Lassen die mich da überhaupt einreisen? Welche Medikamente darf ich im Handgepäck mitführen, ohne verhaftet oder gesteinigt zu werden? Und überhaupt: Dürfen die Formel E und die großen Hersteller überhaupt ein Rennen in Saudi-Arabien fahren? Diese, und viele weitere Fragen, habe nicht nur ich mir vor meiner Abreise nach Riad gestellt. Ein Land, in dem für uns Europäer so viele Unbekannte herrschen wie in kaum einem anderen auf der Welt.

Ja, ich hatte Bedenken, den Saisonauftakt der Formel E in Saudi-Arabien vor Ort zu begleiten. Fehlende Rechte für Frauen, der Jemen-Krieg und natürlich die Empörung über den in Istanbul ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi. Ganz heikle Themen, die dem Königreich einen schlechten Ruf in der westlichen Welt beschert haben.

Es ist Donnerstagnacht vor dem Rennen, während ich diese Zeilen schreibe. Bin gerade erst von einem ausgiebigen Stadtbummel durch Riad-Downtown in mein Hotel zurückgekehrt. Musste noch schnell die Jalousien runterziehen, weil draußen alles so hell leuchtet und blinkt von den Dächern der Luxus-Hotels, die mein kleines Apartment einkesseln. Sieht aus wie in Las Vegas, habe ich eben noch unten mit dem Rezeptionisten gescherzt, bevor er mir eine gute Nacht wünscht.

Spaziergang am späten Abend: In Riad tut sich einiges, Foto: Motorsport-Magazin.com
Spaziergang am späten Abend: In Riad tut sich einiges, Foto: Motorsport-Magazin.com

Ein freundlicher Zeitgenosse, dessen größtes Problem mit mir Europäer es war, meinen Namen richtig auszusprechen. Freundlich auch der Kellner in dem kleinen Restaurant, wo ich vorhin nach einem langen Tag an der Rennstrecke einen großen Grillteller verputzt hatte. Erfrischungstuch und warme Worte inklusive. Nicht zu vergessen mein Uber-Fahrer (nutzen hier 30 Prozent der Bevölkerung, wer hätte das gedacht...), der auf dem Weg zu einem Event erklärt, dass wir gerade an der weltgrößten Uni nur für Frauen (52.000 Studentinnen, wer hätte das gedacht...) vorbeifahren, bevor er sich viel Zeit nimmt, um mir beim Passieren einer Sicherheitskontrolle zu helfen.

Merken Sie etwas? Während meiner bisherigen 24 Stunden in Saudi-Arabien wurde ich von den Einheimischen ausschließlich höflich und respektvoll behandelt. So, wie man es sich wünscht und wie es überall auf der Welt eigentlich selbstverständlich sein sollte. Eindrücke, die mir an der Rennstrecke von so ziemlich allen Kollegen, Fahrern und Teammitgliedern bestätigt worden sind. Tenor: Man ist angenehm überrascht von den Menschen des Landes, von dem man im Vorfeld so viel Negatives gehört und gelesen hatte.

Im Fahrerlager in Riad herrscht gute Stimmung - bei Männern und Frauen, Foto: LAT Images
Im Fahrerlager in Riad herrscht gute Stimmung - bei Männern und Frauen, Foto: LAT Images

Nun möchte ich nichts beschönigen. Vieles in diesem Land widerspricht unseren vertrauten Werten und Normen. Darüber soll auch nicht hinwegtäuschen, dass Frauen erst seit diesem Jahr (muss man sich mal vorstellen...) den Führerschein machen oder ein Fußballspiel im Stadion anschauen dürfen. Oder, dass Kinos nach mehr als 30 Jahren wieder eröffnet haben.

Und deshalb ist die Frage, ob die Formel E schon jetzt in diesem Land ein Rennen austragen sollte, absolut berechtigt. Auch die großen Autohersteller müssen sich mit dieser Kritik auseinandersetzen. Die offiziellen Antworten fallen ähnlich aus wie beim ersten Besuch der Formel 1 in Russland oder zur Fußball-WM in Katar 2022: lieber über Sport als über Politik sprechen. Als ob der Sport selbst nicht eine hochpolitische Angelegenheit wäre...

Dahinter steckt natürlich das liebe Geld. Formel-E-Boss Alejandro Agag soll für die Rennen in Saudi-Arabien in den kommenden zehn Jahren bis zu 300 Millionen Dollar kassieren, erzählt man sich im Fahrerlager. Eine schöne Summe, die über so manches Problem hinwegtröstet. Etwa, dass in vielen Medienberichten zum Formel-E-Auftakt die Politik über dem Sport steht, obwohl es spannende neue Autos, Fahrer, Teams und Regeln gibt.

Eine Gruppe Kinder beim Besuch des Fahrerlagers am Donnerstag, Foto: LAT Images
Eine Gruppe Kinder beim Besuch des Fahrerlagers am Donnerstag, Foto: LAT Images

Wer bei all dem auf der Strecke bleibt: Die vor allem jungen Menschen um mich herum in Riad, die unheimlich begeistert sind, dass sie an diesem Wochenende zum zweiten Mal überhaupt (nach dem Race of Champions zu Beginn des Jahres) ein Autorennen live anschauen können. Oder die Konzerte im Rahmen des Formel-E-Wochenendes mit Superstars wie David Guetta oder Enrique Iglesias besuchen können. Und dazu auch noch tanzen dürfen (dafür wurde man auch gern mal verhaftet, als die Religionspolizei noch mächtig war)!

Die Formel E muss sich den Vorwurf gefallen lassen, Werbung für ein Land zu betreiben, in dem so einiges (noch) nicht richtig läuft. Aber für die Menschen hier bedeutet das Rennen gleichzeitig einen Schritt weiter in eine neue, offenere Welt. Ich freue mich mit ihnen.