten Projekt spielt Heidfeld eine bedeutsame Rolle. Der frühere Formel-1-Fahrer tritt im aktiven Motorsport einen Schritt zurück und konzentriert sich stattdessen auf die Mit-Entwicklung des Elektro-Monsters aus der Feder von Pininfarina.

"Der Hauptteil meines Programms besteht jetzt das erste Mal in etwas anderem außer Rennen zu fahren", sagt Heidfeld zu Motorsport-Magazin.com. "Ich bin nun offen für andere Dinge als nur den Rennsport. Auch nachdem ich aus der Formel 1 ausgeschieden bin, habe ich mich gefragt, wie es weitergeht. Ich war aber nie offen für etwas anderes als Motorsport. Jetzt war die Zeit reif, auch mal nach links und nach rechts zu schauen."

Ein großer Schritt für den 41-jährigen Heidfeld, der mehr als die Hälfte seines Lebens in Rennautos verbracht hat. Im Laufe der Jahre ist Heidfeld zu einem der bekanntesten Rennfahrer der Welt aufgestiegen. Er blickt auf 183 Grands Prix in der Formel 1 zurück - die viertmeisten aller deutschen Fahrer nach den Weltmeistern Michael Schumacher, Sebastian Vettel und Nico Rosberg. 12 Jahre Königsklasse, 13 Podestplätze, eine große Karriere des gebürtigen Mönchengladbachers.

In der Formel E fand Heidfeld im Jahr 2014 ein neues sportliches Zuhause. Damit gehört er zu den Pionieren des Elektro-Formelsports. Elektro-Power, das ist auch seine neue Heimat. Automobili Pininfarina schickt sich an, zum ersten Mal in der Geschichte des italienischen Legenden-Designers ein komplett eigenes Auto zu bauen. Ein rein-elektrisches, natürlich, mit bereits beschriebenen Fabelwerten.

Das Projekt und Heidfeld passen wie die Faust aufs Auge. Endlich hat er etwas gefunden, das ihn ähnlich ausfüllt wie der Motorsport in all den Jahren. "Ich bin extrem froh, dass ich mit Automobili Pininfarina zusammenarbeiten kann, weil ich dadurch die Möglichkeit habe, meine Passion weiterzuleben", sagt Heidfeld. "Ich habe bei Mahindra offensichtlich einen guten Job gemacht, in dem Sinne, dass sie wissen, dass ich in der Autoentwicklung mit Sicherheit zu den Besten gehöre."

Mutige Worte, die von der Automobilindustrie bestätigt werden. Chef von Automobili Pininfarina ist Michael Perschke, langjähriger VW- und Audi-Manager. Er wollte Heidfeld in seinem Team mit Hauptquartier in München haben.

Zu Motorsport-Magazin.com sagt Perschke: "Wir haben uns ganz bewusst für Nick entschieden, weil er nicht nur ein guter Fahrer am Steuer ist, sondern in der Industrie auch dafür bekannt ist, dass er unheimlich gutes Feedback an die Ingenieure geben kann. Und wir brauchen ja einen Fahrer, der das Auto versteht - es aber nicht nur für die Rennstrecke entwickelt, sondern so, dass es für den Endkonsumenten eine wahnsinnige Performance bietet und auch auf einer Tagesbasis gut nutzbar ist."

Der Kontakt war schnell hergestellt. Im Jahr 2015 kaufte der indische Großkonzern Mahindra den Mehrheitsanteil von Pininfarina. Mahindra Racing ist das Team, für das Heidfeld vier Jahre lang in der Formel E an den Start ging. Mahin-was? In Europa ist das Unternehmen noch größtenteils unbekannt, in Indien aber eine ganz große Nummer: Der Konzern beschäftigt mehr als 240.000 Mitarbeiter, der jährliche Umsatz beträgt rund 20 Milliarden Dollar.

Gigantische Werte, doch ein Supersportwagen hätte nicht ins hauseigene Portfolio gepasst. Deshalb der Kauf von Pininfarina. Aus deren Feder stammt unter anderem der legendäre Ferrari Testarossa. 1984 brachte Ferrari den 12-Zylinder-Wagen heraus, das Design der Karosserie kommt von Pininfarina. "Selbst ich hatte ein Poster vom Testarossa bei mir zuhause hängen", sagt Heidfelds Mahindra Racing-Teamchef Dilbagh Gill zu Motorsport-Magazin.com.

Auch Heidfeld selbst gerät ins Schwärmen, wenn er an die Traumautos aus der 1930 durch Battista 'Pinin' Farina gegründeten Designschmiede denkt. "Als kleines Kind habe ich mit Matchbox-Autos gespielt und der Testarossa 512 war mein Traumauto", sagt er. "Jetzt bin ich Markenbotschafter und in die Entwicklung des Autos involviert - das ist fantastisch."

Für Heidfeld sollte es nicht bei den Modellautos bleiben. Während seiner Jahre in der Formel 1 verdiente er gutes Geld - von dem er sich unter anderem einen eigenen Testarossa leistete und in die heimische Garage in der Schweiz stellte. "Deshalb kann man sich vorstellen, wie meine Augen geleuchtet haben, als ich nun die Möglichkeit hatte, mit Pininfarina zusammenzukommen", sagt der Automobil-Liebhaber. "Die Dinge haben sich für mich zum Glück in eine Richtung entwickelt, die ich mir nicht besser hätte vorstellen können."

Die neue Aufgabe als Testfahrer und Markenbotschafter für Automobili Pininfarina ist nicht gleichbedeutend mit dem Ende seiner aktiven Motosportkarriere. Rennen fahren will Heidfeld weiterhin, die bereits bekannte Langstrecke und auch der Rallyesport reizen ihn. Doch nun gibt es für den Vater von drei Kindern eben ein weiteres Betätigungsfeld neben dem reinen Motorsport.

Dass Heidfeld für das PF0-Projekt viel mehr als nur seinen Namen hergibt, ist mit jeder Faser seines Körpers spürbar. Mit den Händen gestikulierend erklärt er seine Ansprüche: "Ich werde beim Design, bei der Haptik und generell beim Auftritt meinen Senf dazugeben. Ich erwarte natürlich nicht, dass ich federführend beteiligt sein werde. Ich werde aber sehr viel Spaß daran haben, Dinge von unseren Fachleuten zu lernen und gerade in dieser frühen Entwicklungsphase eine Richtung mitvorzugeben."

Früher hat Heidfeld die Formel-1-Boliden von Prost, Jordan, Sauber, BMW-Williams und Lotus-Renault mitentwickelt, heute ist es ein Straßenauto. "Eines, das schneller beschleunigt als ein F1-Auto", bemerkt Heidfeld rasch und denkt an den Sprint von 0 auf 100 in rund 1,8 Sekunden.

Mit der Entwicklung eines rein-elektrischen Supersportwagens betritt Heidfeld in vielerlei Hinsicht Neuland, wie er erklärt: "Das bedeutet in einer gewissen Art und Weise ein neues Universum. Im Gegensatz zum Motorsport können wir hier in den meisten Bereichen unreglementiert vorgehen. Im Motorsport ist es zwar auch spannend, aus einem Reglement das Beste herauszuholen. Aber jetzt stehen die Türen im weitesten Sinne offen für etwas Neues."

Und auch sein Garagentor für einen der streng limitierten PF0, der Ende 2020 auf den Markt kommt und mit ungefähr zwei Millionen Euro zu Buche schlagen soll? "War Verhandlungssache, hat aber leider nicht funktioniert", sagt Heidfeld mit einem Grinsen im Gesicht.

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