Renault bläst zur französischen Revolution. Der Grund: Es geht vorwärts, aber nicht schnell genug. Der Technikchef nimmt den Hut, dafür landen neue Spitzenkräfte in Enstone & Viry, mit Daniel Ricciardo kommt on top ein sensationeller Fahrer neben Nico Hülkenberg. Die wichtigsten Bausteine zum Durchbruch auf dem Prüfstand.

Die Fahrer

Die größte Änderung gewaltiger Umstrukturierungen beim Werksteam von Renault geschieht an der Fahrerfront. Ja, schon wieder. Erst Ende 2017 war Carlos Sainz gekommen. Doch schon nach seiner ersten vollen Saison bei den Franzosen muss der Spanier wieder gehen. Nicht, weil er neben dem 2018 erneut starken Nico Hülkenberg so schlecht aussah wie zuvor Jolyon Palmer. Sondern, weil sich Renault mit Daniel Ricciardo für 2019 einen ganz großen Fisch des Fahrerfeldes geangelt und Hülkenberg sich ohnehin langfristig gebunden hat.

"Es war wahrscheinlich eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich in meiner Karriere bislang treffen musste", sagt der Australier über seine Luftveränderung nach fünf Jahren Red Bull. "Aber ich dachte, dass es Zeit für eine frische und neue Herausforderung wäre", erklärt Ricciardo seinen Wechsel. Der 'Honigdachs' ist sich jedoch völlig bewusst, wie viel schwieriger es für ihn mit Renault zunächst werden kann. "Ich weiß, dass noch eine Menge fehlt, damit Renault das selbstgesteckte Ziel, auf dem höchsten Level mitzufahren, erreichen kann", sagt Ricciardo.

"Aber ich bin beeindruckt von ihrem Fortschritt in nur zwei Jahren und weiß, dass Renault jedes Mal, wenn sie in diesem Sport waren, letztlich auch gewonnen hat", ergänzt Ricciardo. Damit liegt der neue Fahrer im gelben Overall nur halb richtig. Bei dem ersten Engagement als Werksteam von 1977 bis 1985 hatte Renault den WM-Titel verpasst. Der aktuelle Trend zeigt jedoch tatsächlich nach oben. 2016, im ersten Jahr nach der Rückkehr als Werksteam, erzielte Renault Rang neun bei den Konstrukteuren. 2017 war es schon P6, 2018 klassiert Renault zurzeit auf Platz vier. Geht es in diesem Tempo weiter, wären Enstone und Viry 2019 voll dabei im Kampf um die Spitze.

Wäre es nur so einfach. In der heutigen Formel 1 ist kein Schritt größer als der vom Best of the Rest, der Spitze des Mittelfelds, zu den drei Top-Teams. Noch dazu kaschiert der Fahrerfaktor die auf dem Papier vorhandene Entwicklung Richtung Konzert der Großen: 2016 fuhren für Renault mit Palmer und dem damals noch wackligen Kevin Magnussen zwei unterdurchschnittliche Fahrer. 2017, als es im WM-Stand drei Plätze nach vorne ging, sorgte dafür vor allem eine Neuerung: Nico Hülkenberg holte 43 der 57 Renault-Zähler. Noch ein Jahr später waren es zur Sommerpause schon 70 Punkte - jetzt verfügt Renault mit Sainz jedoch auch über einen zweiten starken Piloten.

Weil daraus mit Ricciardo/Hülkenberg 2019 sogar eine der stärksten F1-Paarungen überhaupt wird, könnte zumindest dank des Faktors Fahrer tatsächlich ein weiterer Schritt nach vorne glücken. Renault Sport Racing Präsident Jérôme Stoll: "Renault will beim Comeback in der Formel 1 um Weltmeisterschaften kämpfen. Die Gelegenheit, Daniel Ricciardo zu verpflichten, ist dabei eine einmalige Chance für dieses Ziel, die wir uns nicht entgehen lassen konnten."

Das Auto

Doch können es die besten Fahrer allein nicht richten. Siehe Fernando Alonso bei McLaren. Dessen ist sich Renault bewusst. "Wir müssen ihm sein Vertrauen in uns zurückzahlen, indem wir das bestmögliche Auto liefern", sagt Teamchef Cyril Abiteboul zum Sensationstransfer Ricciardos. Doch genau das gelang bis dato noch nicht. Ob R.S.16, R.S.17 oder R.S.18 - kein Sieg -, nicht einmal ein Podestauto war der Renault in den vergangenen drei Jahren. Eine Schmach für einen großen Hersteller? Nicht ganz. Noch nicht. Mercedes nahm vor dem ersten Titel 2014 vier Jahre Anlauf. Bei Red Bull, zwar selbst nicht aus der Automobilbranche, aber damals mit vergleichbarem Werksstatus, waren es sogar fünf. Renault selbst benötigte bei seinem vorherigen Werkseinstieg 2002 drei Jahre, bis 2005 erstmals die Korken knallten.

Wollen die Franzosen diese Erfolgsgeschichte wiederholen, müssen sie 2019 voll liefern, also nicht nur um Podien und Siege fahren, sondern gleich den Titel. Der ursprüngliche Fünfjahresplan sieht das jedoch erst für 2020 vor. Doch selbst das erscheint nur mit Phantasie sehr realistisch. Zum einen, weil der Fortschritt zu großen Teilen eben auf die immer besseren Fahrer zurückzuführen ist. Zum anderen, weil sich eben auch auf Seiten des Renault-Boliden ganz klar offenbart, wie schwer sich die Franzosen tun.

Einzig Mitte 2017 gelang durch ein Update einmal ein größerer Schritt nach vorne auf einen Schlag. 2018 stottert sich Renault sogar wieder mehr ab, kämpft mit Chassis und Updates. Vor allem in mittelschnellen bis schnellen Kurven hadern die Fahrer mit der Balance des R.S.18. Zum Deutschland GP sollte ein neuer Frontflügel helfen, floppte jedoch. "Das Update von Hockenheim war etwas enttäuschend", hadert Hülkenberg. Bezeichnend zudem, dass Renault trotz der ganzen Kraft eines Automobilgiganten nur mit großer Mühe die Nase leicht vor das noch junge Haas-Team bekommt - zumal die Amerikaner sich oft selbst im Weg stehen.

Eine noch deutlichere Sprache spricht der Vergleich mit Red Bull. Die Bullen, 2018 noch Kunde Renaults, fahren dem Hersteller mit dergleichen Power Unit mühelos um die Ohren - obwohl sie über den Nachteil eines mit Mobil 1 anderen Benzinlieferanten verfügen, während Renault mit Castrol-Treibstoff fährt, entsprechend bei der Entwicklung alles darauf ausgelegt hat. Dieser Vergleich ist durch Red Bulls Honda-Wechsel 2019 passé. Renault verliert seinen Gradmesser. "In den letzten zwei Jahren wussten wir neben Red Bull immer genau, wo unser Team steht", erinnert Noch-Renault-Fahrer Carlos Sainz. Ein Problem sei das aber nicht, ergänzt Hülkenberg, den es 2019 noch betrifft. "Wir brauchen kein anderes Team als Messlatte", sagt er. "Unser Benchmark ist der Wettbewerb. Unsere Rundenzeiten werden zeigen, wo wir stehen."

Die Power Unit

Die nächste Messlatte für Renault sind Ferrari und Mercedes - mit Blick auf die Power Unit. Ein kaum kleineres Problem als das Chassis, wie nicht zuletzt auch Red Bulls nie enden wollende Beschwerden über Nachteile sowohl bei Leistung als auch Zuverlässigkeit vorführen. "Die führenden Autos sind immer die Messlatte und wir wissen, dass wir Arbeit zu erledigen haben und in welchen Bereichen wir uns verbessern müssen", sagt Hülkenberg. Einer dieser Bereiche ist ganz klar die Leistung. 50 bis 60 PS sollen Renault auf den offenbar neuen Branchenprimus Ferrari respektive Mercedes fehlen. Eine Hausnummer. Noch dazu schlug der lang ersehnte, in Österreich erstmals gezündete Spezialmodus für das Qualifying schlechter ein als erhofft. Renault hat diesen 'Partymodus' weit weniger perfektioniert als Ferrari und Mercedes.

Insgesamt liegt die vielleicht sogar größte Baustelle also im Heck des Renault. Oder zumindest der Bereich, in dem auf einen Schlag am meisten zu gewinnen ist. Zumindest wählt Nico Hülkenberg diese positive Perspektive. "Das geht schon innerhalb eines Jahres", meint der Deutsche vor seinem dritten Renault-Jahr 2019. Es müsse nicht immer alles zwei oder drei Jahre in Anspruch nehmen. "Das geht in der Formel 1 teilweise auch fixer. Man kann es aber nicht vorhersagen." Nur in einem Punkt ist Hülkenberg sicher: Von heute auf morgen geht es dann doch nicht. Erst einmal werde der Nachteil nicht wettzumachen sein. "Das geht nur durch grandiose Ideen an der Power-Unit-Front. Die sind bislang aber ausgeblieben", sagt Hülkenberg bedauernd, aber realistisch.

Das Team

Bleibt noch eine tragende Säule eines jeden Rennstalls: das Team. Hier zeigt sich die Aufbruchsstimmung Renaults neben der Ricciardo-Verpflichtung besonders klar. Renault strukturiert um, wagt auch personell den Angriff. In Sachen Quantität stockten die Franzosen seit ihrem Werkscomeback ohnehin sukzessive auf, pumpten die übernommenen, sehr viel kleineren Lotus-Strukturen in Enstone sowohl bei Personal als auch Infrastruktur auf. "Es gab eine große Entwicklung bei Renault. Enstone hat sich vergrößert", sagt Abiteboul. Zudem gibt es mit dem Stammsitz Viry in Frankreich ohnehin noch ein zweites Hauptquartier. Dort sitzt die Motorenschmiede, in Enstone wird das Chassis gefertigt. Doch längst geht es nicht mehr um Masse. Jetzt kommt es auch an der Spitze, bei den Top-Köpfen, zu umfassenden Änderungen.

Die erste ist bereits länger vollzogen. Seit April arbeitet der vorherige FIA-Mann Marcin Budkowski als Executive Director für Renault in Enstone, als rechte Hand Abitebouls lenkt er vor allem den reibungslosen Austausch mit Viry, die leitenden Ingenieure berichten direkt an den Polen. Die Personalie sorgte für einen Skandal im Fahrerlager, verfügt Budkowski durch seinen vorherigen Job als FIA-Technikdirektor über technisches Wissen zu allen Teams. Genau deshalb versuchte Renault, den Ärger zu dämpfen, ließ Budkowski nicht wie zunächst geplant bereits im Januar loslegen.

Eine weitere Verpflichtung ist brandaktuell. Zum ersten September nahm Matthew Harman seine Tätigkeit bei Renault auf. Nie gehört? Mag sein. Doch gilt der Mann als mögliche Schlüsselfigur, endlich den Durchbruch in Sachen Power Unit zu erzielen: Harman wechselt nach 17 Jahren von keinem anderen Team als Mercedes zu Renault. Dort bekleidete er die Rolle des 'Head of Powertrain Integration and Transmission Design', eine elementare Position, weil genau an der Nahtstelle bedeutender Komponenten eines F1-Boliden - Power Unit, Chassis und Getriebe. Bei Renault tritt er den Posten des stellvertretenden Chefdesigners an, assistiert Martin Tolliday, und soll Renault vor allem langfristig eine bessere Richtung und eigene Fahrzeugphilosophie verpassen.

Ebenfalls von Mercedes stieß bereits lange zuvor ein gewisser Bob Bell zu Renault. Bis 2013 arbeitete er bei den Silberpfeilen noch gemeinsam mit Harman, nun lotste er diesen offensichtlich ganz bewusst zu Renault, um selbst sein Amt als Technikchef niederzulegen und in den Teilruhestand zu wechseln. Das teilte Renault vor der Sommerpause mit. "Eine voll funktionstüchtige und agile Zusammenarbeit zwischen Viry und Enstone wurde bereits umgesetzt", lässt Renault wissen. Ein Fall für den Bell-Vertrauten Harman. Dennoch ein herber Verlust für Renault, gehen mit Bell 36 Jahre Formel-1-Erfahrung. Zumindest als Berater bleibt er dem Team aber erhalten.

Fazit

"Es fehlten die letzten ein oder zwei Schritte zum Top-Team." So resümierte Carlos Sainz zuletzt die Realität Renaults in den beiden vergangenen Jahren. Diese Schritte wollen die Franzosen mit den neuen Strukturen nun gehen. Wie bei jedem Umbruch gilt allerdings auch für Renault: Eine Wunderheilung ist immer möglich, aber unwahrscheinlich. Dazu gibt es mit Power Unit und Chassis gleich zwei zu große Baustellen. Zudem muss sich nun alles erst einmal wieder neu finden. Gut möglich jedoch, dass damit ein starkes Fundament für die Zeit ab 2021 geschaffen wird.

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