Es war ein regelrechter Schock, als Fernando Alonso in der Sommerpause verkündete, Ende 2018 mit der Formel 1 Schluss zu machen. "Nach 17 wundervollen Jahren in diesem tollen Sport ist es für mich Zeit für eine Veränderung", begründete der 37-Jährige seine Entscheidung. Eine Entscheidung, die angesichts der seit 2015 anhaltenden Odyssee mit McLaren eigentlich nicht wie eine große Überraschung anmutete. Doch trotz der jahrelangen Erfolglosigkeit hatte niemand so wirklich zu glauben gewagt, dass der ruhelose Spanier zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere die Jagd nach dem dritten WM-Titel aufgeben würde.

Sein Ehrgeiz schien dafür immer noch viel zu groß, sein Kampfgeist zu unerschütterlich. Doch genau das ist der Grund, weshalb er der Königsklasse nun den Rücken kehrt. Anders als andere F1-Ruheständler hat Fernando Alonso auch im Herbst seiner Rennfahrer-Laufbahn nichts von der Leidenschaft und der Hingabe verloren, die ihn zwischen 2003 und 2013 zu 32 Grand-Prix-Siegen und zwei WM-Titeln führte. Piloten wie Jackie Stewart oder Alain Prost traten auf ihrem Zenit zurück, weil sie ihre persönliche Erfolgsgeschichte für vollendet ansahen. Andere wie Niki Lauda packten ihre Koffer, weil die Leidenschaft für das Racing erloschen war. Der Rücktritt Alonsos lässt sich in keine dieser Kategorien einordnen. Einerseits gelang es ihm nicht, seinen Mount Everest, den dritten WM-Titel, zu erklimmen, andererseits hat er aber auch sein Feuer für den Sport nicht verloren.

Mit seinem Entschluss beendet er letztlich nicht die Jagd nach seiner dritten Weltmeisterschaft, sondern das ewige Hinterherfahren ohne Aussicht auf die Erfolge, die das Rennfahren für ihn erst lohnenswert machen. Alonso ist vom Kämpfen und Siegen besessen. Doch er musste erkennen, dass die Formel 1 ihm das nicht mehr bieten kann, dass der Kampf um einen weiteren Titel unter den momentan und in naher Zukunft gegebenen Voraussetzungen für ihn nicht stattfinden würde. Seine anhaltende Kritik am Reglement und an zu wenig Action - alles nur eine Konsequenz der Unzufriedenheit, wie Alonso lange vor dem Rücktritt selbst zugab: "Wenn du nicht gewinnst, willst du so lange alles ändern, bis du wieder gewinnst."

Die Formel 1 kann er nicht ändern. Seinen eigenen Weg hingegen schon. Die Saison 2018 darf wohl als Initialzünder für diese Erkenntnis bezeichnet werden. McLaren und Alonso gingen mit hohen Ambitionen ins Jahr eins nach Honda. Mit Renault wollten sie den Anschluss an die Top-Teams wiederherstellen, doch die neue Power Unit wurde für das Team auf andere Art und Weise zur Offenbarung. Der MCL33 erwies sich wie seine Vorgänger als Rohrkrepierer und McLaren als offenbar doch nicht dazu in der Lage, ein Chassis auf Spitzen-Niveau zu entwickeln. Eine schwerwiegende Erkenntnis, die Alonso wohl endgültig die Augen öffnete. Der Glaube, im kommenden Jahr endlich in einem Sieg- oder gar WM-fähigen Boliden aus Woking zu sitzen, wäre nichts weiter als Traumtänzerei gewesen. McLaren erhält von ihm keine fünfte Chance.

Alonsos einzige Möglichkeit nach 2006 doch noch einen weiteren WM-Titel zu holen, wäre ein Wechsel zu einem der drei Top-Teams gewesen, vorzugsweise Mercedes oder Ferrari. Doch diese Türen sind für ihn aufgrund seiner Vergangenheit mit den beiden Herstellern schon seit Langem verschlossen. Zu viel verbrannte Erde hatte er nach der Saison 2007 bei Mercedes hinterlassen, in der er für deren damaligen Kooperationspartner McLaren fuhr. Im WM-Kampf spielte er gegen Teamkollege Lewis Hamilton dreckig. Nachdem das Verhältnis zerrüttet war, lieferte er das Team bei der Spygate-Affäre an die FIA aus. Mit Ferrari hatte Alonso 2012 zuletzt um die WM gekämpft und 2013 in Barcelona seinen letzten Grand Prix gewonnen. Frustriert von den WM-Niederlagen 2010 und 2012 sowie der Tatsache, dass ihm Maranello kein WM-fähiges Material zur Verfügung stellte, fiel auch die Trennung von der Scuderia Ende 2014 unter die Kategorie Rosenkrieg. Angesichts Daniel Ricciardos Abschied von Red Bull wünschten sich viele Alonso beim einzig verbliebenen Top-Team zu sehen, bei dem er noch keine Unruhe gestiftet hatte. Teamchef Christian Horner stellte jedoch schnell klar, dass Alonsos Geschichte mit der Konkurrenz für ihn abschreckend genug sei, um ihn nicht in den zweiten Boliden neben Alphatier Max Verstappen zu setzen. Abgesehen davon hätte wohl auch Red Bulls neuer Motorenpartner Honda nur wenig Lust darauf verspürt, erneut den Mann im Auto sitzen zu haben, der ihren Power Units über drei Jahre hinweg ausnahmslos vernichtende Urteile ausstellte.

Obwohl er von sämtlichen Teamchefs inklusive Toto Wolff und Christian Horner als einer der Besten angesehen wird, hatte sich Alonso schlichtweg selbst Schachmatt gesetzt und damit keine Perspektive mehr, sein ultimatives Ziel eines weiteren WM-Titels zu realisieren. Dabei wäre er fahrerisch ohne jeden Zweifel nach wie vor dazu in der Lage. Selbst in der Sackgasse McLaren kam nie auch nur der geringste Zweifel an seinen Fähigkeiten auf. Etwas, das er vor allem 2018 noch einmal auf beeindruckende Weise zur Schau stellte. Es hätte Alonso wohl kaum jemand einen Vorwurf gemacht, hätte er angesichts des trotz Renault-Aggregats nicht konkurrenzfähigen McLaren das Handtuch geworfen. Doch wie schon in den Honda-Jahren blieb er beharrlich und kämpfte weiter unermüdlich um jede Position und jeden einzelnen WM-Punkt. In der ersten Saisonhälfte holte Alonso mit Ausnahme von Hockenheim jedes Mal Punkte, wenn er die Zielflagge sah. Zudem hielt er sich lange Zeit als Siebter in der Fahrerwertung hinter den Piloten der Top-Teams. Alleine in der Startrunde von Baku manifestierte sich Alonsos außergewöhnliche Einstellung zum Rennfahren. Nach einer Kollision schleppte er seinen McLaren auf nur noch zwei Rädern um den gesamten Kurs zurück an die Box. In dieser einen Runde zeigte er mehr Einsatz und Durchhaltevermögen, als man von manch anderem Fahrer in dessen gesamter Laufbahn zu sehen bekommt.

Solche Darbietungen und das kontinuierliche Aufzeigen wann immer sich eine Chance bot, wie mit dem ersten Platz im verregneten Q1 von Silverstone 2017, sorgten dafür, dass Alonsos Reputation trotz ausbleibender Spitzenresultate keinen Schaden nahm. Im Gegenteil: während andere Piloten ohne konkurrenzfähiges Material schnell die Motivation verlieren, steigerte Alonso mit seiner Herangehensweise in aussichtslosen Situationen sein Ansehen sogar noch. Um seinen Erfolgshunger zu stillen war er aber längst zu anderen Ufern abseits der Königsklasse aufgebrochen. Seine Teilnahme am Indy 500 im vergangenen Jahr war in motorsportlicher Hinsicht ein wahres Weltereignis. Der gesamte Globus schaute auf den außerhalb der USA längst in Vergessenheit geratenen Brickyard, als Fernando Alonso den Geist legendärer Motorsport-Pioniere wie Jim Clark oder Graham Hill wiederaufleben ließ. Ein Geist, der in der heutigen Formel 1 längst ausgestorben war. An Hill hatte sich Alonso dabei explizit orientiert. In einer Zeit, in der es für Grand-Prix-Piloten an der Tagesordnung war, an ihren freien Wochenenden anderweitig aktiv zu sein, war Hill zur Ikone geworden. Als einzigem gelang es ihm, mit dem Grand Prix von Monaco, den 24 Stunden von Le Mans und dem Indy 500 die drei prestigeträchtigsten Rennen in der Welt des Motorsports zu gewinnen. Mit zwei Monaco-Siegen auf seinem Konto und ohne Chance auf einen dritten F1-Titel, setzte Alonso es sich zum Ziel, als zweiter Pilot der Geschichte die durch Hill begründete Triple Crown zu holen.

In den Vereinigten Staaten löste er einen wahren Hype aus. Die IndyCar freute sich über die Aufmerksamkeit aus anderen Teilen des Erdballs. Die im Formel-1-Paddock von vielen Seiten belächelten Indy-Stars freuten sich, dass einer der sonst so unantastbaren Piloten der Königsklasse sich nicht zu schade war, gegen sie anzutreten. Alonso meisterte die Herausforderung des ihm gänzlich neuen Ovalrennens und war im Rennen ein echter Siegkandidat, bis der Honda-Motor im Heck seines Boliden den Dienst quittierte. Ein Moment, der kaum ironischer hätte sein können. Für das Indy 500 hatte er Monaco und damit Hondas undankbarem Formel-1-Motor einen Korb gegeben, nur damit ihn die Technik der Japaner auch in den USA im Stich lässt. Das zweite Puzzleteil für die Triple Crown entging ihm damit, doch mit seinem Appetit für Racing abseits der Formel 1 hob er sich abermals von seinen Fahrerkollegen ab. In der Folge startete er für das Team von McLaren-CEO Zak Brown bei den 24 Stunden von Daytona und unterschrieb bei Toyota für die komplette Supersaison in der WEC, inklusive zwei Teilnahmen an den 24 Stunden von Le Mans. Zugegeben, der Sieg bei der 2018er Ausgabe des Langstreckenklassikers von Le Mans wurde angesichts der fehlenden Konkurrenz in seiner LMP1-Klasse zu Recht etwas belächelt.

Letztlich stand jedoch, dass er damit ein To-do auf seinem Weg zur Triple Crown abhaken durfte. Und sein Ruf als Motorsport-Allrounder war ohnehin längst in Stein gemeißelt. Alonso wurde 2017 zum "Racing Monster", wie ihn Brown bezeichnete, der einen nicht unerheblichen Anteil an diesem neuen Profil Alonsos hat. Die Bände zwischen dem US-Amerikaner und seinem Spitzenpiloten waren von Beginn an stark. Der Geschäftsmann Brown wusste um den sportlichen sowie kommerziellen Wert Alonsos für sein neues McLaren nach der Ära Ron Dennis. Doch nicht nur deshalb gestattete er ihm seine motorsportliche Selbstverwirklichung, denn der Racer im ehemaligen Semi-Pro Brown fand ebenfalls einen Draht zum Asturier. Der trat wohl auch deshalb in seiner Zeit bei McLaren deutlich gelöster auf als in seinen Anfangsjahren in der Formel 1. Auch wenn es sportlich nie nach seinen Vorstellungen lief, entwickelte sich Alonso menschlich zum Positiven weiter. Seine Kritik an Honda war hart, doch ging er dabei letztendlich nie unter die Gürtellinie oder verlor die Fassung. Im Rahmen seiner Rücktrittsankündigung sagte Alonso: "Ich habe gerade eine der glücklichsten Zeiten meines Lebens. Aber ich muss neue Abenteuer erleben." Dem darf man durchaus Glauben schenken. Schließlich erhielt er bei McLaren menschlich und finanziell alles, was er sich hätte wünschen können. Brown wiederum wurde nie müde zu betonen, dass er Alonso auch über dessen F1-Karriere hinaus gerne bei McLaren sehen würde. Dass es so bald der Fall sein könnte, hatte er aber nicht gedacht. "Wir respektieren seine Entscheidung, obwohl wir glauben, dass er sich in der besten Verfassung seiner Karriere befindet", hätte er ihn lieber weiter in seinem Formel-1-Team gesehen.

Ein Engagement in der IndyCar scheint für Alonso das naheliegend neue Abenteuer zu sein, nachdem sein Indy-Gastspiel 2017 bis auf den Rennausgang für alle Beteiligten ein voller Erfolg war. Zudem baute er eine enge Beziehung zu Andretti-Autosport-Teamchef Michael Andretti auf, der seitdem einen Narren an Alonso gefressen hat. Die Zeichen stehen auf eine volle Saison in den Staaten für das Team von Andretti, möglicherweise wieder in Kooperation mit McLaren, wie es schon 2017 der Fall war. Denn Brown ist äußerst interessiert daran, die Marke McLaren auch abseits der Formel 1 wieder zu etablieren. Ein Veto könnte allerdings auch hier von Honda kommen. Die Japaner beliefern Andrettis Team mit Motoren und sind Alonso gegenüber wohl auch in den USA etwas nachtragend. Brown hatte aber schon geäußert, dass Chevrolet ebenfalls in den Planungen für ein mögliches IndyCar-Engagement vorkommt. Es könnte also darauf hinauslaufen, dass Alonso in seinem Andretti-Satellitenteam mit McLaren-Kooperation und Chevrolet-Aggregaten startet. Damit würde die Top-Formelserie auf der anderen Seite des großen Teiches den größten Boom seit 1993 erleben, als mit Nigel Mansell der amtierende Formel-1-Weltmeister in die USA wechselte. Der Brite sorgte nicht nur für jede Menge Publicity, er gewann auch auf Anhieb den Titel und war Ende 1993 für einen kurzen Zeitraum amtierender F1- sowie IndyCar-Champion.

Alonso würde in den USA von Beginn an zu den Titelfavoriten zählen. Es gibt wohl niemanden in der Motorsportwelt, der ihm nicht zutrauen würde, es Mansell gleichzutun. Etwas, das außerdem nicht nur in Bezug auf einen IndyCar-Titel Gültigkeit hat. Mansell kehrte nach seinen Erfolgen in den USA noch einmal in die Formel 1 zurück, 1994 als Ersatzfahrer im Williams des tödlich verunglückten Ayrton Senna. Mit Pole Position und Sieg zeigte er in Adelaide, dass er nichts von seinem Können verloren hatte. 1995 wollte er eine ganze Saison für McLaren fahren, passte aufgrund seiner Körpermaße jedoch nicht ins Auto. Etwas, das Alonso nicht passieren sollte. Der jedenfalls hat sich seine Hintertür in die Königsklasse beim Rücktritt bereits offengelassen. Sollte McLaren wieder an der Spitze kämpfen, könnte das für ihn "der richtige Moment sein, in die Serie zurückzukehren." Es ist also alles andere als ausgeschlossen, dass das Racing-Monster nach neuen Abenteuern doch noch einmal in der Formel 1 für Action sorgt. Doch selbst wenn am Ende von Alonsos Laufbahn nur zwei Formel-1-Titel stehen, würde dies seinem Legendenstatus sicherlich keinen Abbruch tun. Allein der Tenor, dass zwei Titel einem Fahrer seines Kalibers nicht gerecht werden, hat schlussendlich mehr Wert als die WM-Titel vieler anderer Piloten.

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